Politik

Regieren schwieriger als gedacht Nach einem Jahr hat die Realität Meloni voll erwischt

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Giorgia Meloni, hier am 17. September mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Lampedusa, wurde vor einem Jahr als Ministerpräsidentin vereidigt.

Giorgia Meloni, hier am 17. September mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Lampedusa, wurde vor einem Jahr als Ministerpräsidentin vereidigt.

(Foto: AP)

Ministerpräsidentin Meloni wollte ihr Amt mit Elan und Entschlossenheit angehen. Beim Umgang mit den Migranten wollte sie zeigen, dass eine rechte Regierung weiß, wie man das Problem löst. Gelungen ist es ihr nicht.

Bis zu 18 Monate sollen Migranten in Zukunft in italienischen Abschiebelagern verweilen. Lager, die das Heer jetzt herrichten soll, indem es etwa ungenutzte Kasernen zur Verfügung stellt. In jeder Region des Landes soll ein solches Lager stehen, geht es nach Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Ob eine solche Maßnahme die Menschen von der gefährlichen Seefahrt übers Mittelmeer nach Lampedusa abhalten wird, ist aber zu bezweifeln. Bisher hat keine der verschärften Verordnungen, die die rechte Koalition im Laufe ihres ersten Regierungsjahrs getroffen hat, um den Migrationsfluss zu stoppen, zum gewünschten Ergebnis geführt.

So verbot die Regierung privaten Seenotrettern Anfang des Jahres per Dekret, pro Fahrt mehr als einem Boot zu helfen. Eine NGO, die sich daran nicht hält, sollte mit Geldstrafen belegt, ihr Schiff beschlagnahmt werden. Auch wurden die NGOs meist in Häfen geschickt, die weit weg von ihrer Route lagen, in Norditalien statt im Süden. Auf die Wähler der drei Koalitionsparteien sollte das kraftvoll wirken, nach Durchregieren.

Doch das mit dem Durchregieren ist in der Praxis gar nicht so einfach. Was wurde im Wahlkampf nicht alles versprochen? Unlängst versuchte die Regierung, den Banken eine Extraprofitsteuer aufzubrummen, den Billigfluglinien einen Preisdeckel. Hat auch nicht funktioniert.

Die "Freunde" helfen nicht

Aber nirgends ist der Gegensatz zwischen Ankündigungen und Umsetzung so deutlich wie in der Migrationspolitik. Ein Jahr nach Regierungsantritt platzt Lampedusa aus allen Nähten. Tausende Migranten sind von Tunesien zu der kleinen sizilianischen Insel gefahren. Besonders dramatisch hat sich die Lage in den letzten Wochen entwickelt. An manchen Tagen verweilen bis zu 7000 Migranten dort, das sind mehr, als die Insel Einwohner hat.

Insgesamt sind seit Jahresbeginn über 133.000 Migranten in Italien angekommen - so viele zählte man das letzte Mal 2016. Dabei sollte doch alles besser werden! Lega-Chef Matteo Salvini wittert hinter den Zahlen eine Strategie. Wenn Hunderte von Booten an einem Tag ankommen, sei das ein "Kriegsakt", sagte er.

Ob die Regierung in Rom wirklich auf die Hilfe der politisch eigentlich gleichgesinnten Regierungen in Budapest und Warschau gehofft hat, ist zu bezweifeln. Ungarn und Polen denken gar nicht daran, Italien Flüchtlinge abzunehmen. Mario Draghi, Melonis Vorgänger als Ministerpräsident, hatte einst geraten, sich in Europa die richtigen Freunde auszusuchen. Schwer zu sagen, wer im Moment Melonis Freunde sind.

In erster Linie gegen die Schlepper?

