Politik

"Der bezaubernde Herr Juncker" Nigel Farage zückt seinen Pass

Ein Bild für die Wähler: Ukip-Chef Farage und sein Pass.

Ein Bild für die Wähler: Ukip-Chef Farage und sein Pass.

(Foto: dpa)

Es steht viel auf dem Spiel, und jedes Wort zählt. Bei einem Fernsehauftritt versuchen die prominentesten Brexit-Anhänger und Gegner, Farage und Cameron, Land zu gewinnen - bissig und ungewohnt emotional.

Wenn Nigel Farage, der Chef der rechtspopulistischen Ukip-Partei in Großbritannien, eine Woche nicht zu trinken verspricht, muss die Lage ernst sein. Und das ist sie. In zwei Wochen stimmen die Briten über den Brexit ab, die EU ist zutiefst besorgt, und Großbritannien watet in politischen Schlammschlachten. Jetzt traten erstmals in einer Fernsehshow - wenn auch nur nacheinander und nicht in einer direkten Debatte - ausgerechnet die beiden Männer an, ohne die es das Brexit-Referndum nie gegeben hätte: der konservative Premierminister David Cameron, der den EU-Austritt zur Abstimmung stellte, und Farage, der seit Jahren die EU verhöhnt und bekämpft.

Farage, von Cameron auch schon mal als Clown bezeichnet, zeigte sich bei der Fragestunde des Senders ITV vor 200 teils sehr hartnäckigen Zuschauern von seiner alten Seite. Wenn EU–Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Briten nach einem EU-Austritt nicht mehr willkommen seien, sei ihm das gerade recht, sagte er unter dem Gelächter des Publikums. Der "bezaubernde Herr Juncker bedroht uns, wenn wir austreten", doch Großbritannien wolle seine eigenen Gesetze in seinem eigenen Parlament machen. "Wir sind britisch. Wir werden uns doch von niemandem ins Bockshorn jagen lassen."

Besonders beim Thema Einwanderung, das immer mehr zum bestimmenden Thema der "Leave"-Kampagne geworden ist, geriet Farage in Fahrt und hielt, um seinen Punkt zu unterstreichen, seinen britischen Pass vor die Kameras. Cameron habe versprochen die Zahl der Zuwanderer zu senken, dabei würde die Einwanderung rasant steigen. "Wir müssen alle vier Minuten eine neue Wohnung bauen", wenn nichts getan werde, gebe es bald 80 Millionen Bürger in Großbritannien. Und dann bringt Farage, wie so viele Brexit-Anhänger, Bundeskanzlerin Angela Merkel ins Spiel. Sie habe eine bestimmte Flüchtlingspolitik losgetreten, was dazu geführt habe, dass in den letzten 15 Monaten 5000 Dschihadisten in die EU gekommen seien. Womit er wohl auf Merkels Öffnung der Grenzen anspielte, die allerdings erst Anfang September des vergangenen Jahres erfolgte.

Den Vorwurf einer jungen Frau, dass er die Angst bei dunkelhäutigen Briten verstärke und Panikmache betreibe, wies Farage weit von sich. Er sei sehr für das Commonwealth, und auch viele Dunkelhäutige hätten für Ukip gestimmt und seien als Kandidaten aufgetreten. Auf die Nachfrage, wie viele das denn gewesen sein, blieb er allerdings die Antwort schuldig.

"Das nehme ich nicht hin"

Überhaupt wirkte Farage, zu dessen Hobbys der Besuch alter Schlachtfelder aus dem Ersten Weltkrieg gehört, gelegentlich ein wenig angefressen. Einer Frau, die ihm vorwarf, Rassismus zu befeuern, riet er, "sich doch zu beruhigen". Auf den Einwand einer anderen Frau, dass er gegen Einwanderung sei, sagte er: "Das nehme ich nicht hin." Als ein besorgter Pharmazeut einwarf, dass er seinem Job nur in der EU nachkommen könne, erklärte Farage, er möge die Pharmaindustrie nicht. Sie gebe ein Vermögen für Lobbying in Brüssel, alternative Medizin werde an die Wand gedrückt.

Wie viele Brexit-Anhänger kritisierte Farage zudem die Prognosen zahlreicher Wirtschaftsinstitute und Ökonomen, die vor einem Brexit warnen. Deren Vorhersagen hätten sich in den letzten Jahren immer als falsch herausgestellt. Letztlich, so Farage, seien die Kosten durch die EU viel höher als die Vorteile für die Briten. Zahlen nannte er nicht.

Auf die warnenden Prognosen der Wirtschaft und der Bank von England berief sich dafür umso mehr Cameron, der unter starkem Druck steht. Schließlich sagen alle Umfragen bei dem Referendum ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen voraus, und viele Beobachter glauben: Kommt es zu einem Brexit, wird sich Cameron kaum im Amt halten können. Wie in den vergangen Wochen spielte er auch an diesem Abend vor allem die wirtschaftliche Karte aus. Der Tenor: Der britische Lebensstandard würde unter einem Brexit massiv leiden. Die Preise würden fallen, die Arbeitslosigkeit steigen, eine Rezession sei möglich. Das Bruttoinlandprodukt sei – entgegen Farages Äußerungen - die entscheidende Zahl.

Ansonsten musste sich Cameron vor allem gegen den Vorwurf aus dem Publikum wehren, nicht genug gegen die Zuwanderung getan zu haben. 2015 lag sie bei mehr als 330.000 Einwanderern, Cameron hatte zuvor versprochen, diese Zahl auf 100.000 zu reduzieren. Immer wieder pries Cameron nun den Deal, den er im Februar mit der EU erzielt hatte. Jetzt müssten EU-Einwanderer, die keine Arbeitsstelle fänden, nach kurzer Zeit in ihre Heimat zurückkehren. Das Sozialsystem könnten sie nicht belasten.

"Wir sind Kämpfer"

Cameron warnte davor, dass es nach einem Brexit auch in Schottland erneut zu einem Unabhängigkeitsreferendum kommen könne. Erst 2014 hatten die Schotten mit knapper Mehrheit die Unabhängigkeit abgelehnt. Da viele Schotten jedoch in der EU bleiben wollen, haben einige Politiker bereits angekündigt, eine neue Abstimmung anzusetzen.

Wohl auch um der Patriotismuskarte von Farage etwas entgegenzusetzen, gab sich Cameron erstaunlich emotional: "Ich liebe dieses Land. Wir sind ein wunderbares Land." Zugleich zeigte er sich – das kommt in Großbritannien schließlich seit Jahrzehnten gut an – durchaus EU-kritisch. Viele Regulierungen aus Brüssel seien frustrierend, natürlich mache ihn die EU manchmal "verrückt". "Aber wenn wir aus der EU austreten, wird es keine Reformen mehr geben. Wir würden uns von draußen die Nase plattdrücken und zuschauen, wie die anderen 27 die Regeln bestimmen." Doch auch nach dem 23. Juni, dem Tag des Referendums, wolle er weiter die EU reformieren. "Wir sind Kämpfer." Schließlich sei es die britische Sache, "für Großbritannien in der EU zu kämpfen, nicht für Nigel Farages Little England".

Quelle: ntv.de

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