
Intensivpfleger Ricardo Lange und Armin Laschet findet nicht zueinander, auch wenn sie im Ziel - mehr Personal in der Pflege - einig sind.
(Foto: RTL)
Seine Gesprächspartner am RTL-Tisch kann Armin Laschet nicht überzeugen, aber er zeigt sich interessiert und gesprächsbereit. Sein Dilemma: Die Union regiert seit 16 Jahren.
Armin Laschet gilt als kommunikativer Typ, als einer, dem das direkte Gespräch mehr liegt als der große Auftritt. Das RTL-Format "Am Tisch mit ..." kommt ihm daher entgegen: Von Peter Kloeppel moderiert, stellen vier Bürgerinnen und Bürger dem Kanzlerkandidaten der Union ihre Fragen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock war bereits vor einigen Wochen zu Gast, an diesem Montag folgt noch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz.
Angenehm an der Tisch-Runde ist, dass genug Zeit bleibt, einen Gedanken auch mal zu Ende zu bringen. Es ist zugleich allerdings ein heikles Format für Laschet, weil es hier natürlich vor allem um Versäumnisse der Politik geht und Laschet bekanntlich für die Partei antritt, die das Land in den vergangenen 16 Jahren regiert hat, auch wenn er selbst an der Bundesregierung nicht beteiligt war. Zudem setzt Laschet im Wahlkampf auf die unterschwellige Botschaft, mit der Union bleibe das Gute gut und das nicht so Gute werde besser. So steckt er schnell in der Defensive.
Intensivkrankenpfleger Ricardo Lange schildert anschaulich, wie dramatisch der Pflegenotstand ist. Er berichtet von Patienten aus Altenheimen, die mit Nierenversagen auf seine Station kämen, weil die Pfleger in den Altenheimen offenbar nicht die Zeit hätten, dafür zu sorgen, dass ihre Bewohner genug trinken.
"Es wird von Jahr zu Jahr besser"
In seiner Reaktion betont Laschet, dass in den vergangenen Jahren bei der Pflege einiges passiert sei und Gesundheitsminister Jens Spahn eine Menge angepackt habe - die Ausbildung sei heute kostenfrei und die Gehälter erhöht worden. Er sichert 13.000 neue Stellen in der Pflege in den nächsten vier Jahren zu. Überzeugen kann er Ricardo Lange nicht. "Die CDU redet sich die Dinge schön", sagt der. Allerdings sind Laschet und der Pfleger einig, dass es vor allem darum gehen müsse, mehr Personal in die Pflege zu bekommen.
Ein ganz ähnliches Problem schildert Svenja Streich, die in Gelsenkirchen in einem Bildungszentrum arbeitet. Sie will wissen, was Laschet dafür tut, dass das Handwerk wieder geeignete Auszubildende bekommt. Auch bei diesem Thema landet die Runde schnell beim Personal: Dass Betriebe unzufrieden sind mit den Azubis, die aus den Schulen zu ihnen kommen, führt Svenja Streich auch auf Probleme bei der frühkindlichen Bildung zurück. Hier verweist Laschet darauf, dass die letzten beiden Kita-Jahre in NRW seit kurzem kostenfrei sind.
Streich ist skeptisch: "Haben die Erzieherinnen und Erzieher die Möglichkeit, die Kinder tatsächlich auf die Schule vorzubereiten?" Wie in der Pflege dürfe auch die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern nichts kosten, sondern müsse bundesweit kostenfrei sein, nur dann könne man genug Personal für diesen Bereich gewinnen. Laschet hält das zwar für richtig, verweist aber auf die Zuständigkeit der Länder. Der Bundeskanzler könne das schwer einführen, aber er würde sich dafür einsetzen. Ein Satz über die bereits erreichten Schritte verdeutlicht, wie sehr sich die Perspektive des Politikers von der Haltung der Betroffenen unterscheidet, denen es nicht schnell genug geht. "Es wird Jahr für Jahr besser, aber es ist viel passiert in den letzten Jahren", sagt Laschet.
Tatsächlich wird der Personalmangel in den Kitas die Gesellschaft noch über Jahre beschäftigen. Eine Bertelsmann-Studie hat gerade ergeben, dass es in diesem Jahrzehnt wohl nicht mehr möglich ist, eine kindgerechte Personalausstattung und zugleich ausreichend Plätze in allen Kitas zu realisieren. Knapp 73 Prozent der Kita-Kinder in Deutschland gehen in eine Gruppe mit nicht kindgerechtem Personalschlüssel.
