Trotz Sondervermögen Milliarden-Lücke bei Autobahnen alarmiert Länder
18.09.2025, 17:36 Uhr Artikel anhören
Es klingt erst mal wie ein Widerspruch: Obwohl es ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen gibt, fehlt Geld in der Kasse des Verkehrsministeriums. Finanzminister Klingbeil weist die Verantwortung von sich, die Länder zeigen sich irritiert.
Verzögern sich Neu- und Ausbauprojekte bei Autobahnen und Bundesstraßen wegen Finanzproblemen des Bundes? Das Bundesverkehrsministerium sieht Milliardenlücken in den kommenden Jahren. Die Länder sind besorgt: Sie befürchten womöglich sogar Stillstand bei Fernstraßen, Schienenwegen und Wasserstraßen. Bei einer Konferenz in München forderten die Länder-Verkehrsminister die Bundesregierung auf, eine auskömmliche Finanzierung für Ausbau, Erhalt und Sanierung der Verkehrsinfrastruktur des Bundes sicherzustellen.
Eine Sprecherin von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder bezifferte das Defizit des Ressorts für Bundesfernstraßen auf rund 15 Milliarden Euro - für den Zeitraum 2026 bis 2029. Staatssekretär Stefan Schnorr betonte nach der Verkehrsministerkonferenz, es gehe darum, dass geplante Baumaßnahmen nicht gestartet oder Aufträge nicht vergeben werden können - es gehe aber nicht um einen Baustopp.
Finanzminister Lars Klingbeil sieht die Verantwortung dafür nicht bei sich, sondern bei Verkehrsminister Schnieder von der CDU. Die schwarz-rote Bundesregierung nehme so viele Milliarden in die Hand wie nie zuvor, betonte der Vizekanzler. Für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur werde es in dieser Legislaturperiode 166 Milliarden Euro geben. "Damit hat der Verkehrsminister jetzt wirklich die Chance, richtig zu klotzen und das Land zu verändern", sagte Klingbeil.
Fast 34 Milliarden Euro zur Verfügung
In keinen Bereich investiert die Bundesregierung mehr als in den Verkehr. Die Verantwortung, wie das Geld ausgegeben werde, trage nun aber Schnieder selbst, sagte Klingbeil. Er müsse jetzt dafür sorgen, dass das Geld schnell fließe. "Die 166 Milliarden in dieser Legislatur zu verbauen, das ist wirklich eine Herkulesaufgabe." Zuletzt hatte es oft das Problem gegeben, dass bewilligte Mittel gar nicht vollständig ausgegeben werden konnten.
In diesem Jahr hat Schnieder laut Finanzministerium 33,4 Milliarden Euro aus Kernhaushalt und Sondertöpfen für Investitionen zur Verfügung, davon 10 Milliarden für Bundesfernstraßen. Das seien allein bei den Straßen 1,5 Milliarden mehr als im Vorjahr. In den kommenden Jahren werde dieser Wert gehalten. Nun müssten Planungs- und Genehmigungsverfahren verbessert und vorrangige Projekte identifiziert werden.
Das Verkehrsministerium sieht trotzdem allein bei Projekten des Aus- und Neubaus von Autobahnen einen Mehrbedarf bis 2029 von 5,5 Milliarden Euro. Diese Zahl geht auch aus einem Bericht an den Verkehrsausschuss des Bundestags hervor - dabei geht es um einen neuen "Finanzierungs- und Realisierungsplan" 2025-2029 der Autobahn GmbH des Bundes. Als Grund wird insbesondere die starke Baupreisentwicklung in den vergangenen Jahren genannt.
Papier bereitet Sorgen
Die Kernaussage in dem Papier: Baufreigaben für insgesamt 74 Projekte, für die bis 2029 "bestandskräftiges Baurecht" erwartet wird, seien nur möglich, wenn das Budget der kommenden Jahre erhöht werde. Konkret bedeutet das: Selbst wenn ein Projekt genehmigt ist, sollen die Bagger nicht rollen - weil laut Ministerium Geld fehlt. Der Bundeshaushalt 2026 wird kommende Woche erstmals im Bundestag beraten und soll Ende November beschlossen werden.
