Politik

Wieduwilts Woche Olaf Scholz und seine grünen Kanzler

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(Foto: picture alliance/dpa)

Der stille Scholz, der nuschelnde Habeck und zur Not ein Haufen Geld: Die Regierung hat schlimme Krawallangst und tut derzeit wirklich alles, um die Volksnerven zu beruhigen. Sichtbare Führung zeigen die grünen Minister.

Haben Sie sich heute auch schon für Freude über etwas geschämt? Kann man eigentlich vergnügt ein Eis essen und in den blauen Himmel blinzeln, wenn in Sichtweite Kriegsflüchtlinge anlanden? Haben Sie vielleicht erzählt, dass Ihre Präsentation heute wie eine Bombe eingeschlagen sei - und dann beim Blick auf die Nachrichten diese Formulierung bereut? Wir Deutschen leben in einem Kippbild: Mal sieht alles nach Krieg, Tod und Verderben aus, dann wiederum blühen die Kirschbäume und die Regierung schenkt jedem bedingungslose 300 Euro.

Panik und Normalität liefern sich in der deutschen Volksseele eine Rauferei, manchmal ist der eine oben, mal der andere. Der Russe im Kreml droht mit Atomkrieg, aber, ganz ehrlich, macht er das nicht ständig? Überhaupt: Eine Sicherheitsexpertin erklärte doch bei Lanz, so weit werde es schon nicht kommen, schließlich könne man nach dem nuklearen Knall nicht noch einmal drohen, das wäre taktisch unsinnig. "Wir wollen so viel Normalität zurück wie möglich", sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann. Er meinte die Pandemiemaßnahmen, aber mir scheint, er gibt damit einem womöglich deutschen Bedürfnis und jedenfalls einem strategischen Ziel der Bundesregierung Ausdruck: Wann wird’s mal wieder richtig normal, so normal wie es früher einmal war?

Als der Kanzler kürzlich die "Zeitenwende" ausrief, bemerkte niemand, dass er eine um 360 Grad meinte. Offenbar ist es eine eiserne politische Regel, dass sich deutsche Bürger nicht über ein gewisses Maß erregen dürfen. Diese Politik ist das Gegenteil des Actionfilms "Crank": Während dort die Hauptfigur immer wieder Adrenalinschübe braucht, um nicht an einer Vergiftung zu sterben, brauchen wir Deutschen Freedomday, 300 Euro oder eine Olaf-Scholz-Rede, damit wir nicht vor Aufregung umkommen. Scholz eröffnete kürzlich ein Tesla-Werk, das Signal: "die Wirtschaft summt", alles in Ordnung, bitte ziehen Sie keine gelben Westen an. "Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft" ist, wie Selenskyj schmerzhaft formulierte, eben unser Hauptanliegen.

Die deutsche Normalitätssucht

Niemand verkörpert der Deutschen Normalitätssucht wie der wirklich jegliche Aufmerksamkeit meidende Bundeskanzler. Olaf Scholz sparte sich eine historische Rede im Bundestag zur Ukraine, zunächst komplett, nämlich nach Selenskyjs Auftritt, dann ein paar Tage später, als er referierte, was man alles nicht tun werde - keine Angst! Als die NATO am Donnerstag das Familienfoto schoss, fehlte der Kanzler komplett, er kam zu spät - Kameraangst?

Wenn Putin den Kanzler in Schockstarre versetzen will, reicht vermutlich ein überraschender Anruf über Facetime. Winston Churchill hielt seine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede im Zweiten Weltkrieg, Jimmy Carter schwor sein Volk 1977 auf eine Energiewende ein, die moralisch einem Krieg entspreche. Doch Scholz betrachtet das Drängen hauptstädtischer Kommentatoren auf eine Rede an die Nation in etwa so wie Horatio Hornblower ans Bullauge spritzendes Salzwasser: regungslos.

Ohne Scholz und mit einer eher desaströsen Verteidigungsministerin leuchtet die Ampel vor allem grün: Annalena Baerbock und Robert Habeck haben zu der Form gefunden, die ihnen im Wahlkampf ohne den verkorksten Start umstandslos das Kanzleramt verschafft hätte. Nun teilen die beiden Grünen sich das Kanzleramt, jedenfalls in der Außendarstellung - als Duo haben sie auch vor dem Wahlkampf gut funktioniert.

Habeck, ein Youtuber mit Krawatte

Da der Weltengeist manchmal zu bösen Anmerkungen neigt, leuchtete er ausgerechnet in dieser Woche das Leben Madeleine Albrights aus: Die nun verstorbene Politikerin sei, analysiert die "Washington Post", auch deshalb emporgestiegen, weil sie sich vor Kameras wohlfühlte - anders als Clintons "hölzerner" Staatssekretär und der "medienscheue" Sicherheitsberater. Die Chancen auf Ruhm hängen eben auch immer davon ab, wie schlecht die Kollegen performen.

