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NATO-Treffen nach Artikel 4 Polen versetzt Teile der Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft

Die Warschauer-Armee bei einem Trainingstag Ende Oktober.

Die Warschauer-Armee bei einem Trainingstag Ende Oktober.

(Foto: picture alliance / AA)

Das Nachbarland Polen war bislang vom russischen Angriffskrieg nicht direkt betroffen. Doch nun bestätigt Warschau einen Einschlag von Raketen auf seinem Staatsgebiet. Damit greift der Krieg erstmals auf das Gebiet von EU und NATO über. Das militärische Bündnis hat bereits ein Treffen anberaumt.

Polen hat nach einem Raketeneinschlag in seinem Grenzgebiet zur Ukraine einen Teil seiner Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft versetzt. Dies gelte auch für andere uniformierte Dienste, sagte ein Regierungssprecher in Warschau. Die polnische Führung hielt zwei Krisentreffen ab und bestätigte den Einschlag von Raketen aus russischer Produktion auf polnischem Staatsgebiet. Eine Rakete sei um 15:40 Uhr (Ortszeit) in dem Dorf Przewodow niedergegangen, teilt das polnische Außenministerium mit. Der russische Botschafter sei einbestellt worden. Mit der Herkunft der Rakete ist allerdings noch nicht geklärt, welches Land sie eingesetzt hat. Sowohl die Ukraine als auch Russland verwenden Raketen sowjetischer Konstruktion.

Es gebe Hinweise darauf, dass es sich bei dem Geschoss um eine Flugabwehrrakete aus der Ukraine handelt, teilte US-Präsident Joe Biden bei einem Treffen mit anderen Staats- und Regierungschefs von NATO- und G7-Staaten auf Bali mit. Er soll demnach von einer Rakete des Systems S-300 gesprochen haben.

Ein Sprecher des polnischen Außenministeriums betonte, dass am Dienstag ein massiver Beschuss des gesamten ukrainischen Territoriums und seiner kritischen Infrastruktur durch die russische Armee zu beobachten gewesen sei. Das Dorf Przewodow liegt etwa 60 Kilometer Luftlinie entfernt von der westukrainischen Stadt Lwiw, die auch Ziel russischer Angriffe war. Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda sprach mit US-Präsident Joe Biden und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über den Vorfall.

Laut einem NATO-Sprecher werden sich die Vertreter der NATO-Mitgliedsstaaten am heutigen Mittwoch auf Bitten Polens treffen. Das Treffen werde auf Basis von Artikel 4 der NATO abgehalten. Artikel 4 besagt, dass die NATO-Mitglieder einander konsultieren, wenn etwa die Sicherheit eines Mitglieds bedroht ist.

Moskau spricht von Provokation

In einem polnischen Ort etwa sechs Kilometer von der ukrainischen Grenze kamen am Dienstag bei einer Explosion auf einem landwirtschaftlichen Betrieb zwei Menschen ums Leben. Mit der Bestätigung Polens bewahrheiten sich Berichte, wonach die Explosion von Raketen ausgelöst wurden und das ist somit der erste derartige Vorfall in dem seit fast neun Monaten dauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Polen, ein Nachbarland der Ukraine, ist Mitglied der EU und des westlichen Verteidigungsbündnisses NATO.

Moskau dementierte die Berichte umgehend und sprach von einer "Provokation". Es seien keine Ziele im ukrainisch-polnischen Grenzgebiet beschossen worden, teilte das Ministerium mit. Auch die in polnischen Medien verbreiteten Fotos angeblicher Trümmerteile hätten nichts mit russischen Waffensystemen zu tun, hieß es weiter.

Zuvor hatte die Regierung in Warschau nach den unbestätigten Berichten über einen angeblichen Raketeneinschlag im Grenzgebiet zur Ukraine eine Sitzung des nationalen Sicherheitsrates und später auch eine Kabinettssitzung einberufen. Offizielle Angaben zur Ursache der Dringlichkeitssitzungen wurden zunächst nicht gemacht. Berichte legten allerdings einen Zusammenhang mit dem massiven russischen Raketenbeschuss am Dienstag auf das Nachbarland Ukraine nahe. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki berief den Sicherheitsrat zu einer außerordentlichen Sitzung ein, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP berichtete. Regierungssprecher Piotr Müller warnte allerdings davor, ungeprüfte Informationen zu verbreiten. Alle Informationen aus dem Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung der polnischen Regierung sollten später auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kündigte er laut PAP an.

In Polen, einem Land mit rund 38 Millionen Einwohnern, dienen aktuell rund 110.000 Soldatinnen und Soldaten in den Streitkräften. Hinzu kommen 30.000 Mitglieder des freiwilligen Heimatschutzes WOT. Die erhöhte Alarmbereitschaft solle nur für bestimmte Einheiten gelten, hieß es in Warschau. Die Regierung nannte keine weiteren Details.

Von der Leyen: "Ich bin alarmiert"

Die russische Armee hatte am Dienstag nach Kiewer Zählung die Ukraine mit mehr als 90 Raketen und Marschflugkörpern beschossen. Auch die westukrainische Stadt Lwiw war Ziel russischer Angriffe. Bürgermeister Andrij Sadowij sprach von Schäden am Energiesystem. Lwiw liegt Luftlinie etwa 60 Kilometer von Przewodow entfernt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb den Zwischenfall eindeutig Moskau zu. "Dies ist ein russischer Raketenangriff auf die kollektive Sicherheit! Dies ist eine sehr bedeutende Eskalation", sagte er. "Wir müssen handeln."

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Ein Vertreter der NATO erklärte in Brüssel, die Berichte würden geprüft. Es gebe eine enge Abstimmung mit dem Verbündeten Polen, hieß es weiter. "Ich bin schockiert über die Nachricht, dass eine Rakete oder andere Munition Menschen auf polnischem Gebiet getötet hat", schrieb EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter. Er drücke den betroffenen Familien sein Beileid aus. "Wir stehen an der Seite Polens."

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen reagierte ebenfalls besorgt. "Ich bin alarmiert über Berichte über eine Explosion in Polen, nach einem massiven russischen Raketenangriff auf ukrainische Städte", schrieb von der Leyen auf Twitter. "Wir beobachten die Situation genau und stehen in Kontakt mit den polnischen Behörden, Partnern und Verbündeten." Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich betroffen. "Meine Gedanken sind bei Polen, unserem engen Verbündeten und Nachbarn", schrieb die Grünen-Politikerin auf Twitter. "Wir beobachten die Situation genau und stehen in Kontakt mit unseren polnischen Freunden und NATO-Verbündeten." Auch der französische Präsident Emmanuel Macron teilte mit, er stehe in Kontakt mit den polnischen Behörden.

Quelle: ntv.de, ysc/dpa/rts

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