
Kevin McCarthy zeigte in der Wahlnacht noch Optimismus. Doch der wird arg strapaziert.
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In der Schlacht um den US-Kongress wollten die Republikaner einen triumphalen Sieg feiern. Stattdessen müssen sie zittern. Den Senat haben sie schon verloren und auch im Repräsentantenhaus gibt es immer noch keine Entscheidung. Sogar eine Sensation ist noch möglich.
Eigentlich sah es gut aus an diesem Abend für Kevin McCarthy. Umfragen sagten einen Erdrutsch-Sieg der Republikaner bei den Kongresswahlen voraus - und McCarthy, Fraktionsvorsitzender im Repräsentantenhaus, sah goldene Zeiten kommen. Für die Partei und für sich. Er rechnete damit, zum Sprecher des Repräsentantenhauses aufzusteigen und anschließend Präsident Joe Biden vor sich hertreiben zu können. Kein Republikaner stünde über ihm, nicht einmal Donald Trump. Zumindest wenn es danach ginge, wer das höchste Staatsamt bekleidet. McCarthy wäre die Nummer 3 der USA, nach Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris. Eine Reihenfolge, die Trump natürlich egal ist.
Noch ist dieser Zug für McCarthy zwar nicht abgefahren. Doch steht der Kalifornier, um im Bild zu bleiben, noch immer auf dem Bahnsteig und wartet. Am Wahlabend versuchte der 57-Jährige seinen Parteifreunden Trost zu spenden. "Morgen wachen wir auf, und dann sind wir stärkste Kraft im Repräsentantenhaus", versprach er.
Das war am frühen Mittwochmorgen. Nun ist es Montag und die Republikaner warten immer noch. Die Enttäuschung des Wahlabends wächst sich zur Peinlichkeit aus. Auch im besten Fall werden sie am Ende nur eine Handvoll mehr Sitze als die Demokraten haben. Zumal die mittlerweile ihre De-facto-Mehrheit in der anderen Kongresskammer, dem Senat, verteidigt haben. Sogar die Sensation ist möglich - dass sie es am Ende auch schaffen, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verteidigen.
Zwar haben die Republikaner dabei noch immer die besseren Chancen. Das liegt aber vor allem daran, dass die Demokraten mehr Sitze aus einigermaßen ausgeglichenen Wahlkreisen halten - so sind sie größerer Gefahr ausgesetzt, diese zu verlieren. Dass die Republikaner deswegen sich spielend eine Mehrheit erkämpfen würden, da waren sich die meisten Beobachter einig. Doch dann gewann ein Demokrat nach dem anderen seine Wahl, etwa Abigail Spanberger als eine der ersten. Ihr Sieg im siebten Wahldistrikt von Virginia war ein Signal, dass die Demokraten nicht so eine üble Nacht erleben würden wie erwartet.
Sogar sichere Sitze wackeln
Der Trend setzte sich fort - bis schließlich sogar sicher geglaubte Wahlkreise bei den Republikanern wackelten. So zum Beispiel der dritte Distrikt in Colorado. Dort trat der moderate Demokrat Adam Frisch gegen die Republikanerin Lauren Boebert an, die sich in den vergangenen Jahren als Trump-Ultra präsentiert hatte und unter anderem mit Zwischenrufen bei Bidens Rede zur Lage der Nation im März auffiel. Sie steht sinnbildlich für die Partei - sie mag ihre Wahl noch gewinnen, doch wurde ihr schrilles Trump-Programm so oder so abgestraft.
Sollten die Republikaner es doch noch über die Ziellinie von 218 Sitzen schaffen, ist die Frage, was sie überhaupt mit ihrer Mehrheit anstellen werden. Schon während Trumps Präsidentschaft zeigte sich, wie schwer es ist, die Partei mit ihren verschiedenen Flügeln auf eine Linie zu bringen. Da sind einmal die verbliebenen moderaten Republikaner, die grundsätzlich zu Kompromissen mit den Demokraten bereit sind. Sie sind zwar eine aussterbende Art, doch trugen sie zuletzt große Gesetzespakete zur Infrastruktur oder für eine schärfere Waffengesetzgebung mit. Aber dann sind da auch die Radikalen aus dem Freedom Caucus und der Tea-Party-Bewegung, die auf Fundamentalopposition geeicht sind und auch innerhalb ihrer Partei kaum kompromissbereit sind.
Hinzu kommen die zahlreichen MAGA-Republikaner, wie sie die Demokraten mittlerweile nennen. Gemeint sind die Trump-Anhänger, die sein Motto "Make America Great Again" (MAGA) vor sich her tragen und vor allem ihm ihre Wahl zu verdanken haben. Auch sie haben nur begrenztes Interesse an konstruktiver Parlamentsarbeit. Abgeordnete wie Marjorie Taylor Greene tönen, sie wollten ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Biden beginnen. Wobei noch unklar ist, weshalb eigentlich. Klar ist schon jetzt, dass rund die Hälfte der republikanischen Abgeordneten Trumps Lüge vom großangelegten Wahlbetrug im Jahr 2020 mitträgt.
McCarthy kroch zu Kreuze
Einer dieser Trump-Loyalisten ist übrigens Kevin McCarthy. Der hatte sich zwar nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 zunächst von Trump abgewandt. Als sich dann aber nach und nach zeigte, dass dieser der starke Mann der Partei blieb, fuhr er zu Trump nach Florida, erbat sich den neuerlichen Segen Trumps - und bekam ihn.
Führende Republikaner drohten schon vor der Wahl damit, das Schuldenlimit als Druckmittel gegen die Demokraten einzusetzen, um die Krankenversicherung und Sozialleistungen zu beschneiden. Was nach einer technischen Frage klingt, ist tatsächlich eine Drohung mit einer fiskalischen Atombombe. Die USA werden im kommenden Jahr ihre Schuldengrenze erhöhen müssen, um Gesetze zu finanzieren, die bereits beschlossen wurden. Tun sie das nicht, droht im schlimmsten Fall ein Staatsbankrott, der die ganze Welt ins Finanzchaos stürzen könnte. Auch McCarthy trägt das mit. Er braucht schließlich die Stimmen der Radikalen in seiner Partei, um zum Sprecher des Repräsentantenhauses gewählt zu werden.
Sollten die Republikaner voll auf Konfrontationskurs gehen, könnten sie sich aber ins eigene Fleisch schneiden. Denn das Wahlergebnis hat gezeigt, dass insbesondere die meist entscheidenden Wechselwähler die radikale, demokratiefeindliche Trump-Politik ablehnen. Wenn die Republikaner unbeirrt so weitermachen, könnte sich das in zwei Jahren bei der nächsten Wahl rächen.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, der Sprecher des Repräsentantenhauses stehe in der Rangfolge nach Präsident und Senatssprecher. Er steht aber nach Präsident und Vizepräsident.
Quelle: ntv.de