"Ein guter Tag für Schweden" NATO-Staaten begrüßen Erdogans Kehrtwende
11.07.2023, 02:12 Uhr Artikel anhören
Nach Finnland kann auch Schweden Mitglied der NATO werden. Am Vorabend des Gipfels der Militärallianz in Vilnius gibt der türkische Präsident Erdogan seine Blockade auf. US-Präsident Biden begrüßt den Schritt - und stellt Bewegung bei der Lieferung von Kampfjets in Aussicht.
Zahlreiche Politiker von NATO-Staaten haben sich erleichtert über das Ende der Blockade des schwedischen Beitritts zum Militärbündnis gezeigt. US-Präsident Joe Biden begrüßte die Entscheidung der Türkei, ihre Blockadehaltung aufzuheben. Er freue sich darauf, Schweden als 32. NATO-Mitglied willkommen zu heißen, sagte Biden in einer Stellungnahme des Weißen Hauses. Weiter teilte er mit, dass er nun bereit sei, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zusammenzuarbeiten, um die Verteidigung und Abschreckung im euro-atlantischen Raum zu stärken.
Die Türkei strebt seit langem eine Modernisierung ihrer Kampfjet-Flotte an. Sie hatte von den USA unter anderem den Verkauf von 40 amerikanischen F-16-Kampfjets gefordert. Biden machte bereits am Sonntag deutlich, dass er im Rüstungsverkauf ein Mittel sehe, um die türkische Blockade des schwedischen Beitritts zu lösen. Bislang hatte die US-Regierung stets betont, dass sie die von der Türkei angestrebte Modernisierung ihrer F-16-Flotte unterstütze, es sich dabei aber nicht um eine Gegenleistung für die Zustimmung des Landes zur NATO-Norderweiterung handele.
Auch der schwedische Ministerpräsident Ulf Kristersson zeigte sich zufrieden mit der Einigung. "Das ist ein guter Tag für Schweden gewesen", sagte er auf einer Pressekonferenz in der litauischen Hauptstadt Vilnius, wo ab Dienstag Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten zu einem Gipfel zusammenkommen. Er sei sehr froh darüber, dass Erdogan, Stoltenberg und er sich auf eine gemeinsame Erklärung einigen konnten, mit der man einen sehr großen Schritt zur formalen Ratifizierung des schwedischen NATO-Beitritts getan habe.
Zugleich betonte Kristersson, dass es sich bei den zwischen den Ländern vereinbarten Punkten von schwedischer Seite um langfristige Verpflichtungen handle. "Das hier ist also nicht nur etwas, was wir tun, um NATO-Mitglied werden zu dürfen", sagte er.
Auch Ungarn will Weg freimachen
"Gute Nachrichten aus Vilnius: Der Weg für die Ratifizierung von Schwedens NATO-Mitgliedschaft durch die Türkei ist endlich frei", erklärte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei Twitter. "Unsere gemeinsamen Anstrengungen haben sich gelohnt. Zu 32 sind wir alle zusammen sicherer. Herzlichen Glückwunsch, Schweden!" Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb: "Heute wurde in Vilnius ein historischer Schritt getan. Schwedens Weg in die NATO ist frei! Das ist eine gute Nachricht für das schwedische Volk und für unsere gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Eine stärkere NATO macht Europa sicherer."
Erdogan hatte zuvor nach monatelangem Widerstand den Weg für den schwedischen NATO-Beitritt freigemacht. "Schweden wird Vollmitglied der Allianz", sagte Stoltenberg nach einem Vermittlungsgespräch mit Erdogan und Kristersson in Vilnius. Erdogan sagte laut einer Erklärung zu, die Ratifizierung der schwedischen Beitrittsakte durch das Parlament seines Landes sicherzustellen. Dies soll nach Stoltenbergs Worten "so bald wie möglich" erfolgen. Er sprach von einem "historischen Tag".
Im Gegenzug schloss Schweden mit der Türkei einen "Sicherheitspakt" und sagte darunter einen "anhaltenden Kampf gegen den Terrorismus" zu. Erdogan hatte der Regierung in Stockholm vorgeworfen, zu wenig gegen Extremisten von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu tun. Stoltenberg will darüber hinaus bei der Militärallianz erstmals einen Sonderbeauftragten zum Kampf gegen den Terrorismus einsetzen. NATO-Mitglied Ungarn hat die schwedische Beitrittsakte wegen der ausstehenden türkischen Entscheidung ebenfalls nicht ratifiziert, will dies nach Angaben des NATO-Generalsekretärs aber nun nachholen.
Erdogan überraschte mit Forderung an EU
Kurz vor dem NATO-Gipfel hatte Erdogan die Partner mit einer völlig neuen Forderung überrascht: "Öffnet erst den Weg für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, und dann öffnen wir den Weg für Schweden", sagte er vor seiner Abreise nach Litauen. Daraufhin starteten NATO und EU in Vilnius eine konzertierte Vermittlungsinitiative. Nach Stoltenberg und Kristersson kam auch EU-Ratspräsident Charles Michel mit Erdogan zusammen. Michel versprach danach auf Twitter, die EU und die Türkei wollen ihre Beziehungen "wieder in Schwung bringen".
Die Verhandlungen der Türkei mit der EU liegen auf Eis, seit Erdogan nach einem gescheiterten Militärputsch gegen ihn Regierungskritiker unterdrücken ließ. Die EU-Staaten müssten eine Wiederaufnahme der Beitrittsgespräche einstimmig beschließen. Unter anderem wegen der Spannungen der Türkei mit den Mitgliedsländern Griechenland und Zypern gilt dies allerdings als schwierig.
Schweden war über lange Zeit militärisch neutral. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 änderte sich das aber und das Land beantragte ebenso wie Finnland die Mitgliedschaft in der NATO. Im Gegensatz zu Schweden ist Finnland aber bereits seit Anfang April dieses Jahres Mitglied.
Quelle: ntv.de, mli/dpa/AFP/rts