Robert Habeck, Bundesinnenkanzler, findet Kanzlerworte für das Chaos, er weist verwuschelt und zerknirscht den Weg in eine Zukunft der faulen Kompromisse (Katar). Habeck greift den Volksschmerz auf, er macht die Dilemmata sichtbar, er weicht keiner Frage aus - und wenn, dann so, dass es niemand merkt. Das geschriebene Wort ist das primäre Medium des Buchautors, das Gesprochene eher eine Art Hobby, nicht jedes Bild, nicht jede Formulierung sitzt da perfekt, aber das passt ja zum arrangiert unarrangierten Gesamtauftritt des Norddeutschen. Er ist der Lehrer, der vor der Matheklausur den Schüler nicht ermahnt, sondern mit ihm fiebert, sich zur Motivation auch mal auf einen Tisch stellt und auf der Klassenfahrt eine Flasche Wein kreisen lässt.

Auch Video, das ultimative Medium unserer Zeit, beherrscht Habeck wie kaum ein zweiter. Dazu muss er sich gar nicht als Selenskyj inszenieren, wie der auch insofern verunfallte, wahlkämpfende Tobias Hans neulich. Habeck simuliert nicht, er kann es wirklich: Mit Mikrofon in der Hand berichtet er reporteresk aus Katar, quasi ein in sich selbst eingebetteter Korrespondent, ein Kommentator und nicht etwa Protagonist des unangenehmen Weltgeschehens.

Baerbock zerlegt Merz

Habeck ist Erzähler des eigenen Handelns. Sein Ministerium produzierte dazu ein spontan wirkendes, allerdings perfekt ausgeleuchtetes Video, in dem der Norddeutsche scheinbar frei von der Leber wegerzählt. Hier und da setzt jemand einen Schnitt, um Versprecher zu kaschieren. Habeck, ein Youtuber mit Krawatte. Er habe Sorge gehabt, ob er Menschenrechte "so ‘in your face’" ansprechen könne, erzählt er, habe aber doch geklappt, kein Problem Leute, jetzt geht’s wieder nach Hause - ja lol ey.

Von außen betrachtet wiederum ist Annalena Baerbock Bundeskanzlerin. Sie überzeugt sogar beinharte Konservative. Die Ministerin spricht, führt und kontert sich durch das Ende der Friedensordnung. Vergessen ihr Englisch, das Plagiat, die Arroganz - auch Kritiker sehen: Huch, die kommt ja wirklich vom Völkerrecht.

Als Unionschef Friedrich Merz, inzwischen auch mental voll in der Opposition angekommen, in der Haushaltsdebatte einen billigen Seitenhieb auf "feministische Außenpolitik" wagt, begeht er einen gewaltigen Fehler. Baerbock baut sich auf und zerlegt den rhetorisch keineswegs unbewaffneten Merz, berichtet von Vergewaltigungen auf dem Balkan, Gesprächen mit den Müttern von Srebrenica, das sei "kein Gedöns, sondern das ist auf der Höhe dieser Zeit". Es ist eine dermaßen scheppernde verbale Abreibung, dass Merz sich danach wirklich kurz prüfend an die maskierte Nase fasst.

Deutschland, der schläfrige Hegemon

Was bedeutet das für den echten, formalen Kanzler? Er lässt, wie angekündigt, glänzen, für die Ruhe in Land und Ampel. Beim zweiten Entlastungspaket präsentierte sich das Regierungsbündnis in gewohnter, harmonischer, geordneter Form. Die stille Führung funktioniert, aber will Scholz als Verwalter der anderen in die Geschichtsbücher eingehen? Die offenbar wirklich extreme Kamera- und Medienscheu steht dem Kanzler im Wege, in diesen Krisenzeiten zur historischen Führungsgestalt zu wachsen.

Wenn Deutschland unter Merkel noch ein "widerstrebender Hegemon" war, wie der "Economist" 2013 einmal schrieb, ist es jetzt eher ein schläfriger. Dabei haben wir gerade die G7-Präsidentschaft - haben Sie das bemerkt? Eine Umfrage bescheinigt dem Kanzler Rückhalt in der Bevölkerung, doch im Trendbarometer fallen SPD und Scholz bereits ab. Eine andere Studie deutet an, dass die Deutschen sich stärkere Einmischung ihres Landes in Krisen wünschten.

Vielleicht halten wir ja die Aufregung sogar ein bisschen besser aus, als die Ampel meint.

Quelle: ntv.de

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