Vizekanzler Gabriel im Interview Land kann mehr, als Seehofer gedacht hat
01.09.2016, 19:34 Uhr
Was wird aus dem Freihandelsabkommen TTIP? "Eine Unterwerfung unter die USA darf es nicht geben", sagt SPD-Chef Gabriel.
(Foto: REUTERS)
SPD-Chef Gabriel bringt sich in Stellung für seine Kanzlerkandidatur. Im RTL-Sommerinterview distanziert er sich von der Union. Er teilt auch gegen die AfD aus und gibt Einblicke in sein Privatleben.
Es wirkt wie eine Zwickmühle: Zurück aus der Sommerpause geht Vizekanzler Sigmar Gabriel in die Offensive und greift den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise an. "Die Union hat die Herausforderungen unterschätzt, und wir haben immer gesagt, es ist undenkbar, dass wir in Deutschland jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen", sagte er am Wochenende. Es reiche nicht, ständig zu sagen, wir schaffen das. Nur ein paar Tage später stellt sich heraus: Den Satz "Wir schaffen das" hat eigentlich er in die politische Debatte geworfen, schon Wochen vor Merkel. Und nun?
"Was wir brauchen, ist Zuversicht und Realismus", erklärt SPD-Chef Gabriel im Sommerinterview mit Peter Kloeppel von RTL den scheinbaren Widerspruch. Den Satz "Wir schaffen das" wolle er an sich gar nicht kritisieren. Merkel habe aber einfach nicht genug Taten folgen lassen, um ihn Realität werden zu lassen.
"Wir haben viel unnütze Zeit damit vertan, darüber zu reden, welche Voraussetzungen wir erfüllen müssen, damit wir es auch wirklich schaffen", sagt Gabriel. Er verweist auf die Zeit, die es gebraucht hat, ein Integrationsgesetz zu beschließen, die Länder bei der Bildung und die Kommunen bei der Versorgung der Flüchtlinge zu entlasten.
Gabriel nutzt das Sommerinterview auch, um CSU-Chef Horst Seehofer und die AfD anzugreifen. Er bringt sich immer deutlicher in Stellung für eine Kanzlerkandidatur.
"Deutschland kann mehr als Herr Seehofer gedacht hat. Aber Deutschland kann nicht jedes Jahr eine Millionen Flüchtlinge aufnehmen", sagt Gabriel. Merkel lehnt Obergrenzen auch aus verfassungsrechtlichen Gründen stets vehement ab. Seehofer sieht sie als einen notwendigen Fakt an. Gabriel hält eigenen Angaben zufolge beide Sätze für richtig und setzt auf einen Mittelweg. Der SPD-Chef spricht von einer "Integrationsfähigkeitsgrenze", für die er aber keine konkrete Hausnummer nennen will. "Gott sei Dank sind die Zahlen (der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen) ja auch runter gegangen."
Das Burka-Verbot und andere "Lächerlichkeiten"
Die Sicherheitsdebatte, die CDU und CSU in den vergangenen Wochen befeuert haben, nennt Gabriel "fast peinlich" angesichts der Größenordnung der Herausforderungen, die vor Deutschland lägen. "Jetzt kommen wir mit so Lächerlichkeiten wie, dass die CDU jetzt fordert, beim Autofahren sollen Frauen keine Burka tragen." Er frage sich, was das mit innerer Sicherheit zu tun habe. Er suggeriert zudem, dass dies abgesehen davon auch längst verboten sei.
Über die AfD sagt Gabriel, dass diese sich in eine Zeit vor Willy Brandt zurücksehne. Die Rolle der Frau, Familienbilder, Homosexualität – "die wollen die ganze Liberalität zurückdrehen." Die Flüchtlingsfrage missbrauche die rechtspopulistische Partei nur für die Durchsetzung ihres veralteten Gesellschaftsbildes.
Wohl auch die mögliche Kanzlerkandidatur im Hinterkopf, versucht Gabriel, sich den Rückhalt in der eigenen Partei zu sichern. Als entscheidend dafür gilt seine Haltung zu den Freihandelsabkommen TTIP und Ceta.
Im Interview mit RTL bekräftigt Gabriel seine Ablehnung von TTIP, das in seiner SPD ausgesprochen kritisch gesehen wird. Niemand in den USA wolle derzeit ein Handelsabkommen abschließen, und wenn doch, dann nur ein schlechtes für Europa, sagt er. "Eine Unterwerfung unter die USA darf es nicht geben." Die USA stecken mitten im Wahlkampf. Der Kandidat der Republikaner, Donald Trump, hat TTIP eine Absage erteilt, die Demokratin Hillary Clinton gibt sich skeptisch.
Drastische Worte wie "Unterwerfung" im Zusammenhang mit TTIP dürfte Gabriel nutzen, um seinen Genossen Zustimmung zum Abkommen mit Kanada (Ceta) abzutrotzen. Am 19. September will er auf einem Parteikonvent einen entsprechenden Beschluss einholen. Nachdem er im Dezember mit nur 74 Prozent im Amt als Parteichef bestätig wurde, kann er sich kaum noch eine weitere innerparteiliche Abstimmungspleite leisten.
Der Abstand zu Merkel schrumpft
Abgesehen von dieser schwierigen Probe - die Skepsis in der SPD ist auch bei Ceta groß - verbessert sich seine Lage zusehends. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin stehen in den nächsten Wochen Wahlen an. In beiden Bundesländern könnten die Sozialdemokraten laut Umfragen stärkste Kraft bleiben.
Auf Bundesebene schrumpft zudem der Abstand zu Merkel und ihrer Union. Die verlor zuletzt an Zustimmung und fiel auf den schlechtesten Wert seit der vergangenen Bundestagswahl. CDU und CSU kommen laut dem Stern-RTL-Wahltrend nur noch auf 33 Prozent, die SPD verharrt bei 22 Prozent.
Zugleich verliert die Kanzlerin weiter an Zuspruch: Nur noch 41 Prozent würden sich bei einer Direktwahl für sie entscheiden. Gabriel liegt mit 17 Prozent zwar weiterhin deutlich dahinter, doch der Abstand wird geringer.
Gabriel macht kein Geheimnis daraus, dass der Wahlkampf für ihn längst begonnen hat. Von Kloeppel darauf angesprochen, dass er zuletzt ungewöhnlich viele Einblicke in sein Privatleben gegeben habe, sagt der SPD-Chef: Er sei eigentlich eher zurückhaltend. Dann verweist er aber auf seine Töchter und seine Familie, die ihm mindestens genauso wichtig seien wie die Politik. Seine Biografie beschreibt er als ein Beispiel dafür, was man alles erreichen könne, obwohl man in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sei.
Quelle: ntv.de, ieh