Westliche Pharma-Konzerne und die DDR Medikamenten-Skandal alarmiert Politiker
13.05.2013, 19:14 Uhr
Westliche Pharma-Unternehmen ließen in der DDR offenbar Medikamente an tausenden Patienten testen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Tausende Menschen in der DDR dienen westlichen Pharma-Konzernen in den 80er Jahren als Versuchskaninchen – laut Medienberichten sogar ohne deren Wissen. Die Medikamententests lösen einen Sturm der Entrüstung unter deutschen Politikern aus.
Angesichts des Ausmaßes von Medikamententests westlicher Pharmafirmen in der DDR mehren sich die Forderungen nach einer umfassenden Aufarbeitung. "Die vorliegenden Fakten müssen rückhaltlos untersucht und die Hintergründe aufgeklärt werden", sagte der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU) der "Mitteldeutschen Zeitung". Auf Antrag der Grünen soll sich auch der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit den Medikamentenversuchen befassen.
Bei den Medikamententests in der DDR seien offenbar ethische und rechtliche Standards systematisch unterlaufen worden, erklärte der Parlamentsgeschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, in Berlin. Die Opfer müssten von den Firmen entschädigt, und "ein solches Outsourcing von Medizinversuchen muss gesellschaftlich geächtet werden".
Über 50 DDR-Kliniken sollen mitgemacht haben
Nach einem Bericht des "Spiegel" wurden im Auftrag von Pharmaunternehmen aus dem Westen in mehr als 50 DDR-Kliniken unter anderem Herzmedikamente und Antidepressiva getestet - oft ohne Wissen der Betroffenen. Das Magazin beruft sich auf bislang unbekannte Akten etwa der Stasi und des DDR-Gesundheitsministeriums. West-Pharmahersteller gaben demnach mehr als 600 Arzneimittelversuche an zehntausenden Patienten in Auftrag. Dabei kam es dem Bericht zufolge zu zahlreichen Todesfällen. Dafür seien viele hunderttausend D-Mark gezahlt worden.
Bergner sagte, es wäre "ein schwerer Skandal, wenn tausende DDR-Bürger - vermutlich sogar unter Verletzung von Rechtsvorschriften der DDR - zu billigen und wohlfeilen Versuchskaninchen gemacht worden wären." Derartige Vergehen "verlangen eigentlich nach strafrechtlicher Aufarbeitung".
Entschädigungen und strafrechtliche Konsequenzen forderte auch Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz (CDU). "Wenn es zu körperlichen Schäden bis hin zur Todesfolge gekommen ist, dann stellt sich die Frage nach Schadenersatz und Ausgleichszahlungen. Und dann ist auch die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortung zu beantworten", sagte Vaatz der "Berliner Zeitung".
Einer der größten Medizinskandale der Geschichte?
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth erklärte, wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, "wäre dies einer der größten Medizinskandale der deutschen Geschichte".
An einer weitgehenden Aufklärung habe auch die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ein großes Interesse, bekräftigte Sprecherin Dagmar Hovestädt. Die Staatssicherheit habe die Tests in die Wege geleitet und für den Devisenfluss gesorgt, sagte Hovestädt. Auch für die Vertuschung von Todesfällen habe die Stasi gesorgt. Akten mit Details zu den medizinischen Untersuchungen lägen aber nicht der Stasi-Unterlagen-Behörde vor. Diese seien vielmehr in den Krankenhäusern, im Bundesarchiv und im Archiv des Bundesgesundheitsministeriums zu finden, betonte Hovestädt.
Thüringens Wissenschaftsminister Christoph Matschie (SPD) kündigte die Berufung einer Arbeitsgruppe am Universitätsklinikum Jena an. Ziel sei es, "Licht in dieses Kapitel zu bringen", erklärte Matschie in Erfurt. Die Uni Jena will auch eine Hotline für Betroffene einrichten. Matschie schlug zudem die Einrichtung eines länderübergreifenden Forschungsverbundes unter dem Dach der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Aufarbeitung der Fälle vor. Es gehe darum, die Unterlagen in den Kliniken zu sichten. Aber auch die Archive der Pharmafirmen müssten geöffnet werden, forderte er.
An der Berliner Charité ist bereits ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung der Arzneimitteltests geplant. Nach Angaben der Bundesregierung laufen derzeit Gespräche zur Finanzierung. Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums verwies am Montag in Berlin darauf, dass es bereits 1991 eine Untersuchung gegeben habe, die seinerzeit "keine Hinweise" auf Rechtsverstöße ergeben habe.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa