Seehofer droht Neuwahlen? Bloß nicht!
19.11.2013, 18:01 Uhr
Horst Seehofer fordert Neuwahlen - keine gute Idee.
(Foto: dpa)
Das Wahlergebnis vom September hat die politischen Lager aufgebrochen. Wer sich zuvor bekämpfen konnte, muss nun miteinander reden. Auch für die Wähler wird es komplizierter. Wer jetzt Neuwahlen fordert, will es sich leicht machen.
Was aus internen Sitzungen an die Öffentlichkeit dringt, ist selten reiner Zufall. Dieses Mal zitiert die "Süddeutsche Zeitung" aus dem CSU-Parteivorstand: Horst Seehofer habe von Neuwahlen gesprochen und gesagt, davor sei ihm nicht bang. Nachdem die SPD sich mit ihrem Mitgliedervotum Verhandlungsmacht verschafft hat, zieht nun die Union nach und droht.
Nicht nur Seehofer ist verhandlungsmüde, schon im Oktober sprach sich in einer Umfrage jeder Dritte für Neuwahlen aus. Während sich die Koalitionsverhandlungen hinziehen, fordern in sozialen Medien viele Nutzer, den Prozess einfach abzubrechen und die Deutschen wieder in die Wahllokale zu rufen. Doch wer so denkt, macht es sich zu leicht.
Zunächst einmal würden Neuwahlen viel Geld und vor allem Zeit kosten. Seit der Bundestagswahlkampf begonnen hatte, passiert in Berlin kaum noch etwas, das ist nun schon sechs Monate her. Im Juni gingen die Abgeordneten in die Sommerpause, seitdem wurden keine Gesetze mehr verabschiedet. Die neu gewählten Kollegen warten seit September darauf, die Arbeit aufnehmen zu können. Doch solange die Bundesregierung nicht steht, werden auch keine Ausschüsse gebildet. Die Minister sind seit der Bundestagswahl nur noch geschäftsführend im Amt, ihre Ministerien verwalten sich hauptsächlich selbst.
Weil Berlin auf der Bremse steht, wird auch in Brüssel der politische Betrieb aufgehalten. Im Mai stehen die Europawahlen an, das Zeitfenster für Reformen wie die Bankenunion ist jetzt schon klein. Über Neuwahlen in Deutschland würden Regierungen in ganz Europa die Augen verdrehen.
Willen der Wähler ernst nehmen
Dazu kommt, dass Neuwahlen eventuell gar nichts ändern würden. Die Umfragen zeigen keine großen Veränderungen zum Wahlergebnis vom 22. September an. Dass die Regierungsbildung einfacher würde, ist also nicht gesagt. Die Zeit könnte schlicht verschenkt sein.
Der erlahmte politische Betrieb ist nicht das wichtigste Argument gegen Neuwahlen. Wichtiger ist, dass die Politiker einen klaren, demokratisch sauber zustande gekommenen Auftrag haben. Es ist ihre Pflicht, den Willen der Wähler ernst zu nehmen. So lange wählen zu lassen, bis den Politikern das Ergebnis gefällt, kann nicht richtig sein.
Neuwahlen sind nur dann legitim, wenn eine Regierungsbildung absolut nicht möglich ist, doch genau das Gegenteil ist der Fall: Die Grünen reden mit der Union, die Union redet mit der SPD und die SPD öffnet sich zur Linken. Noch wird die Linke von vielen Abgeordneten als "nicht regierungsfähig" eingestuft, aber sie hat ja auch nur 64 von 631 Sitzen im Bundestag. Alle anderen Parteien können miteinander koalieren, wenn der Wille da ist.
Ideologische Grenzen sind überwunden
Die Sondierungsgespräche haben gezeigt, dass die ideologischen Grenzen zwischen den politischen Lagern längst überwunden sind. Stets betonten die Verhandlungsführer, wie "konstruktiv" die Runden gewesen seien. Dadurch wurde endgültig deutlich: Die Aufteilung in ein konservatives und ein linkes Lager, wie es sie in Deutschland seit den 80er Jahren gibt, war am Ende nur noch künstlich.
Die Parteien hatten sich in diesem System gut eingerichtet: Man konnte gemeinsam Wahlkampf machen und wusste immer, wer der Gegner ist. Auch die Wähler hatten es leicht: Anstatt sich die Programme von fünf bis sechs Parteien anzuschauen, konnten sie sich für "links" oder "rechts" entscheiden, der Rest war zweitrangig.
Durch das Wahlergebnis und die Sondierungen wurde klar, dass die politische Landschaft in Deutschland differenzierter ist und dass die Parteien zusammenarbeiten können, wenn es sein muss. Die neue Offenheit kann der politischen Kultur in Deutschland nur gut tun, auch wenn es für die Politiker erst einmal eine Herausforderung ist. Politiker, die nun Neuwahlen fordern, wünschen sich das alte, überschaubare System zurück. So einfach dürfen sie es sich nicht machen.
Quelle: ntv.de