Die Projekte befinden sich derzeit in unterschiedlichen Stadien, von einem "Vorentwurf in Aufstellung" über "in der Planfeststellung" bis zu "planfestgestellt". Für alle wird aber bis 2029 Baurecht erwartet. Die Länder forderten den Bund auf: "Baureife Projekte sind zeitnah umzusetzen." Es geht um Projekte in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Hessen, Niedersachsen, Hamburg, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz - und konkret zum Beispiel um die A20 im Norden, die A1 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz oder die A39 in Niedersachsen.
Verschiedene Politiker aus den Ländern kritisierten den Bund -etwa aus Baden-Württemberg, Hessen oder Niedersachsen. Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, sagte: "Verschobene oder gar gestrichene Bauprojekte heißt für die Bürgerinnen und Bürger: kaputte Brücken und Straßen, Sperrungen, Umleitungen, Stau."
"Unverständlich, unvermittelbar und kontraproduktiv"
Teile der Investitionsmittel kommen aus einem Sondertopf, den der Bundestag nun endlich einsetzte. Für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz sollen in den nächsten zwölf Jahren Schulden von 500 Milliarden Euro aufgenommen werden. Davon gehen 100 Milliarden an die Länder und 100 Milliarden an den Klima- und Transformationsfonds für Klimaschutzausgaben. Auf Bundesebene soll ein großer Teil des Geldes in die Verkehrsinfrastruktur gehen. Dabei geht es aber vor allem um Sanierung. Das Prinzip: "Erhalt vor Neubau".
Die Länder forderten den Bund auf, sicherzustellen, dass die Mittel des Sondertopfes zusätzlich zur Verfügung stünden - und die Haushaltsmittel des Ministeriums an sich nicht gekürzt werden. Seit längerem gibt es etwa von den Grünen im Bundestag Kritik vor allem an Klingbeil wegen "Verschiebebahnhöfen": Gelder aus dem Kernhaushalt würden ins Sondervermögen geschoben - mit den frei gewordenen Mitteln im Kernhaushalt finanziere die schwarz-rote Koalition teure Wahlgeschenke wie die Ausweitung der Mütterrente oder steuerliche Entlastungen für die Gastronomie.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst kritisierte den Umgang mit dem Sondervermögen deutlich. Er bezeichnete Verschiebungen im Bundeshaushalt als "unverständlich, unvermittelbar und in jeder Hinsicht kontraproduktiv". Weiter führte er aus: "Die Menschen in Deutschland haben die völlig logische Erwartung, dass durch das Sondervermögen mehr und nicht weniger gebaut wird", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Diese Erwartung darf nicht enttäuscht werden."
Einige lange geplante Investitionen werden laut FAZ in den kommenden Jahren aus dem Kernhaushalt ins Sondervermögen verschoben. Die geplanten Verschiebungen führten den "Sinn und Zweck des Sondervermögens ad absurdum", kritisierte Wüst. Auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei es ein völlig falsches Signal mit unabsehbaren Folgen.
Bei der Bahn gibt es ein ähnliches Problem: Der Staatskonzern bekommt zwar aus dem Sondervermögen viele zusätzliche Milliarden für die Sanierung des maroden Bestandsnetzes - für Neu- und Ausbauprojekte aber steht in den kommenden Jahren laut Ministerium nicht genügend Geld zur Verfügung. Bereits Mitte August hatte ein Sprecher Schnieders gesagt: "Natürlich dürfen wir den gesetzlich beschlossenen und aus verkehrlicher Sicht absolut notwendigen Neu- und Ausbau nicht aus den Augen verlieren." Mit Blick auf die kommenden Haushaltsjahre bestehe Nachbesserungsbedarf. Verzögerungen drohen zum Beispiel bei der geplanten neuen Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim.
Quelle: ntv.de, ses/dpa