Politik

Streit um Exklave Kaliningrad Litauen soll Putin nun doch nachgeben

Kremlchef Wladimir Putin droht Litauen mit "harten Gegenmaßnahmen".

Kremlchef Wladimir Putin droht Litauen mit "harten Gegenmaßnahmen".

(Foto: imago images/ZUMA Wire)

Gerade drohte der Streit um den Transitverkehr zwischen Russland und der Exklave Kaliningrad zu eskalieren, da löscht die EU den beginnenden Brand: Russische Gütertransporte sollen Litauen weitgehend ohne Sanktionen passieren können. Damit setzt sich die deutsche Sichtweise durch.

Der Streit um russische Gütertransporte nach Kaliningrad ist entschärft: Die EU-Kommission hat nach Protest und Drohungen aus dem Kreml neue Leitlinien zum Transitverkehr zwischen Russland und der Ostsee-Exklave erstellt. Russland darf demnach auf der Sanktionsliste stehende zivile Güter per Bahn ohne große Einschränkungen durch das EU-Land Litauen bringen, wie aus einem nun veröffentlichten Dokument hervorgeht. Moskau hatte Litauen zuvor vorgeworfen, den Warenverkehr mit der Exklave in unzulässiger Weise zu beschränken.

Streitpunkt sind auf EU-Sanktionslisten stehende Waren, darunter Eisen- und Stahlerzeugnisse, aber auch Düngemittel, Holz und Zement. In den Leitlinien legt die EU fest, dass Waren nur in den bislang üblichen Mengen befördert werden dürfen. Dazu soll es auch weiterhin zielgerichte und effektive Kontrollen geben. Werden größere Mengen an Waren als üblich transportiert, müssen diese den Leitlinien zufolge aufgehalten werden. Damit soll verhindert werden, dass Russland auf Sanktionslisten stehende Güter über Kaliningrad in andere Länder exportiert und so Strafmaßnahmen umgeht.

Mit der neuen Leitnlinie kommt es doch noch zu einer Deeskalation in dem seit Wochen währenden Streit. Allerdings hatte es vorher noch einmal gekracht: Litauen hatte am Montag die zweite Stufe des EU-Sanktionspakets gegen Russland in Kraft gesetzt - offenbar ohne die Zustimmung Brüssels. Die EU-Kommission hatte angekündigt, rechtzeitig bis zum 10. Juli eine Weisung zu veröffentlichen, wie mit dem Transitverkehr zwischen Russland und seiner Exklave an der Ostsee umzugehen sei. Doch der Termin verstrich. Und Litauen schuf daraufhin Fakten.

Scholz war gegen Transitbeschränkungen

Seit Montag wurde nicht mehr nur der Güterverkehr von Stahl, Kohle und Baumaterialien zwischen Russland und Kaliningrad beschränkt, sondern der Transit von Beton, Holz und Alkohol. Der Kreml wertete das Vorgehen als Verstoß gegen ein Abkommen mit der EU von 2002, das den freien Transithandel mit der Exklave garantierte - und kündigte umgehend "harte Gegenmaßnahmen" an.

Die Diskussion erwischte die EU auf dem falschen Fuß. Im Fall von Kaliningrad, so sah es nicht nur Bundeskanzler Olaf Scholz, gehe es aber um den Warenverkehr zwischen "zwei Teilen Russlands". Und der dürfe fließen. Litauen sah das anders. Weil die Güter per Bahn durch das EU-Land gebracht werden müssen, fühlte sich das Land zuständig dafür, die EU-Sanktionen auch gegen Kaliningrad umzusetzen. Das Machtwort aus Brüssel ist für die Regierung von Premierministerin Ingrida Šimonytė nun eine herbe Niederlage. Im Inland dürfte es als Einknicken vor Russland gewertet werden.

Sogar ihr eigenes Überleben hatte die Mitte-rechts-Koalition vom harten Kurs gegenüber Russland abhängig gemacht. Litauen hat als ehemalige Sowjetrepublik - und besonders nach dem russischen Überfall auf die Ukraine - ein vitales Interesse daran, kein Zeichen der Schwäche Richtung Kreml zu senden. "Wir haben die Perspektive und die Ängste dieses Landes nicht immer so ernst genommen, wie es nötig gewesen wäre", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, SPD-Politiker Michael Roth, im Gespräch mit ntv.de.

Kai-Olaf Lang ist Osteuropa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Kai-Olaf Lang ist Osteuropa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

(Foto: SWP)

Auch wenn der innerrussische Warenverkehr auch nach Roths Meinung tatsächlich nicht sanktioniert werden sollte, fürchtet Litauen, dass Russland in Kaliningrad das Sanktionsregime unterlaufen könnte - etwa, indem es den Hafen der Exklave als Exporthafen nutzt, weil die Seewege nicht kontrolliert werden. Diese Sorge hat in der Leitlinie nun einen konkreten Niederschlag gefunden. "Kaliningrad ist Russlands einziger eisfreier Hafen an der Ostsee", sagt Osteuopa-Experte Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf Nachfrage von ntv.de. Das Argument, Russland könne im großen Stil sanktionierte Waren durch den Suwalki-Korridor nach Kaliningrad und von dort aus ins Ausland verschiffen, überzeugt ihn dennoch "nicht gänzlich".

Konsequenzen für Stromnetz und Bahn drohten

Wäre die EU in dieser Frage hart geblieben, hätte das auch Konsequenzen für Litauen haben können. Es gibt noch immer Stellen, an denen der Kreml Litauen empfindlich treffen kann - etwa bei der Stromversorgung. Seit der Abschaltung seines einzigen Kernkraftwerks ist Litauen auf Stromimporte angewiesen. Die kommen zwar nicht mehr wie früher aus Belarus und Russland, doch das Stromnetz ist noch immer mit dem aus Sowjetzeiten stammenden BRELL-Netz synchonisiert. Strom aus dem EU-Netz - zum Beispiel aus Polen - muss erst einmal konvertiert werden. Litauen aus dem BRELL-Netz auszuschließen, wäre technisch möglich gewesen. Allerdings, gibt Lang zu bedenken, hätte das auch direkte Auswirkungen in Kaliningrad selbst haben können.

Auch die größte Eisenbahngesellschaft des Landes, LTG, ist durch die Sanktionen schon jetzt hart getroffen. Sie macht einen Großteil ihres Geschäfts im Güterverkehr - fast 40 Prozent davon entfallen auf den Transit zwischen Russland und Kaliningrad. Bereits die Strafmaßnahmen gegen Belarus nach der manipulierten Präsidentschaftswahl 2020 hatten dem litauischen Staatsbetrieb zugesetzt. Allein 11 Millionen Tonnen an jährlicher Fracht gingen der LTG über den sanktionierten Kaliproduzenten Belaruskali verloren. Zuletzt kündigte die Staatsbahn an, ein Viertel seiner Belegschaft entlassen zu müssen.

Litauen war dennoch bereit, dieses Opfer zu bringen. Dass das Land dem Kreml nun doch nachgeben muss, dürfte für Unmut sorgen - nicht nur in Vilnius, sondern auch bei den baltischen Nachbarn, die vehement vor einem Zurückweichen vor Wladimir Putin warnen.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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