Eine Annäherung zwischen Russland und der Ukraine gibt es beim Treffen in der Türkei nicht. Der ukrainische Außenminister will humanitäre Fragen klären, der russische Außenminister sieht sich für diese Themen nicht zuständig. Lieber spricht er über andere Fragen.
Das Treffen des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow im türkischen Antalya ist ergebnislos zu Ende gegangen. Kuleba sagte nach dem Gespräch, Lawrow habe im Wesentlichen vorgetragen, was er immer über die Ukraine sage.
So lief auch Lawrows Pressekonferenz ab. Lawrow wies alle Vorwürfe gegen Russland und gegen das militärische Vorgehen der russischen Armee zurück und stellte den russischen Überfall auf das Nachbarland als Verteidigung dar. Auf die Frage, ob es bei seinem Gespräch mit Kuleba Fortschritte gegeben habe, sagte er, es sei weder um einen Waffenstillstand noch um humanitäre Korridore gegangen.
Kuleba erklärte dagegen, dass genau dies die beiden Punkte gewesen seien, die er bei dem Treffen immer wieder angesprochen habe. Er habe einen Korridor für die belagerten Zivilisten in Mariupol und Sumy erreichen und eine 24-stündige Waffenruhe aushandeln wollen. Lawrow sei leider nicht in der Lage gewesen, sich darauf zu verpflichten, sagte Kuleba. Die Entscheidungen zu diesen Themen würden offenbar von anderen Stellen in Russland gefällt.
Der ukrainische Außenminister ließ durchblicken, dass er kein Verständnis dafür hat, dass Lawrow ohne echtes Verhandlungsmandat nach Antalya gekommen war. "Ich glaube, wenn zwei Außenminister sich treffen, haben sie per Definition das Mandat, über Frieden und Sicherheit zu verhandeln." Er sei bereit, sich erneut mit Lawrow zu treffen, "wenn es Aussicht gibt auf substantielle Diskussionen und auf die ernsthafte Suche nach Lösungen".
Für Russland geht es vor allem um die NATO
Lawrow brachte die bekannten Vorwürfe Russlands gegen den Westen und die Ukraine vor und sprach mehrfach auch vom Ziel einer "Entnazifizierung" der Ukraine. Er wiederholte zudem die Anschuldigung, in der Ukraine seien Dokumente gefunden worden, die nachwiesen, dass an den Grenzen zu Russland Forschungslabore für Biowaffen eingerichtet worden seien.
Wie schon Russlands Präsident Wladimir Putin in seinem Fernsehauftritt in der Nacht zum 24. Februar stellte Lawrow den Krieg auch als Folge des Konflikts zwischen NATO und Russland dar. Außerdem habe ein angeblich unmittelbar bevorstehender Angriff der Ukraine auf die "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk verhindert werden müssen. Zugleich bezeichnete Lawrow den laufenden Krieg als "diese innerukrainische Krise".
"Wir haben bereits am 15. Dezember unsere Vorschläge auf den Tisch gelegt", sagte Lawrow über einen möglichen Ausweg aus dem Konflikt. An diesem Tag waren der stellvertretenden US-Außenministerin Karen Donfried bei einem Besuch in Moskau Vertragsentwürfe übergeben worden, in denen Russland drei Dinge fordert: einen Verzicht auf eine Ausdehnung der NATO Richtung Osten, einen Verzicht auf die Aufnahme von Staaten, die der vor drei Jahrzehnten untergegangenen Sowjetunion angehört hatten, sowie einen Rückzug der NATO-Infrastruktur auf den Stand von 1997. Offenkundig sollen auch diese Forderungen an die NATO mit dem Krieg gegen die Ukraine durchgesetzt werden.
"Wir haben die Ukraine nicht überfallen"
Lawrow warnte den Westen vor Waffenlieferungen an die Ukraine. Ohne konkret zu sagen, wie Russland darauf reagieren wolle, stellte er solche Lieferungen als Gefahr für die zivile Luftfahrt dar. Er verwies auf Äußerungen westlicher Staatschefs, die gesagt hatten, ein dritter Weltkrieg müsse vermieden werden. Russland dagegen habe "noch nie" von einem dritten Weltkrieg geredet, behauptete er. Tatsächlich hatte Putin schon in der Nacht zum 24. Februar dem Westen für den Fall eines Eingreifens in den Krieg mit einem Gegenschlag gedroht, "wie Sie es in Ihrer Geschichte noch nie gesehen haben". Am 27. Februar ordnete Putin eine erhöhte Alarmbereitschaft der russischen Atomstreitkräfte an.
Auf die Frage, ob Russland weitere Länder angreifen wolle, sagte Lawrow: "Wir planen nicht, weitere Länder zu überfallen, und wir haben auch die Ukraine nicht überfallen." Ein britischer Journalist fragte ihn daraufhin, warum man ihm angesichts solcher Aussagen überhaupt noch ein Wort glauben solle. Lawrow entgegnete, es gehe nicht um die Ukraine, sondern um eine Aggression gegen alles Russische. Den USA warf er "Russophobie" vor.
Berichte, nach denen das russische Militär eine Säuglingsstation in Mariupol angegriffen hat, wies Lawrow kategorisch zurück. Nach seiner Darstellung hatte sich in diesem Krankenhaus ein von Rechtsradikalen gegründetes Regiment der ukrainischen Armee verschanzt, das Regiment Asow. Mit Blick auf die Sanktionen des Westens sagte Lawrow, Russland tue alles, um in den entscheidenden Sektoren nie wieder von westlichen Regierungen oder Unternehmen abhängig zu sein.
"Es war nicht immer leicht, ihm zuzuhören"
Kuleba sagte in seiner Pressekonferenz, über Militärhilfe aus dem Ausland sei bei seinem Treffen mit Lawrow nicht gesprochen worden. "Es war nicht immer einfach für mich, ihm zuzuhören", sagte Kuleba über seinen russischen Kollegen. Er habe dringend an ihn appelliert, die humanitären Probleme zu lösen.
Sein Eindruck sei, dass Russland derzeit kein Interesse an einer Waffenruhe habe. "Sie wollen die Kapitulation der Ukraine, und die werden sie nicht bekommen." Die Ukraine habe die ursprünglichen Pläne Russlands zum Scheitern gebracht und sei bereit, ausgewogene diplomatische Lösungen zu suchen, um den Krieg zu beenden, "aber wir werden nicht kapitulieren".
Quelle: ntv.de