Politik

Datenschutzkritiker will keine Privatsphäre "Möglicher Nutzen übersteigt die Gefahren"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Christian Heller veröffentlicht im Internet, wie lange er schläft, wann er einen Döner kauft und wann er Sex hat. Er findet es nicht problematisch, wenn man alles über sein Leben weiß. Im Interview mit n-tv.de erzählt er, was er von der Überwachung durch die NSA hält.

n-tv.de: Sie schreiben auf Ihrer Website praktisch alles auf, was sie tun. Zum Beispiel haben Sie sich am 27.6. um 12 Uhr die Fingernägel geschnitten. Wen interessiert so etwas?

Christian Heller: Mich interessiert es, weil ich das selber nachlesen kann und sehe, in welchen Abständen ich das tue. Ob es andere Leute interessiert, weiß ich nicht. Ich schreib das einfach ins Netz und wen es interessiert, der kann es lesen und wen es nicht interessiert, der braucht es nicht zu lesen.

Warum interessiert es Sie, in welchen Abständen Sie ihre Fingernägel schneiden?

Das ist Teil des Quantified-Self-Gedankens: Man versucht, die eigenen körperlichen Abläufe oder Verhaltensweisen besser zu verstehen, indem man sie erfasst und analysieren kann.

Dafür müssten Sie die Information aber nicht veröffentlichen.

Das stimmt. Aber ich gehe davon aus, dass Informationen, solange es keinen guten Grund dagegen gibt, erst einmal öffentlich sein sollten. Und das betrifft dann halt auch das Fingernägelschneiden. Ich kann mir keinen Grund denken, warum mir das schaden sollte.

Am 13.6. um 20.35 Uhr kamen Freunde von Ihnen zu Besuch, haben einen Kochabend gemacht und danach hatten Sie Sex mit Ihrer Partnerin. Findet nicht zumindest die es komisch, dass Sie alles von sich erzählen?

Mit meiner Partnerin habe ich das abgesprochen und sie hat nichts dagegen. Ich achte darauf, inwieweit ich andere Leute erwähne. Oft anonymisiere ich die. Von vielen Leuten aus meinem Umfeld habe ich aber die Erlaubnis, sie zu erwähnen.

Was wäre für Sie ein Grund, etwas nicht zu veröffentlichen?

Wenn dadurch Schaden entsteht, mir oder meinen Freunden etwa. Ich denke dann lieber zweimal drüber nach. Aber allgemein gehe ich davon aus, dass es eher einen Nutzen stiftet, wenn eine Information öffentlich ist, als wenn sie nur wenigen Leuten zugänglich ist. Man kann dann abwägen, ob ein bestimmter Zweck es wert ist, ein bestimmtes Risiko einzugehen. Üblicherweise sind die Risiken der Informationen, die ich ins Netz stelle, sehr gering. Der mögliche Nutzen übersteigt darum die Gefahren.

Was wäre so ein Nutzen?

Zum Beispiel, dass Leute sehen können, mit welchem Thema ich mich gerade beschäftige und mir dann Hinweise dazu geben. Vielleicht sehen sie auf meinen Einkaufslisten, wo ich etwas günstiger bekomme. Ich weiß nicht, ob daraus wirklich ein messbarer Nutzen für andere Leute entsteht. Aber ich muss nicht entscheiden, ob eine Information anderen etwas bringt oder nicht.

Sie schreiben in Ihrem Buch, man müsse damit klarkommen, dass unser Handeln für andere einsehbar ist. Was meinen Sie damit?

Ich glaube, wir leben in einer Welt, in der Neugierden immer leichter befriedigt werden können. Es fällt mir immer leichter, über andere Leute etwas herauszufinden, indem ich ihren Namen google, indem ich mich durch ihr Facebook-Profil klicke, oder indem der Staat mit seinem Überwachungsapparat die Leute ausspioniert. Es gibt immer mehr technische Möglichkeiten, in das Leben der Menschen hineinzuleuchten – auch ohne deren Einwilligung. Die Kehrseite davon ist, dass wir uns immer weniger darauf verlassen können, dass irgendetwas gegenüber fremden Neugierden geheim bleibt.

Das heißt, Privatsphäre ist ein Auslaufmodell?

Ja. Zumindest nimmt sie immer weiter ab. Man kann sich darüber streiten, ob das zur totalen Auflösung der Privatsphäre führen wird, aber ich glaube nicht, dass wir diesen Trend aufhalten können. Und darum sollten wir schauen, wie wir mit dieser Situation klarkommen.

Haben wir nicht ein Recht darauf, dass Privates privat bleibt?

