"Kontraproduktiv", "verstörend" Orbans Moskau-Reise macht Washington und die EU wütend
05.07.2024, 21:17 Uhr Artikel anhören
Viktor Orban besucht Wladimir Putin.
(Foto: picture alliance/dpa/POOL)
Ungarns Regierungschef Orban provoziert mit einer unabgesprochenen Reise nach Moskau. Das Treffen mit dem russischen Präsidenten Putin kommt bei den Kolleginnen und Kollegen der EU alles andere als gut an. Auch die US-Regierung ist besorgt.
Die US-Regierung hat besorgt auf die überraschende Reise des ungarischen Regierungschefs Viktor Orban nach Moskau reagiert. Das Verhalten des NATO-Partners sei mit Blick auf die Souveränität der Ukraine "kontraproduktiv" und trage nicht zum Frieden in dem von Russland angegriffenen Land bei, sagte die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Karine Jean-Pierre. "Russland könnte diesen Krieg noch heute beenden, indem es seinen Angriff gegen die Ukraine, gegen ihre Souveränität und gegen ihre Demokratie aufgibt."
Orban war kurz nach der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn zu Russlands Präsident Wladimir Putin nach Moskau gereist. Er sehe die Ratspräsidentschaft als Friedensauftrag, sagte Orban bei einer Pressekonferenz mit Putin. Das im Westen isolierte russische Staatsoberhaupt dankte Orban für den Versuch, die Beziehungen zwischen seinem Land und Europa zu verbessern, erklärte sich aber nur bereit, über "Nuancen" der russischen Vorstellungen für einen Frieden zu sprechen.
Die Europäische Union betonte, dass Orban kein Mandat für Verhandlungen mit Russland habe. "Wer wirklich Frieden will, schüttelt nicht die Hand eines blutbefleckten Diktators, sondern unterstützt mit allen Kräften die Ukraine", schrieb Litauens Präsident Gitanas Nauseda auf X. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verglich den Auftritt von Orban mit der nachgiebigen britischen Politik gegen gegenüber Hitler-Deutschland in den 1930er-Jahren: "Appeasement wird Putin nicht stoppen", schrieb sie auf X.
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, dass Orban nicht als Vertreter der EU Gespräche führe, sondern als Vertreter Ungarns. Der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo nannte das Vorgehen Orbans "verstörend": Der Besuch zeige die "Missachtung der Aufgaben der EU-Ratspräsidentschaft und untergräbt die Interessen der Europäischen Union."
Putin verlangt ukrainische Kapitulation
Putin erklärte, er habe mit Orban über die Lage in der Ukraine gesprochen. Der russische Präsident betonte erneut seine Sichtweise, dass seine Vorschläge der Schlüssel zur Lösung des Konflikts seien. Putin verlangt den vollständigen Rückzug aller ukrainischen Soldaten aus den von Russland beanspruchten ukrainischen Gebieten. Die Annahme dieser Bedingungen würde einer ukrainischen Kapitulation gleichkommen.
Orban räumte ein, die Standpunkte der Regierungen in Kiew und Moskau lägen weiterhin weit auseinander. "Viele Schritte sind nötig, um den Krieg zu beenden, doch wir haben den ersten Schritt zur Wiederherstellung des Dialogs getan", sagte der ungarische Regierungschef in Moskau.
Kurz vor der Moskau-Reise war Orban bereits nach Kiew gereist. Dort drängte er Präsident Wolodymyr Selenskyj dazu, eine Feuerpause mit dem Angreifer Russland in Betracht zu ziehen.
Orban von Putin abhängig?
Orban ist zuletzt immer mehr mit einer vergleichsweise Russland-freundlichen und Ukraine-kritischen Position aus den Reihen der EU-Länder ausgeschert. Auch in anderen Fragen geht der Rechtspopulist immer wieder auf Konfrontationskurs zu Brüssel. Die EU-Kommission belegte Ungarn wiederholt mit Sanktionen, unter anderem wegen Verstoßes gegen demokratische Grundsätze im eigenen Land.
Die turnusmäßige ungarische EU-Ratspräsidentschaft hat Orban unter das Motto "Make Europe Great Again" (Macht Europa wieder groß) gestellt und spielte damit auf den Slogan von Ex-US-Präsident Donald Trump (Make America great again) an. Der wegen vielfacher Falschaussagen umstrittene Trump ist ein scharfer Kritiker der EU. Orban pflegt zu ihm gute Beziehungen.
Von allen EU-Regierungschefs gilt der rechtskonservative Orban als derjenige, der Putin am meisten zugeneigt ist. Das Selbstbild als Friedensbringer nehmen ihm EU-Diplomaten nicht ab. Sie sagen, es gehe Orban lediglich darum, weiter günstiges russisches Gas und Öl beziehen zu können. Die ungarische Energieversorgung ist maßgeblich von Russland abhängig: 85 Prozent der ungarischen Gas-Importe stammen aus Russland; beim Erdöl sind es 65 Prozent.
Quelle: ntv.de, chr/rts/dpa