Politik

Türkei-Besuch zwischen EU und NSU Merkel will neues Kapitel öffnen

Merkel trifft sich am Montag mit Erdogan und Gül.

Merkel trifft sich am Montag mit Erdogan und Gül.

(Foto: dapd)

"Skeptisch" sei sie nach wie vor, sagt Kanzlerin Merkel über einen türkischen EU-Beitritt. Trotzdem will sie kurz vor ihrer Reise an den Bosporus neuen Schwung in die Verhandlungen bringen. Aus der CDU heißt es, der Begriff der "privilegierten Partnerschaft" sei "verbrannt". Doch auch die NSU-Mordserie erschwert die Reise. SPD-Chef Gabriel denkt derweil laut über den Doppelpass nach.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel will neuen Schwung in die Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei bringen. "Ich bin dafür, dass wir jetzt ein neues Kapital in diesen Verhandlungen eröffnen, damit wir auch ein Stück vorankommen", sagte Merkel in ihrem wöchentlichen Video-Podcast. Sie reist am Sonntag in die Türkei, wo sie zunächst das deutsche Truppenkontingent in Kahramanmaras an der Grenze zu Syrien besucht. Am Montag sind Treffen mit Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und Staatspräsident Abdullah Gül geplant.

Gleichzeitig betonte Merkel, sie sei nach wie vor "skeptisch", was den Beitritt der Türkei angehe. Sie gehe von einer "langen Verhandlungsstrecke aus". Sie sagte aber auch: "Wir führen diese Verhandlungen ergebnisoffen." Bisher hat die Union der Türkei stets statt einer Vollmitgliedschaft eine sogenannte privilegierte Partnerschaft angeboten.

Merkel und Erdogan bei einem Treffen in Berlin im vergangenen Oktober.

Merkel und Erdogan bei einem Treffen in Berlin im vergangenen Oktober.

(Foto: dpa)

CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz hält diesen Begriff allerdings für überholt. "Den meisten in meiner Partei ist klar, dass der Begriff der 'privilegierten Partnerschaft' verbrannt ist. Der Begriff ist in der Türkei negativ belegt. Man sollte ihn nicht mehr verwenden", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages der "Berliner Zeitung". In den Verhandlungen müsse man schauen, "was man tun kann, um die Verbindung zu stärken". Dazu gehört für Polenz auch eine Lockerung der Visa-Regeln für Türken und die Zusage, syrische Flüchtlinge in Deutschland aufzunehmen.

Zuvor hatte bereits Außenminister Guido Westerwelle mehr Tempo bei den Beitrittsverhandlungen gefordert. "Wenn wir nicht achtgeben, wird die Stunde kommen, in der Europa mehr Interesse an der Türkei, als die Türkei Interesse an Europa haben wird", sagte der FDP-Politiker der "Passauer Neuen Presse". Die Frage, ob die Türkei eines Tages Mitglied der Europäischen Union werde, stelle sich nicht heute, "sondern erst am Ende unserer Verhandlungen". Mit dem Land müsse "fair und respektvoll" umgegangen werden.

13 von 35 Verhandlungskapiteln wurden bisher eröffnet, aber nur das Kapital Wissenschaft und Forschung abgeschlossen. In Regierungskreisen heißt es, möglicherweise könnten Verhandlungen über das Kapitel zur Regionalpolitik und Koordinierung struktureller Instrumente sowie zur Wirtschafts- und Währungspolitik aufgenommen werden. Vor allem die EU-Staaten Zypern und Frankreich blockierten bisher die Aufnahme von Gesprächen auf etlichen der 35 Themenfeldern.

Türkei braucht "endlich mal ein Datum"

In ihrem Podcast nannte die Kanzlerin die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei "ganz besondere". Weil sehr viele türkischstämmige Menschen in Deutschland lebten, seien die Türkei und Deutschland "auf eine besondere Weise verbunden". Sie sprach sich dafür aus, das Jugendaustauschprogramm mit der Türkei noch auszubauen.

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte dem NDR, die Beitrittsverhandlungen sollten weitergeführt werden - auch wenn "wir wissen, dass die CDU gegen einen Beitritt ist". Die Türkei brauche "endlich mal ein Datum", forderte Kolat. Wenn sie die Voraussetzungen erfülle, dann müsse die Türkei Mitglied der EU werden.

Die Kanzlerin dürfte in der Türkei auch mit den Ermittlungspannen bei der Aufklärung der Neonazi-Mordserie konfrontiert werden. Die Terrorzelle NSU soll in den Jahren 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet haben - darunter acht türkischstämmige Kleinunternehmer.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland rät Merkel zu einem selbstkritischen Auftreten. "In der Türkei wird Merkel das hartnäckige Vorurteil begegnen, die deutschen Geheimdienste deckten den Rechtsextremismus und dass außer Betroffenheit bisher wenig Aufarbeitung der NSU-Affäre stattfand", sagte der Vorsitzende des Zentrates, Aiman Mazyek, der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

SPD will Doppelpass einführen

Mit Blick auf die türkischen Interessen kündigte SPD-Parteichef Sigmar Gabriel derweil die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft für die Zeit nach der Bundestagswahl an. Dies werde eines der ersten Projekte einer rot-grünen Bundesregierung sein, sagte Gabriel der "Frankfurter Rundschau". In Deutschland geborene Kinder türkischer Eltern müssten sich dann nicht mehr zwischen dem deutschen und türkischen Pass entscheiden.

In den vergangenen Tagen war auch in der Bundesregierung ein Streit über doppelte Staatsbürgerschaften für Ausländer ausgebrochen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP setzt sich gegen die in der Union vorherrschende Haltung ein, dass dieser "Doppelpass" für in Deutschland lebende Ausländer erleichtert werden soll. Betroffen sind vor allem Menschen türkischer Herkunft. Merkel sieht nach Angaben eines Sprechers in dieser Frage dagegen keinen Handlungsbedarf.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen