Politik

"Am Tisch mit…" bei RTL Unter Leuten ist Baerbock bei sich

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Kloeppel und Baerbock im RTL-Studio.

Die Grünen-Kanzlerkandidatin tritt in den vergangenen Wochen nicht mehr so selbstsicher auf, fürchtet oft, den nächsten Fehler zu machen. Im Gespräch mit normalen Bürgern bei RTL zeigt sich aber eine nicht verloren gegangene Stärke Annalena Baerbocks.

Dass Annalena Baerbock die nächste Bundeskanzlerin wird, ist für die im aktuellen RTL/ntv-Trendbarometer drittplatzierten Grünen nicht sehr wahrscheinlich. Aber womöglich fühlt sich die Partei-Vorsitzende in der Rolle der Jägerin inzwischen gar nicht so unwohl. In der RTL-Sendung "An einem Tisch mit …" ist am Abend (ab 22.35 Uhr) zumindest eine lockere Baerbock zu sehen, die wiederholt beteuert, wie angenehm sie das von Peter Kloeppel moderierte Gespräch mit sechs Bürgerinnen und Bürgern findet.

Keine Frage jedenfalls, die sie nicht als "total wichtig" begrüßt und fröhlich "Danke" sagt. Nachdem die 40-Jährige in den vergangenen Wochen von Journalisten oft gegrillt wurde für ihr zusammengepfuschtes Buch, aufgeblasene Lebensläufe und Nachlässigkeiten bei Einkommensmeldungen an den Bundestag, scheint Baerbock die Wählerinnen-Fragen weit weniger zu fürchten. Dabei scheuen der Pflegeheimleiter Ugur Citinkaya, die Landwirtin Agnes Greggersen, die alleinerziehende Nagelpflegerin Tanja Hornung, die Frührentnerin Christina Neufendt, die Klimaaktivistin Leah Kaiser und der Stahlkocher Chris Rücker keine Kritik.

"Grüner Stahl und CO2-frei: Ich bin ja voll dafür"

Den Anfang macht der 57-jährige Rücker, der in seiner Freizeit gerne Motorrad fährt oder seinen Jeep durchs Gelände peitscht. Kein klassischer Grünen-Wähler also. Und dennoch: Auch Rücker bekennt sich zum Ziel einer klimaneutralen Schwerindustrie, wenn er sagt: "Grüner Stahl und CO2-frei: Ich bin ja voll dafür." Wie die Unternehmen die Umstellung stemmen und dabei wettbewerbsfähig bleiben sollen, erschließt sich Rücker nicht. Baerbock stellt ihm das Grünen-Konzept eines "Industriepakts" vor: Fördermittel, auf die sich alle Unternehmen bewerben können und erst zurückzahlen müssen, wenn sie stabil Gewinne einfahren.

Rücker sorgt sich zudem vor der Konkurrenz durch Billigstahl aus China, der staatlich subventioniert und nicht durch Klimaschutzauflagen verteuert wird. "Deswegen ist mein ganz konkreter Vorschlag: Diejenigen, die keinen klimaneutralen Stahl produzieren oder ihre Unternehmen wie in China unlauter subventionieren, die müssen in Zukunft an der Grenze zahlen; ich nenne das Klimazoll, aber man kann auch Grenzausgleichzoll sagen", erklärt Baerbock.

Grün werden soll es auch in der Landwirtschaft, nur wer bezahlt das den Landwirten, fragt die 30-jährige Greggersen, die den konventionell bewirtschafteten Milchhof ihrer Eltern übernehmen will. "Wir müssen mit Blick auf die Dumpingpreise dafür sorgen, dass das so nicht mehr stattfinden kann", bleibt Baerbock vage und verweist auf den Grünen-Plan, auf jedes Milchprodukt einen zusätzlichen Tierschutz-Cent zu erheben, der helfen soll, wenn Greggersen etwa ihren Kuhstall modernisieren will. "10 Cent mehr pro Liter Milch bräuchte ich", klagt Greggersen. Baerbock setzt auf eine Reform der EU-Agrarmittel. Wie sie das von den 27 EU-Mitgliedstaaten gerade erst mühsam ausverhandelte Paket neu aufschnüren will, fragt die unverändert skeptisch wirkende Landwirtin Baerbock nicht.