Sowohl Berlin als auch Paris klagen darüber, dass Italien die Ankömmlinge einfach durchwinkt. Freiwillig nehmen Deutschland und Frankreich deshalb keine Migranten aus Lampedusa mehr auf. Außerdem stellen weitaus weniger Flüchtlinge einen Asylantrag in Italien, wie der Jahresbericht 2022 der Europäischen Agentur für Asyl (EUAA) bestätigt. Unter den fünf Ländern, auf die sich 70 Prozent der Asylanträge konzentrieren, befindet sich Italien mit 84.000 an letzter Stelle und liegt damit hinter Österreich, das 109.000 Anträgen verzeichnete. An erster Stelle war Deutschland mit 244.000 Anträgen - davon waren jedoch rund 26.000 Folge- und etwa 218.000 Erstanträge. Es folgten Frankreich mit 156.000 und Spanien mit 118.000 Anträgen.

Meloni wiederholt immer wieder, dass sie es in erster Linie auf die Schlepper abgesehen hat. Wenn man sich die neuen Verordnungen aber ansieht, trifft das aber nicht unbedingt zu.

Ein Beispiel liefert das Seeunglück vor Cutro, bei dem in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar vor der kalabrischen Küste über 70 Menschen, darunter auch Kinder, das Leben verloren - die genaue Zahl wird man, wie bei so vielen anderen Schiffbrüchen dieser Jahre, nie wissen. Meloni bestellte damals ihr Kabinett zu einer Sitzung nach Cutro, um ein Zeichen des Mitgefühls und der Trauer zu setzen.

Nichts schreckt die Migranten ab

Was die Regierung an jenem Tag beschloss, waren härtere Strafen für Schlepper, die nun mit bis zu 30 Jahren Haft rechnen müssen. Doch auch die Migranten, auch jene, die schon in Italien sind, wurden mit härteren Bedingungen konfrontiert. Zum Beispiel, was den Sonderschutz für Menschen betrifft, die zwar kein Recht auf Asyl haben, aber bei Rückführung in die Heimat unmenschlichen und/oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt wären. Um diesen Sonderschutz zu bekommen oder zu erneuern, wurden die Bedingungen verschärft. Wie der Sommer aber gezeigt hat, konnte keine dieser Maßnahmen die Menschen davon abhalten, ihr Leben zu riskieren und die Überfahrt zu wagen.

Die neuen Rückführungslager sollen in spätestens zwei Monaten bereitstehen. Dass die von Mitte-Links-Präsidenten geführten Regionen dagegen sind, verwundert niemanden. Für Aufsehen hat aber die Stellungnahme von Luca Zaia gesorgt, Präsident des Veneto und einer der wichtigsten Politiker der nationalistischen Lega von Melonis Vize Salvini. Zaia wies darauf hin, die Einrichtung solcher Zentren sei sinnlos, denn sie würden die Rückführung nicht erleichtern.

Und was geschieht mit den Migranten, die das Heimatland nicht zurücknimmt und die schon18 Monate im Abschiebelager verbracht haben? "Na ja, der Migrant muss dann aus dem Lager verabschiedet werden", sagt Rechtsanwalt Guido Savio ntv.de. Er ist auf Migrationsrecht spezialisiert und Mitglied des Verbands für juristische Studien zum Thema Migration (ASGI). "Bei der Verabschiedung bekommt er auch einen Ausweisungsverweis und müsste demzufolge das Land binnen sieben Tagen verlassen." Wenn er dem Verweis nicht folgt und er geschnappt wird, "dann fängt das Ganze wieder von vorn an".

Wie Meloni unlängst sagte, darf Italien nicht zum Flüchtlingslager Europas werden. Es stimmt auch, dass die Demokraten jetzt auf den Oppositionsbänken, gut reden haben, es selbst aber auch nicht geschafft haben, eine Lösung zu finden, die alle 27 EU-Staaten in die Verantwortung nimmt. Dass Kraftakte aber auch nicht die Lösung sind, hat dieses erste Regierungsjahr deutlich gezeigt.

Quelle: ntv.de

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