Kreml-Geheimagenten enttarnt Russland nutzt Brasilien als Spionage-Einfallstor
25.07.2023, 20:03 Uhr Artikel anhören
Die Flaggen Russlands und Brasiliens.
(Foto: imago images/Russian Look)
Der russische Auslandsgeheimdienst findet offenbar in Brasilien ideale Bedingungen vor, um den Westen auszuspionieren. In den vergangenen Monaten wurden mehrere Spione enttarnt, die Russland als vermeintliche Brasilianer ins Ausland geschleust haben soll. Die brasilianischen Behörden haben mittlerweile eine offizielle Untersuchung eingeleitet.
Die Suche nach russischen Spionen hält die NATO auf Trab. Vor allem seit dem Einmarsch in die Ukraine warnen Verfassungsschützer immer häufiger vor Cyberangriffen, Sabotageaktionen und Nachrichtenoffizieren, die unter falschem Namen eingeschleust wurden.
Doch das Schlüsselland für russische Auslandsspionage befindet sich nicht in einem der "unfreundlichen Staaten", sondern anscheinend in Südamerika: Das "Wall Street Journal" wirft die Frage auf, ob Brasilien zu einem sicheren Hafen für die russischen Geheimdienste geworden ist. Denn seit dem vergangenen Jahr wurden im Land gleich mehrere russische Spione enttarnt, die in den USA sowie den Mitgliedstaaten von EU und NATO mit falscher brasilianischer Identität unterwegs waren.
Zu ihnen gehört der 37-jährige José Assis Giammaria. Der angebliche Brasilianer hatte in Kanada studiert und im Herbst 2021 begonnen, in Norwegen zu arbeiten. Im hohen Norden erforschte er an der Arktischen Universität Tromsö unter anderem hybride Kriegsführung. Im vergangenen Herbst Oktober wurde er jedoch festgenommen, weil José Assis Giammaria kein brasilianischer Wissenschaftler, sondern ein russischer Spion sein soll.
José Assis Giammaria soll eigentliuch Mikhail Mikushin heißen. Seine gefälschte brasilianische Staatsbürgerschaft hat er sich offenbar in der Stadt Padre Bernardo mit einer gefälschten Geburtsurkunde besorgt: In der 30.000-Einwohner-Stadt lebte tatsächlich ein José Assis Giammaria. Er ist 1984 als Sohn eines italienischstämmigen Geschäftsmanns nach Brasilien ausgewandert. Die brasilianischen Behörden gehen davon aus, dass er längst tot ist.
Brasilien ist ein wichtiges Einfallstor für Geheimagenten, die mit einer gefälschten Staatsbürgerschaft ihre Ziele im Ausland erkunden wollen. In Brasilien reicht eine Geburtsurkunde aus, um einen Personalausweis und einen Reisepass zu bekommen. Ein Abgleich mit dem Melderegister findet nicht statt. In Brasilien sei es deshalb vergleichsweise einfach, sich eine verdeckte Identität zu verschaffen, zitiert der "Guardian" die Politologin Stephanie Carvin von der Carleton Universität in Ottawa, wo der falsche Brasilianer Mikushin 2015 seinen Bachelor gemacht hatte.
Spionage-Versuch in Den Haag
Bekanntschaft mit einem falschen Brasilianer haben im vergangenen Jahr auch die Niederlande gemacht. Im April 2022 wurde in Den Haag Victor Muller Ferreira festgenommen. Er hatte versucht, eine begehrte Praktikantenstelle am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu ergattern. Ermittlungen ergaben, dass Victor Muller eigentlich der 33-jährige Sergej Tscherkassow ist, ein Angehöriger des russischen Militärgeheimdienstes.
Tscherkassow wurde mittlerweile in Brasilien inhaftiert und soll dort 15 Jahre wegen der falschen Verwendung von Dokumenten absitzen. Das hat Tscherkassow zugegeben, allerdings bestreitet er, ein russischer Spion zu sein.
Die USA halten das für eine Falschaussage. Sie werfen Tscherkassow vor, unter brasilianischem Decknamen illegal in die USA eingereist zu sein und dort als russischer Agent gewirkt zu haben, während er in Washington D.C. ein Studentenprogramm absolvierte. Dafür soll ihm in den USA der Prozess gemacht werden.
Dass Tscherkassow in Kontakt mit amerikanischen Ermittlern kommt, möchte Russland offensichtlich verhindern. Denn auch Moskau hat in Brasilien die Auslieferung seines Staatsbürgers beantragt. Der Kreml hält Tscherkassow ebenfalls für einen Straftäter, allerdings der anderen Art: Russland behauptet, der 33-Jährige sei ein Drogenhändler. Er habe in Russland zwischen 2011 und 2013 gedealt, deshalb solle ihm in seinem Heimatland der Prozess gemacht werden.
Falscher Brasilianer in Griechenland geschnappt
Abgerundet wird die Liste der verdächtigen Brasilianer von Gerhard Daniel Campos Wittich. Er lebte jahrelang in Rio de Janeiro und betrieb eine 3D-Druck-Firma. Ende vorigen Jahres brach er zu einer Reise ins Ausland auf, kehrte aber nicht zurück. Freunde suchten in den sozialen Medien nach ihm.
Doch dann wurde Campos Wittich plötzlich im März in Griechenland von Mitarbeitern des griechischen Geheimdienstes ausfindig gemacht. Sie identifizierten den angeblichen Brasilianer als Russen mit dem Nachnamen Shmyrev. Anscheinend wollte er seine Frau besuchen, die in Griechenland lebt - ebenfalls unter falscher Identität. Dann sollen sie ihre Rückkehr nach Russland geplant haben.
Für Russland sind diese Enttarnungen nicht mehr als Kollateralschäden. Für Brasilien sind sie dagegen schon eher ein Problem. Eine Untersuchungskommission im Land soll deshalb jetzt herausfinden, wie viele Brasilianer, die sich in den USA, in der EU oder einem NATO-Staat aufhalten, eigentlich russische Spione sind.
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Quelle: ntv.de