Persönliche Geschichte geht Baerbock nahe

Aber Baerbock hatte auch einmal darauf verwiesen, dass es ja eher ihr Co-Vorsitzender Robert Habeck sei, der sich mit "Hühner, Schweine, Kühe melken" auskenne, sie sich aber mit dem Völkerrecht. Und, wie die Mama zweier Töchter immer öfter von sich aus thematisiert, mit dem Mutter-Dasein. Die Geschichte von Tanja Hornung, die sich arbeitslos und alleinerziehend als Nagelpflegerin selbstständig gemacht, aber wegen der Pandemie neun Monate nicht gearbeitet hat, geht Baerbock nahe. "Was wollen Sie dafür tun, dass Frauen, die sich trennen, nicht mehr Angst haben müssen, in die Armut abzurutschen?", fragt Hornung.

Baerbock beteuert, sie kenne diese Problematik aus persönlichen Gesprächen und fordert garantierte Kitaplätze, eine "Weiterbildungsagentur" für Menschen, die umlernen wollen oder müssen, und eine echte Arbeitsplatzgarantie für Mütter: "Ein Rückkehrrecht auf den Arbeitsplatz, das gibt es jetzt ein bisschen, aber nicht auf Vollzeit und auch nicht auf die Stelle, die man vorher hatte." Kinder dürften zudem nicht ins Hartz-IV-System rutschen. Die Grünen fordern deshalb eine "Kindergrundsicherung". Baerbock gelingt es über weite Strecken, locker zu reden, sich weniger an ihre eingeübten Redewendungen wie der "notwendigen Erneuerung" zu klammern, wie es ihr sonst oft im TV passiert.

Dass die Grünen viel versprechen, das aber alles durch Steuererhöhungen für Vermögende finanzieren wollen, macht die nach einem Arbeitsunfall frühverrentete Neufendt skeptisch. "Dann wird eine Abwanderung stattfinden, dann werden die Reichen abwandern", fürchtet die 65-Jährige. "Wir müssen, wenn wir Menschen mit einem kleinen, geringen Einkommen entlasten wollen, für Spitzenverdiener höhere Steuer erheben", rechtfertigt Baerbock ihren Ruf nach einer Anhebung des Spitzensteuersatzes sowie die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer.

"Priorität: Kohleausstieg"

Beim Thema Klima wirft die 21-jährige Leah Kaiser den Grünen Zaghaftigkeit vor und fragt: "Was hat bis jetzt gefehlt, um effektiven Klimaschutz zu betreiben?". Ein konkreter Fahrplan der Bundesregierung, findet Baerbock und verspricht: "Da hat für mich absolute Priorität der Kohleausstieg." Wer das ablehne, wie ihre Konkurrenten Armin Laschet von der Union und Olaf Scholz von der SPD, müsse sagen, wie er sonst CO2-Emissionen einsparen will. "Wenn wir nicht auf den 1,5-Grad-Pfad von Paris kommen, dann macht es keinen Sinn für Grüne, reinzugehen", zieht Baerbock die rote Linie für etwaige Koalitionen nach der Bundestagswahl.

"Wenn wir unsere Stahlindustrie umstellen auf Elektro, dann sage ich, wird die Energie nicht reichen", warnt Schmelzer Rücker. Der gutverdienende Facharbeiter ist ebenso wie die an der Armutsgrenze lebende Neufendt besorgt über die Auswirkungen des CO2-Preises; er wegen des für viele Brandenburger unverzichtbaren Autos, sie wegen steigender Mieten. "Klimaschutzpolitik kann nicht Sozialpolitik entlasten", sagt Baerbock und verspricht, sich für gute Löhne und eine zuverlässige Verkehrsinfrastruktur einzusetzen. Gänzlich überzeugt von den Antworten der zugewandten und freundlichen Kanzlerkandidatin scheinen die sechs Fragensteller nicht zu sein - enttäuscht aber auch nicht. Dasselbe dürfte für Baerbock gelten.

Quelle: ntv.de

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