Sommerpressekonferenz Merkel zieht Bilanz
18.07.2007, 08:11 UhrBundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat an einem schönen Ritual des politischen Jahres festgehalten und in Berlin die traditionelle Sommerpressekonferenz abgehalten. Für viele Journalisten war es die letzte Möglichkeit, vor den Ferien ihre Fragen zu stellen. Und die Kanzlerin gab bereitwillig Antwort:
Zunächst würdigte Merkel die Arbeit der seit November 2005 regierenden großen Koalition und hob dabei vor allem den wirtschaftlichen Aufschwung hervor. Sie betonte, dass für 2008 ein Haushalt mit der niedrigsten Neuverschuldung seit der deutschen Einheit verabschiedet worden sei. In den vergangenen Monaten seien wichtige Weichenstellungen vorgenommen worden. Die Bundesregierung werde nun alles tun, um die Grundlagen des Wachstums zu stärken. Möglichst viele Menschen sollten am Aufschwung teilhaben, sagte Merkel im voll besetzten Saal der Bundespressekonferenz.
Jetzt gehe es darum, die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft zu stärken und dabei auch die Dimensionen der weltweiten Entwicklung im Auge zu behalten. Zu den Aufgaben der Zukunft gehörten die neuen Herausforderungen im Bereich der Sicherheitspolitik. Ferner gehe es um entscheidende Weichenstellungen für die Energie- und Klimaentwicklung.
"Jeder führt auf seine Weise"
Merkel wies die Vorwürfe aus der SPD zurück, sie zeige in der Koalition und in ihrer eigenen Partei zu wenig Führungskraft. "Meine Führung ist so, wie ich sie mir vorstelle", sagte sie. "Jeder führt auf seine Weise." Zudem könne Führung keine Meinungsverschiedenheiten überwinden. Dies könne nur durch Kompromisse erreicht werden. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hatte die Kanzlerin aufgefordert, in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode "schneller und beherzter einzugreifen, wenn Minister aus CDU oder CSU wieder wilde Debatten anzetteln". Im Übrigen sei die Zusammenarbeit "zwischen mir und dem Vizekanzler eine der großen Stützen dieser Koalition."
Keine Denkverbote
Auch die Diskussion über die Anti-Terror-Politik von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ging nicht an der Kanzlerin vorbei. Wie erwartet stärkte sie ihm den Rücken. Ein Innenminister müsse sich mit den "qualitativ neuen Bedrohungen" durch den internationalen Terrorismus auseinander setzen, so Merkel. "Ich bin eine Kanzlerin, die dabei keine Denkverbote austeilt."
Keine Lösung beim Mindestlohn
Zum Thema Mindestlohn meint Merkel: SPD und Union sollten ihre Differenzen akzeptieren. Es gebe unterschiedliche Überlegungen zu einem einheitlichen und flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland. Damit müssten die Koalitionspartner einfach leben können. Das, was bisher erreicht worden sei, gehe weit über die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages hinaus, betonte die Kanzlerin.
Schlechte Informationspolitik
Auch nach den Störfällen in den Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel ist die friedliche Nutzung der Kernenergie nach Auffassung der Physikerin Merkel weiterhin vertretbar. Die Informationspolitik des Betreibers Vattenfall Europe sei jedoch "nicht akzeptabel". Daher halte sich auch ihr Mitleid in Grenzen, wenn der Betreiber dafür kritisiert werde. Merkel unterstrich aber: "Unbeschadet dieser Tatsache glaube ich, dass die friedliche Nutzung der Kernenergie verantwortbar ist." Deutschland habe im Grundsatz hohe Standards und Anforderungen an den Betrieb von Atomkraftwerken. Allerdings müsse sichergestellt werden, dass Regeln und Kontrollmechanismen auch funktionierten.
Ein Zeitfenster für die Stabilität
Im Nahost-Friedensprozess macht sich Merkel für die Einbeziehung arabischer Initiativen stark. "Ohne die Akteure in dem Raum wird es nicht gehen", sagte Merkel. Sie unterstütze den Vorstoß von US-Präsident George W. Bush für eine große Nahost-Konferenz, mit der der Friedensprozess neu belebt werden soll. Auch sei sie froh, dass die Arbeit des Nahost-Quartetts wieder belebt werde - ihm gehören die USA, Russland, die Vereinten Nationen und die Europäische Union an. Die Bundesregierung unterstütze die Gespräche von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels Ministerpräsident Ehud Olmert. Es öffne sich ein Zeitfenster für die Stabilität im Westjordanland.
Staatlich gelenkte Investitionsfonds
Die Kanzlerin bekräftigte ihre Überlegungen, einen Schutz vor ausländischen Staatsfonds auszuloten. Es gehe nicht um Verbote, sondern um Mechanismen, wie man auf dieses neue Phänomen reagieren könne. Darüber denke die EU, aber auch die Bundesregierung nach. Merkel verwies darauf, dass staatlich gelenkte Investitionsfonds aus dem Ausland möglicherweise nicht nur eine höhere Kapitalrendite im Blick hätten, sondern vielleicht auch an politischer Einflussnahme interessiert sein könnten. Dies sei ein Phänomen, das es in diesem Umfang bisher nicht gegeben habe.
Krise zwischen London und Moskau
Großbritannien und Russland forderte sie zu einer schnellen Beilegung ihres Konflikts angesichts der Ermordung des Ex-Agenten Alexander Litwinenko auf. Dabei stützte sie erneut die Aufklärungsarbeit in Großbritannien. Die Vergiftung des früheren russischen Spions im November vorigen Jahres mit radioaktivem Polonium 210 in Großbritannien müsse aufgeklärt werden, sagte Merkel. Der Mord habe auch andere Menschen in Gefahr gebracht.
Sie hoffe und glaube nicht, dass sich die Auseinandersetzung zu einer Krise zwischen der EU und Russland ausweiten werde. Russland und Großbritannien seien eng miteinander verflochten. "Ich hoffe, dass das ganz schnell beigelegt wird. Die Vernunft aller Beteiligten wird das sicherstellen."
Einsätze in Afghanistan bleiben
Erwartungsgemäß setzte sich die Kanzlerin für die Verlängerung aller drei deutschen Afghanistan-Einsätze ein. Ob es eine Aufstockung der Zahl der Bundeswehrsoldaten über die bisher maximal 3600 möglichen Mann hinaus geben könne, ließ sie offen. Das stehe "nicht ganz vorn" auf ihrer Prioritätenliste. Zunächst wolle sie Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) dazu hören und das Thema im August oder September wieder auf die Tagesordnung setzen. Sie wolle aber auch mit Experten darüber beraten, ob Deutschland mehr für die Ausbildung afghanischer Polizisten tun müsse. Ihren Äußerungen zufolge hält sie eine Zusammenlegung der Mandate für die internationale Schutztruppe ISAF unter NATO-Dach und den Tornado-Einsatz für ISAF nicht für ausgeschlossen.
Verständnis für Putin
Im Ringen um den US-Vorstoß zu einem in Polen und Tschechien stationierten Raketenabwehrsystem äußerte Merkel Verständnis für Russlands Präsident Wladimir Putin. Das Interessante an der Diskussion sei, dass die Notwendigkeit eines solchen Systems nicht in Frage gestellt werde. "Wir können nicht sagen, seitens des Iran gibt es keine Bedrohung." Im Gegensatz zu früher sei heute eine Kooperation möglich. US- Präsident George W. Bush und Putin seien auch weiter im Gespräch. Der richtige Ort für die Beratungen sei der NATO-Russland-Rat, sagte Merkel erneut.
Quelle: ntv.de