Kampfjets, Flüchtlinge, NATO US-Vizepräsidentin Harris auf heikler Mission
10.03.2022, 06:53 Uhr
US-Vizepräsidentin Kamala Harris, kurz bevor sie die Airforce Two für ihre Reise nach Europa betritt.
(Foto: AP)
Es herrscht Krieg in Europa, US-Vizepräsidentin Harris reist deshalb nach Polen und Rumänien. Es ist eine Aufgabe, bei der sie endlich ein wenig glänzen könnte. Im eigenen Land ist sie ziemlich unbeliebt.
Kamala Harris hat Probleme vor der eigenen Haustür: Die mit vielen Vorschusslorbeeren ins Amt gestartete US-Vizepräsidentin hat sehr schlechte Zustimmungswerte. Nun hat sie eine heikle Mission in Osteuropa vor sich. Harris wird am Donnerstag in Polen und am Freitag in Rumänien erwartet. Es herrscht Krieg in der Ukraine, die östlichen NATO-Staaten haben Angst davor, dass der bewaffnete Konflikt mit dem Aggressor Russland auf ihr Staatsgebiet übergreifen könnte. Harris soll den Bündnispartnern persönlich die Unterstützung der USA zusichern. Und nebenbei kann sie auch ihr Image etwas aufpolieren.
Zur Sprache kommen wird bei ihrem Besuch sicherlich das Hin und Her über die polnischen Kampfflugzeuge. Denn Russland hat keineswegs die absolute Lufthoheit in der Ukraine, was für die Angreifer ein Risiko ist - so sind russische Truppen wesentlich verwundbarer. Die Regierung in Kiew hat die westlichen Länder um mehr Kampfflugzeuge gebeten, sie hätten gerne MiG-29 russischer Bauart bekommen, da sie dafür auch die Piloten haben. "Wenn Sie uns nicht wenigstens Flugzeuge liefern, damit wir uns schützen können, dann wollen Sie auch, dass wir einen langsamen Tod sterben", hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj an die westlichen Länder appelliert.
Doch Harris kommt nun mit schlechten Nachrichten. Polen besitzt solche MiGs zwar und ist wegen der Nähe des Krieges auch nicht komplett abgeneigt, sie dem Nachbarland zur Verfügung zu stellen. Laut Ministerpräsident Mateusz Morawiecki würde Polen all seine Flugzeuge auf die US-Basis im deutschen Ramstein überführen, von wo sie dann in die Ukraine geflogen werden könnten. Voraussetzung sei allerdings, dass die NATO dies einstimmig beschließe.
Das US-Verteidigungsministerium reagierte erst überrascht, dann schlug es das Angebot aus. Dies könne zu "einer erheblichen russischen Reaktion führen, die die Aussichten auf eine militärische Eskalation mit der NATO erhöhen könnte", sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Völlig ausgeschlossen ist auch eine von NATO-Ländern durchgesetzte Flugverbotszone. Dabei wäre eine direkte Konfrontation mit russischen Streitkräften unausweichlich.
Angriffe in sozialen Netzwerken
Für die Vizepräsidentin ist die Reise jedoch auch persönlich wichtig. Entwickelt Harris außenpolitisches Profil und ihre diplomatische Mission wird in den USA als Erfolg bewertet, könnte das ihrer politischen Karriere einen kleinen Schub geben. Den hätte die Demokratin bitter nötig. Die Vizepräsidentin war viel umjubelt angetreten, als überhaupt erst zweite schwarze Person in den höchsten Regierungsämtern der Vereinigten Staaten. Sie gilt als mögliche Nachfolgerin von Präsident Joe Biden, der am Ende seiner ersten Amtszeit 82 Jahre alt wäre, am Ende einer möglichen zweiten sogar 86 Jahre. Biden ist der älteste Präsident in der Geschichte der USA.
Doch inzwischen gilt Harris als eine der unbeliebtesten Vizepräsidenten der vergangenen Jahrzehnte. Ob im Vergleich zu Mike Pence (2017 bis 2021), Dick Cheney (2001 bis 2005), Al Gore (1993-1997) oder Joe Biden (2009-2013): Sie ist unbeliebter als alle zum gleichen Zeitpunkt ihrer Amtszeit. Sie ist auch unbeliebter als Präsident Biden selbst. Dafür gibt es mehrere Gründe. Etwa die Dynamik von Zustimmungswerten. Die des Vize sind laut einer Studie immer mit denen des Präsidenten verknüpft. Ist Biden unbeliebt, ist es auch Harris, und eben dies ist der Fall. Der negative Eindruck könnte auch durch soziale Medien entstehen, denn dort werden Frauen in Machtpositionen häufiger und heftiger attackiert als Männer, haben Studien festgestellt. Harris ist keine Ausnahme, sondern ein besonders beliebtes Ziel.
Dazu kommt, dass Biden ihr im vergangenen Jahr zwei Mammutaufgaben übertragen hatte, die kaum lösbar waren. Harris sollte sich um die Ursachen der Einwanderung über die Südgrenze zu Mexiko kümmern und innenpolitisch um eine Wahlrechtsreform.
Dramatische Lage an der Grenze
Direkt zu Beginn von Bidens Präsidentschaft stiegen die Zuwanderungszahlen an, im Februar 2021 waren es bereits über 100.000 Menschen, die aus Mexiko und Zentralamerika kamen. Seither ist die monatliche Zahl über dieser Marke geblieben. Harris wurde in die Region geschickt, sie sollte die Zahlen verringern, aber zugleich die verschärften Grenzschutzmaßnahmen aus der Präsidentschaft von Donald Trump anders, irgendwie humaner gestalten. Ein schwieriger Spagat.
Die Menschen fliehen vor Dürren, Hunger und Gewalt nach Norden. Kurzfristig ist dieses Problem ohnehin nicht lösbar. Anhand der Zahlen wird die Situation jedoch immer dramatischer. Im Vergleich zu den Fiskaljahren 2019 und 2020 hat sich die Gesamtzahl der registrierten Grenzübertritte 2021 verdreifacht, auf 1,73 Millionen Menschen. So viele wie seit 20 Jahren nicht. Diese Zahl wird in diesem Jahr womöglich nochmals übertroffen. Bislang beißt sich Harris an der Aufgabe die Zähne aus.
Zudem sollte Harris eine Wahlrechtsreform koordinieren. Seit der Wahl 2020 haben mehrere von Republikanern regierte Bundesstaaten neue Wahlregeln eingeführt, die Stimmabgaben erschweren, etwa die Briefwahl eingeschränkt. Nationales Recht könnte solche Tendenzen eingrenzen. Doch es ist angesichts der knappen Mehrheiten der Demokraten schier unmöglich für Harris, dafür die erforderlichen Mehrheiten im US-Kongress zu finden. Auch hier gilt also: Die Vizepräsidentin hat eine undankbare, wenn nicht sogar fast unlösbare Aufgabe nicht bewältigen können.
Hoffen auf ein wenig Glanz
Harris könnte irgendwann für Biden im Weißen Haus übernehmen oder sogar selbst zur Kandidatin der Demokraten werden. Dies macht sie zu einem beliebten Ziel für die oppositionellen Republikaner. Zudem hat Harris offenbar interne Probleme mit ihren Mitarbeitern, mehrere von ihnen wurden im ersten Jahr ausgetauscht. Ein ehemaliger Mitarbeiter sagte der "Washington Post", die Vizepräsidentin lasse ihren Arbeitsfrust an ihrem direkten Umfeld aus. "Du musst ständig zerstörerische Kritik und ihren Mangel an Selbstbewusstsein ertragen", wird er zitiert. Für eine Politikerin, die vor allem Lösungen für den Präsidenten erarbeiten soll, wäre das keine ideale Voraussetzung.
Die außenpolitischen Aktivitäten in Europa als dritte große Aufgabe ihrer Amtszeit könnten ihr da grade recht kommen. Schon am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz hatte sich Harris mit verschiedenen Führungspersönlichkeiten getroffen, unter anderen aus den baltischen Ländern, mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sowie Ukraines Präsident Selenskyj. Nun soll sie die östlichen Bündnisländer Polen und Rumänien beruhigen und Unterstützung zusagen. Es geht dabei auch um die laut Vereinte Nationen bereits 2,15 Millionen geflohenen Ukrainer, die in den Nachbarländern Schutz suchen. Reist Harris mit klaren Vorstellungen über die Ziele ihrer Reise an, könnte sie bei dieser Mission sogar ein wenig Glanz mit nach Hause nehmen.
Quelle: ntv.de