Putin, der "Friedensstifter" Warum die "Spezialoperation" plötzlich anders heißt


Russische Medien sollen die angebliche Verhandlungsbereitschaft von Wladimir Putin bekräftigen.
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In einem geleakten Handbuch fasst der Kreml zusammen, wie die Propaganda über den Krieg in der Ukraine und Moskaus "Friedensangebot" aussehen soll. Putin wird dabei als der wichtigste Vorkämpfer einer neuen, gerechten Welt inszeniert - und die "militärische Spezialoperation" heißt nicht mehr so.
Mitte Juni, einen Tag vor Beginn des Ukraine-Friedensgipfels in der Schweiz, sorgt ein vermeintliches "Friedensangebot" des Kremlchefs Wladimir Putin für Aufsehen. Kiew solle auf eine NATO-Mitgliedschaft und vier Regionen im Osten des Landes verzichten und der Westen seine Sanktionen gegen Russland fallenlassen, dann gäbe es eine Waffenruhe, sagte er. Damit ist klar: Putin schlägt keinen Deal vor, sondern eine Kapitulation der Ukraine. Denn seine Forderungen entsprechen den offiziellen Kriegszielen Moskaus: Der Kreml will die vier Gebiete, die seine Armee nur zum Teil besetzen konnte, vollständig Russland einverleiben, und das Nachbarland aus der nordatlantischen Allianz heraushalten. Putin verkauft seine Maximalforderungen als ein großzügiges Angebot.
Sein "Friedensangebot" zielt nicht auf eine Waffenruhe oder gar auf einen langfristigen Frieden in der Ukraine, sondern darauf, im Westen positive Schlagzeilen zu generieren, die dann von russlandfreundlichen Kräften aufgegriffen werden. Nach dem Motto: Viele werden mitbekommen, dass Putin ein "Friedensangebot" gemacht hat, nur die wenigsten werden sich damit auseinandersetzen und feststellen, dass da nichts dahinter steckt.
Und auch in Russland wird Putin in letzter Zeit vermehrt eher als weiser Friedensstifter dargestellt, der zu Kompromissen bereits ist und sich für den Weltfrieden einsetzt. Einen Tag nach dem Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) Anfang Juli, bei dem Putin seine angebliche Verhandlungsbereitschaft bekräftigt hatte, berichtete das kremlkritische Exil-Medium "Meduza" von einem Handbuch, das die russische Präsidialverwaltung an staatliche Medien verteilt haben soll. In der Anleitung wird demnach erklärt, wie Propagandisten über Putins "Friedensangebot" und den Krieg in der Ukraine berichten sollen.
"Der wichtigste Architekt einer multipolaren Weltordnung"
Den Medien wird empfohlen, den Krieg als "der ukrainische Konflikt" oder "die ukrainische Krise" zu bezeichnen. Tatsächlich kommt die seit Kriegsbeginn geläufige Bezeichnung "militärische Spezialoperation" in den Beiträgen der Kreml-Medien in letzter Zeit deutlich seltener vor. Auf der Website der staatlichen Nachrichtenagentur "Interfax" etwa erschienen in der Zeit von 11. Juni bis 11. Juli nur 51 Meldungen, in denen der Begriff vorkommt. Gleichzeitig gab es 106 Artikel, in denen von Konflikt oder Krise die Rede war. Im gleichen Zeitraum im vergangenen Jahr war die Situation komplett umgekehrt: Innerhalb eines Monats erschienen 121 Artikel, in denen von "militärischer Spezialoperation" die Rede war, und insgesamt nur 52, in denen die Begriffe "ukrainische Krise" oder "ukrainischer Konflikt" vorkamen.
Ein großer Teil der Anleitung, die "Meduza" nach eigenen Angaben vorliegt, ist der "multipolaren Weltordnung" gewidmet, die dank einem "persönlichen und entscheidenden Beitrag" Wladimir Putins "bereits Realität geworden ist". Russische Propagandisten werden dazu aufgerufen, mehr über die beendete "Hegemonie" der USA zu berichten. Nun hätten die sich schnell entwickelnden Staaten der "Weltmehrheit", zu denen auch Russland gehöre, "eine führende Bedeutung in der Welt". Die Präsidialverwaltung empfiehlt den russischen Medien, die SCO und die BRICS als "die einflussreichsten Organisationen, die westliche Strukturen in den Schatten gestellt haben" und Russland selbst als "den wichtigsten Architekten einer multipolaren Weltordnung im eurasischen Raum" zu bezeichnen.
Zu Putins "Angebot" heißt es im Handbuch für Kreml-Protagonisten: "Die russische Friedensinitiative kann den Konflikt in der Ukraine in kürzester Zeit beenden". Und weiter: "Wenn Kiew und der Westen dazu bereit sind, wird der von Russland vorgeschlagene Plan die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten und die Aufnahme von Verhandlungen ermöglichen", steht in der Anleitung.
"Wir sind Friedensstifter, wir wollen den Krieg beenden"
Die neue Wortwahl der Propaganda solle auf die kriegsmüden Russen ein wenig beruhigend wirken, sagte Soziologe Dmitrij Dobrowskij von der Universität Prag dem russischsprachigen Fernsehsender "Current Time", der in Tschechien ansässig ist. "Auch für autoritäre Regime ist der Rückhalt in der Bevölkerung sehr wichtig, so seltsam das auch klingen mag", erklärte Dubrowskij. Der Kreml wolle die Bevölkerung besänftigen, indem er ihr einflößt: "Wir versuchen es, wir strengen uns an. Der verdammte Westen ist schuld. Und wir sind Friedensstifter, wir wollen den Krieg beenden."
Westliche Experten gehen nicht davon aus, dass Putin verhandlungsbereit ist. Russlands stellvertretender Außenminister Michail Galusin gab heute bekannt, dass Moskau auch an einem weiteren Friedensgipfel mit der Ukraine nicht teilnehmen wolle. Die russische Armee greift täglich Zivilisten an - erst Anfang der Woche starben allein in Kiew mehr als 30 Menschen bei einem Luftangriff, was nochmal bekräftigt, dass Putins "Friedensangebot" nichts als ein Ultimatum ist.
Was mit der Ukraine passieren könnte, sollte sie das "Angebot" - warum auch immer - annehmen, machte Russlands Ex-Präsident Dimitri Medwedew deutlich. Der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates gab in einem Beitrag auf Telegram zu, dass Russlands Friedensangebot keines ist. Selbst wenn nach Friedensgesprächen die "Papiere" unterzeichnet wären und "die Niederlage akzeptiert wird", würden die "verbliebenen Radikalen nach einer Umgruppierung der Kräfte früher oder später wieder an die Macht kommen", schrieb Medwedew.
Das wäre die Zeit für Russland, "die Bestie endgültig zu zerschlagen". Als "Radikale" sieht die russische Führung die prowestliche Regierung von Wolodymyr Selenskyj und deren Anhänger. In diesem Zusammenhang schrieb der Ex-Präsident zudem davon, die verbliebenen ukrainischen Gebiete "in den Schoß des russischen Landes zurückzuführen", also die gesamte Ukraine zu erobern.
Quelle: ntv.de