Politik

Zoff um Justizreform Polen kontert EU im Streit um Verfassung

Die aktuelle polnische Regierung um das Kabinett von Beata Szydlo versucht laut EU, die Rechtsstaatlichkeit zu untergraben.

Die aktuelle polnische Regierung um das Kabinett von Beata Szydlo versucht laut EU, die Rechtsstaatlichkeit zu untergraben.

(Foto: picture alliance / Pawel Superna)

Polen will an seinem Verfassungsgericht nichts ändern und kommt damit Forderungen der EU-Kommission nicht nach. Das Problem im Zwist um die Rechtsstaatlichkeit sei gelöst, argumentiert Warschau. Jetzt könnte Brüssel mit dem Entzug des Stimmrechts drohen.

Im Streit um die Rechtsstaatlichkeit in Polen hat die Regierung in Warschau Kritik aus Brüssel erneut zurückgewiesen. Die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts sei gewährleistet. Es gebe keine Grundlage für die Behauptung, in Polen sei die Rechtsstaatlichkeit bedroht, teilte das Außenministerium mit. Das Problem sei mit der Wahl der neuen Gerichtsvorsitzenden sowie Nachbesserungen der Justizreform im Dezember gelöst worden.

Die demokratische Ordnung aufrechtzuerhalten sei Warschaus oberstes Ziel, wehrte sich die nationalkonservative Regierung gegen Vorwürfe Brüssels. Die EU-Kommission wollte die Äußerungen aus Warschau auf Anfrage nicht kommentieren. Sie hatte vor gut einem Jahr ein Prüfverfahren gegen Polen eingeleitet, weil sie die Rechtsstaatlichkeit in dem Mitgliedsland in Gefahr sieht.

Arbeitsweisen des Gerichts verändert

Die EU wirft der Regierung in Warschau vor, die öffentlich-rechtlichen Medien kontrollieren zu wollen. Tatsächlich häufen sich in Polen Vorwürfe, die Medienhäuser betrieben Regierungspropaganda und Zensur. Noch mehr Sorge bereitet Brüssel aber die Reform des polnischen Verfassungsgerichts. Die Regierung, bestehend aus Mitgliedern der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), habe die Arbeitsweise des Gerichts und die Besetzung der Richterposten so geändert, dass das Tribunal die Regierung nicht ungehindert kontrollieren könne, lautet die Kritik. Die Kommission sieht eine Säule des Rechtsstaats in Gefahr.

Die EU-Kommission fordert Änderungen, ein erstes Ultimatum war allerdings bereits im Oktober erfolglos verstrichen. Damals wies Warschau Forderungen Brüssels als "ungerechtfertigt" zurück. Daraufhin setzte die EU-Kommission im Dezember erneut eine Frist, die nun abläuft.

Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission.

Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission.

(Foto: picture alliance / Olivier Hosle)

Auch jetzt sieht sich Polen insbesondere durch Kritik von Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, der Sorge um Polens Demokratie geäußert hatte, zu Unrecht attackiert. Mit seinen politisch motivierten Äußerungen habe er Polen angeprangert, warf ihm das Außenministerium vor. Dies sei ein eindeutiger Verstoß gegen Prinzipien von Objektivität, Subsidiarität und Respekt vor der Souveränität. "Wir appellieren an den Vizevorsitzenden der Europäischen Kommission, damit aufzuhören", forderte die polnische Regierung.

Regierungsnähe der neuen Gerichtsvorsitzenden?

Um den Konflikt zu entschärfen, hatte die PiS das umstrittene Gesetz zwar mehrfach nachgebessert, entscheidende Forderungen Brüssels jedoch ignoriert. So wollen die Nationalkonservativen etwa nicht von der nachträglichen Wahl dreier Verfassungsrichter abrücken, mit denen sie Kandidaten der Vorgängerregierung ersetzten.

Vor allem der ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts, Andrzej Rzeplinski, wehrte sich hartnäckig gegen die Reformen. Doch nach dem Ende seiner Amtszeit im Dezember 2015 sei das Tribunal nun vollständig in der Hand der PiS, warnen Juristen.

Die neue Gerichtsvorsitzende Julia Przylebska ließ die umstrittenen drei neuen Kandidaten schließlich ins Amt der Verfassungsrichter. Przylebska war 2015 durch Stimmen der PiS in das Gericht gewählt worden, Kritiker werfen ihr Regierungsnähe vor. Zudem sei ihre Wahl zur Vorsitzenden durch Reformen der PiS begünstigt und sie durch Stimmen der Nationalkonservativen ins Gericht gewählt worden, heißt es.

Da die PiS weiterhin die EU-Kritik von sich weist, könnte Brüssel nun die Anwendung von Artikel 7 der EU-Verträge vorschlagen. Dieser sieht vor, dass bei einer "schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung" der im EU-Vertrag verankerten Werte einem Mitgliedsland in letzter Konsequenz auch die Stimmrechte entzogen werden können.

Tatsächlich gilt dies als unwahrscheinlich. Denn selbst wenn die Kommission den Antrag stellt, müssten die übrigen 27 Mitgliedsstaaten über die nächsten Schritte abstimmen. Die Feststellung, dass ein ernster und dauerhafter Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip vorliegt, müsste im Europäischen Rat einstimmig fallen - eine hohe Hürde. Insgesamt herrscht bei den anderen Ländern eine Art Beißhemmung. Angesichts der tiefen Krise der EU wollen sie nicht noch eine neue Front aufmachen.

Quelle: ntv.de, ara/dpa/AFP

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