Dieses Recht steht in irgendwelchen Büchern. Aber ich bezweifle, dass es sich einfordern lässt. In der Praxis sehen wir, dass es sehr leichtfertig gebrochen wird. Und ich sehe nicht, wie das nachhaltig eingegrenzt werden könnte.

Aber Ihnen ist das egal? Also auch, dass die NSA ihre privaten E-Mails lesen kann?

Total egal ist es mir nicht. Denn es betrifft ja auch die Privatsphäre der Leute, mit denen ich kommuniziert habe. Für mich persönlich finde ich es nicht ganz so schlimm. Ich glaube, dass ich ein vergleichsweise harmloses Leben führe. Ich bin kein Dissident und muss keine Verfolgung durch den Staat fürchten.

Ein wichtiges Argument gegen Überwachung ist, dass Menschen ihr Verhalten vorsorglich ändern, weil sie wissen, dass die überwacht werden – dass also die Freiheit dadurch eingeschränkt wird. Können Sie das nachvollziehen?

Christian Heller

Christian Heller

(Foto: Fiona Krakenbürger/CC BY 3.0 DE)

Zum Teil schon. Sobald ich davon ausgehe, dass meine Handlungen weitere Kreise ziehen, handle ich anders. Aber dass wir dadurch unsere Freiheit verlieren, stelle ich in Frage. Es gibt sehr viele Faktoren, die unsere Handlungsfreiheit bestimmen. Dass wir beobachtet werden, ist einer. Ein anderer ist, welche Formen von Strafen wir für unser Verhalten fürchten müssen. Das Beobachtet-Werden ist nur ein kleiner Teil der vorstellbaren Einschränkungen.

Aber es ist doch gut, wenn ich etwas geheim halten kann, das gesellschaftlich nicht akzeptiert ist.

Das lässt sich leicht konstruieren, allerdings geht es in unserer Gesellschaft relativ liberal zu. Man kann den Neid des Nachbarn fürchten, wenn man viel Geld auf dem Konto hat. Aber dieses Problem könnte man hinnehmen. Wenn ich befürchten müsste, dass ich für die Offenbarung meiner Homosexualität totgeschlagen werde, ist das natürlich etwas anderes. In unserer relativ offenen und liberalen Gesellschaft ist es nicht so schlimm, wenn unser Verhalten einigermaßen öffentlich stattfindet.

Auch die Gesellschaft in Deutschland ist oft intolerant. Homosexualität ist ein gutes Beispiel.

Ja, aber der offene Umgang mit Homosexualität war ja auch eine Emanzipationsstrategie. Das Öffentlich-Machen von etwas, das gesellschaftlich nicht akzeptiert ist, kann helfen, Intoleranz und Tabuisierungen zu bekämpfen.

Man kann nicht dem Einzelnen vorschreiben, dass er sich diskriminieren lässt, damit sich irgendwann einmal gesellschaftliche Werte ändern.

Das stimmt und ich würde auch nicht sagen, dass alle ihre Geheimnisse sofort öffentlich machen sollen. Das Risiko muss jeder für sich selbst abwägen. Allerdings muss man dabei bedenken, dass man irgendwann vielleicht nicht mehr die Wahl hat. Man muss sich langfristig darauf einrichten, dass man Sachen nicht wird geheim halten können. Und da kann es besser sein, sich den Zeitpunkt der Veröffentlichung selbst zu überlegen.

Ihre Forderung führt dazu, dass sich Menschen anpassen und konform verhalten.

Wieso?

Sie sagen, man sollte sich so verhalten, dass man immer damit rechnen kann, dass alles öffentlich wird.

Ja, das stimmt.

Was mir peinlich ist, sollte ich also am besten ganz lassen?

Nein, das ist ja nicht immer möglich. Und was ich in der Vergangenheit gemacht habe, kann ich nicht rückgängig machen. Es gibt ein Risiko, wenn ich damit an die Öffentlichkeit gehe, aber auch, wenn es anders herauskommt. Das ist praktisch eine Frage des Skandalmanagements. Man kann da durchaus zu unterschiedlichen Schlüssen kommen. Es kann durchaus sein, dass ich mich konformer verhalte. Aber in vielen Fällen denke ich, dass es vielleicht nicht so schlimm ist, mit etwas öffentlich umzugehen.

Man könnte ja auch umgekehrt so wenig wie möglich von sich preisgeben.

Wir leben in einer Informationsgesellschaft, in der eigentlich alles, was wir tun, von Maschinen erfasst wird. Um sich dem zu entziehen, müsste man ein Eremiten-Leben im Wald führen. Und das können sich wohl nur sehr wenige Menschen leisten.

Mit Christian Heller sprach Christoph Herwartz

Quelle: ntv.de

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