Auch Altbestände gehen zur Neige Russische Munitionsproduktion kommt nicht hinterher
21.02.2024, 17:18 Uhr Artikel anhören
Russland hat derzeit Oberwasser in der Ukraine, aber die Munitionsbestände Moskaus schwinden langsam.
(Foto: IMAGO/Funke Foto Services)
Russland verfügt militärisch über enorme Ressourcen. Aber auch die sind endlich. Das stellen westliche Experten fest. Aktuell kann noch genug Munition für die Invasion in der Ukraine bereitgestellt werden, aber die heimische Produktion zeigt bereits Lücken. Viele Alternativen hat Russland nicht.
Russland produziert laut Vertretern westlicher Staaten zu wenig Munition für seine Armee im Ukraine-Krieg. "Die russischen Munitionsproduktionskapazitäten im eigenen Land reichen derzeit nicht aus, um den Bedarf des Ukraine-Kriegs zu decken", sagten westlichen Vertreter, die nicht namentlich genannt werden wollten. Dass die Verfügbarkeit von Munition beziehungsweise das Fehlen derselben entscheidend ist, hat der Rückzug der ukrainischen Armee aus der Stadt Awdijiwka kürzlich sehr deutlich gezeigt.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kamen kürzlich die britischen Militärexperten Jack Watling und Nick Reynolds vom Royal United Services Institute (RUSI). Nach 2026 werde sich "die russische Kampfkraft erheblich verringern" und Russlands Industrie könnte als Folge des Materialkrieges bis dahin ausreichend beeinträchtigt sein, sodass sich "Russlands Erfolgsaussichten mit der Zeit verschlechtern", schrieben sie in einem Kommentar.
Nach ihren Erkenntnissen habe das russische Verteidigungsministerium einen Bedarf von etwa 5,6 Millionen Granaten der Kaliber 152 Millimeter und 122 Millimeter für 2024 berechnet. Die Industrie gehe allerdings davon aus, lediglich 2,1 Millionen Granaten der geforderten Kaliber produzieren zu können. Russland müsse daher auf Lagerbestände zurückgreifen, die sich im schlechten Zustand befinden würden. Zudem würden Granaten und Waffensysteme importiert, etwa aus Nordkorea. Allerdings würden selbst die zwei Millionen 122-Millimeter-Granaten aus Pjöngjang nicht ausreichen, um die Lücke zu schließen, so die Experten. Sie gehen davon aus, dass sich die russische Produktion von Artilleriegeschossen aller Art bei drei Millionen Stück pro Jahr einpendeln dürfte, was auf Dauer nicht ausreiche.
Westliche Sanktionen wirken
Zu den Importen aus Nordkorea kommen Lieferungen aus dem Iran. Dieser sandte zu Beginn der Invasion vor allem zahlreiche Kamikaze-Drohnen an das russische Militär. Nach Angaben von Reuters trafen zudem kürzlich 400 ballistische Boden-Boden-Raketen aus Teheran ein. Diese sollen eine Reichweite von 700 Kilometern haben.
Die russische Rüstungsindustrie würde die Auswirkungen von Sanktionen zu spüren bekommen, sagen westliche Experten. Weil Russland nicht auf westliche Bauteile zurückgreifen könne, falle es ihr schwerer, neue Systeme zu produzieren und alte zu reparieren. "Die Sanktionen treffen den russischen Militärindustriesektor hart, verursachen erhebliche Verzögerungen und erhöhen die Kosten", erklärten die westlichen Vertreter.
Allerdings dürfte die russische Armee nicht nur bei der Munition früher oder später an ihre Grenzen kommen. Auch bei Panzern, gepanzerten Fahrzeugen und anderem Militärgerät werden die hohen Verluste immer spürbarer – und Ersatz wird immer schwerer zu bekommen sein. Nach Angaben des unabhängigen niederländischen Portals Oryx hat die russische Armee seit Beginn der Invasion mindestens 2754 Panzer verloren. Dazu kommen mehr als 5000 Schützenpanzer sowie gepanzerte Truppentransporter, Hunderte Kampfjets und -helikopter.
Russland braucht weiterhin Tausende Panzer
Nach Angaben von Watling und Reynolds, gibt Russland jährlich rund 1500 Panzer und etwa 3000 gepanzerte Fahrzeuge an die Streitkräfte aus. Bei den Panzern und gepanzerten Fahrzeugen handele es sich allerdings zu etwa 80 Prozent um überholte und modernisierte Lagerbestände. Diese Reserven würden es Russland ermöglichen, dass man bis Ende 2024 eine konstante Auslieferung aufrechterhalten könne. Bis 2026 werde ein Großteil der Bestände allerdings aufgebraucht sein.
Und das russische Militär braucht weiterhin im großen Stil Militärgerät und Fahrzeuge. Oberst Markus Reisner erklärte im Interview mit ntv.de, dass derzeit rund 500.000 russische Soldaten in der Ukraine im Einsatz seien. Die verfügten insgesamt über rund 3000 Panzer, 7000 Schützenpanzer und rund 5000 Artilleriesysteme. Damit wird Russland versuchen, "einen Dammbruch herbeizuführen", so Reisner. Allerdings wurden bisherige Erfolge wie etwa in Awdijiwka oder Bachmut immer mit großen materiellen Verluste erkauft. Diese muss Moskau dann immer wieder aufs Neue ausgleichen, was durch sinkende Lagerbestände und Sanktionen immer schwerer fallen wird.
Quelle: ntv.de, als/rts