"Ich glaube, unser Programm reicht für das 1,5-Grad-Ziel aus"
Beim Thema Klimapolitik wird es für Laschet noch ungemütlicher. Die Studentin Arian Feigl-Berger, die bei Students for Future aktiv ist, sagt, das Wahlprogramm der Union reiche bei weitem nicht aus, um die Klimaschutzziele einzuhalten. "Was sind Ihre ganz konkreten Sofortmaßnahmen, um unser aller Heimat vor weiteren Klimakatastrophen zu schützen?"
Laschet bestreitet den Vorwurf: "Ich glaube, unser Programm reicht aus, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen." Das Ziel sei es, ein klimaneutrales Industrieland zu schaffen. Feigl-Berger kontert, es gebe Studien, die zu dem Ergebnis gekommen seien, dass das Programm der Union nicht einmal reiche, die nationalen Klimaziele zu schaffen. "Und die nationalen Klimaziele sind gerade mal die Hälfte von dem, was wir für Paris bräuchten." Laschet lässt das nicht gelten.
Laschet sieht die Versäumnisse bei anderen. Seine rot-grüne Vorgängerregierung in NRW etwa habe die Kohlekraftwerke noch bis 2045 weiterlaufen lassen. Dass im Koalitionsvertrag seiner Landesregierung Braun- und Steinkohle als "Brückentechnologie" bezeichnet wird, die auf absehbare Zeit unverzichtbar sei, passt dazu allerdings nicht so gut. Es sei auch falsch gewesen, zuerst aus der Atomkraft und dann aus der Kohle auszusteigen. Dies wirft er jedoch nicht Bundeskanzlerin Merkel vor, sondern die Umweltbewegung, die über Jahrzehnte gegen die Atomkraft gekämpft habe.
Im Streit um den in Nordrhein-Westfalen eingebrochenen Ausbau der Windkraft nimmt Laschet für sich in Anspruch, mehr CO2 einzusparen als andere Bundesländer. CO2 zu reduzieren, das sei etwas anderes als Windkraft auszubauen. "CO2 reduziert man, indem man ein Kraftwerk schließt. CO2 reduziert man, indem man Kohle im Boden lässt." Feigl-Berger hält dagegen, dass dann allerdings Erneuerbare Energien gebraucht würden. Laschet erwidert, im Ruhrgebiet könne man "nicht überall Windräder aufstellen".
"Schwierig, das Steuersystem gerecht zu machen"
Viertes und letztes Thema ist die soziale Gerechtigkeit. Die Münchnerin Elisabeth Pflügl, die von Hartz IV lebt, fragt Laschet, warum er finde, dass die Reichen keine Vermögensteuer zahlen sollten. Seine Antwort: "Wenn man jetzt Steuern erhöht, gerade nach der Pandemie, für Unternehmen, die eigentlich jetzt Leute einstellen sollen, erreicht man am Ende, dass vielleicht die Arbeitslosigkeit steigt."
Die Vermögenssteuer sei zudem schon zweimal vor dem Verfassungsgesetz gescheitert, denn es sei kompliziert, Vermögen abzubilden: "Wo fängt man denn an? Kommt dann in jedes Haus der Steuerprüfer und zählt all diese Dinge? Das ist das Problem, warum eine Vermögenssteuer so schwer zu erheben ist." Auch generell sei es "schwierig, das Steuersystem gerecht zu machen".
So richtig zufrieden scheint am Ende der jeweiligen Runden niemand von den Antworten des Kanzlerkandidaten zu sein. Skeptisch zeigen sich vor allem die Studentin, der Pfleger und die Hartz-IV-Empfängerin.
Aber für Politiker geht es in solchen Sendungen auch nicht darum, ihre unmittelbaren Gesprächspartnerinnen zu überzeugen, sondern das Publikum vor dem Fernseher. Die gute Nachricht aus Sicht der Union: Laschet zeigt sich glaubhaft interessiert, offen und gesprächsbereit. Selbst auf die angriffslustige Klimaaktivistin reagiert er so souverän, wie das in einer solchen Situation möglich ist. Sein Dilemma kann er jedoch nicht auflösen: Die Union regiert seit 16 Jahren. Aus der Defensive kommt er an diesem Tisch daher nicht heraus.
Quelle: ntv.de