Links, Rechts, Mitte SPD steckt im Dilemma
02.10.2007, 10:56 UhrDer innerparteiliche Streit der Sozialdemokraten um die Schrödersche Agenda 2010 offenbart nach Auffassung des Politologen Peter Lösche ein Dilemma, in dem die SPD seit Annahme dieses Reformkurses – also seit 2003 – steckt. Diese "programmatische Wende" habe "nicht zufällig zum Sturz des Kanzlers Schröder 2005 geführt", sagte der Göttinger Professor bei n-tv. "Kaum überbrückbar" seien die Gegensätze zwischen "Traditionalisten, die den alten Sozialstaat noch nicht aufgeben wollen" und den "Reformern, die Arbeitsplätze schaffen wollen". Zur inneren Zerrissenheit komme der Druck von außen, so Lösche, nämlich von den CDU-Sozialausschüssen und der Linkspartei.
Müntefering geht auf Beck los
Ausgelöst wurde der aktuelle Streit um die Reformpolitik durch den Vorstoß von SPD-Chef Kurt Beck, das Arbeitslosengeld I länger auszuzahlen. Dessen Bezugszeit war unter Gerhard Schröder von höchstens 32 Monaten auf 12 beziehungsweise 18 Monate (für über 55-Jährige) gekürzt worden. Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering will daran festhalten, und er empfiehlt seiner Partei, sich an dem zu orientieren, "was wir als Prioritäten herausgearbeitet haben: Arbeitsplätze schaffen, Mindestlohn verbreitern, Unterstützung für die Familien mit aufwachsenden Kindern, Kinderarmut bekämpfen - und im Übrigen die Agenda 2010 lassen".
Im Gegensatz zu Beck sei er nicht der Meinung, dass eine Variation der Agenda 2010 erforderlich sei, betonte Müntefering. "Ich glaube, dass wir bisher gut fahren sind. Aber das ist keine in diesem Sinne prinzipielle Frage", sagte Müntefering. "Das wird jedenfalls von der Spitze der Partei so nicht gesehen." Er bewege sich in der Diskussion auf der bisherigen Beschlusslage der SPD und auf den Koalitionsvereinbarungen, "und ich glaube, dass das vernünftig und erfolgreich ist".
Müntefering erklärte, von denen, die vom Arbeitslosengeld I in Arbeitslosengeld II fallen - das seien etwa 220.000 in diesem Jahr - seien 50.000 älter als 50. "Meine Meinung ist, dass ein Familienvater oder eine Mutter mit aufwachsenden Kindern es nicht schlechter haben sollte, als derjenige, der 60 ist und die Kinder groß hat. Ich glaube, unter dem Gesichtspunkt von sozialer Gerechtigkeit ist meine Position durchaus zu vertreten", so der Arbeitsminister.
Merkel sorgt sich um Koalition
Die CDU hatte nach Becks Vorstoß dem Koalitionspartner vorgeworfen, sich von den Reformen der Agenda 2010 zu verabschieden und hatte dem eine klare Absage erteilt. Die "Leipziger Volkszeitung" berichtet unter Berufung auf führende CDU-Politiker, Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel habe den Unionsgremien mit "wachsender Sorge" von einer "zunehmenden Neigung der SPD zum Verteilen" berichtet. Das mache "die Lage für die Koalition nicht einfacher".
Auch nach Ansicht der FDP verliert die SPD wegen ihres Richtungsstreits zunehmend an Regierungsfähigkeit. "Die mageren Ergebnisse in der Koalitionsrunde und der inhaltliche Wirrwarr innerhalb der Sozialdemokratie zeigen einen Verfall, der die Regierung zunehmend lähmt", erklärte FDP-Generalsekretär Dirk Niebel. Die SPD könne nicht gleichzeitig Regierung und Opposition spielen wollen: "Eine Regierungspartei, die nicht mehr regieren kann oder will, sollte die ihr übertragene Verantwortung zurückgeben." Und Grünen-Vorsitzender Reinhard Bütikofer meinte bei n-tv: "Die SPD weiß ja offenbar noch nicht so genau, in welche Richtung sie will."
CDU will auch, aber anders
Beim Kampf ums Schröder-Erbe redet auch die CDU mit. Bereits auf dem Dresdner CDU-Bundesparteitag im November 2006 hatte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers einen Beschluss durchsetzt, wonach das Arbeitslosengeld I künftig an die Dauer der Beitragszahlung gekoppelt und bei mindestens 40 Beitragsjahren bis zu 24 Monate ausgezahlt werden soll. CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla verwies darauf und betonte, auch CDU wolle eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I – aber eben bei gleichzeitig kürzeren Bezugszeiten für Menschen, die erst kurze Zeit in die Versicherung eingezahlt haben. Durch die Staffelung der Bezugszeiten nach Einzahlungszeiten würden Mehrkosten vermieden. Das sei bei dem SPD-Vorstoß nicht der Fall. Der CSU-Sozialexperte Max Straubinger indes lehnte die Vorstellungen der Schwesterpartei ab.
Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl Laumann (CDU) sieht jedoch die Chancen für das von ihm entwickelte Modell für die verlängerte Zahlung aus der Arbeitslosenversicherung als verbessert an. Laumann sagte dem "Handelsblatt", wegen der brummenden Konjunktur seien keine allzu einschneidenden Kürzungen nötig, um die Verlängerung des Arbeitslosengelds I zu finanzieren. "Wenn die Wirtschaft besser läuft, kriegen die Leute schneller Arbeit", sagte der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).
CSU gegen "Rolle rückwärts"
Straubinger sagte dem "Handelsblatt", die Verkürzung der Bezugsdauer habe dafür gesorgt, dass neue Arbeitslose schnell wieder in Lohn und Brot kämen und so der Bundesagentur die Mehreinnahmen, um deren Verwendung jetzt gestritten werde, überhaupt erst ermöglicht. Mit einer "Rolle rückwärts" drohe die Gefahr, dass die "Mehreinnahmen ganz schnell wieder verbraten" würden. Der neue CSU-Chef Erwin Huber lehnte die Beck-Vorschläge als unseriös ab. "Ich halte den Vorschlag für populistisch, nicht durchdacht und nicht finanziert", sagte Huber in Berlin.
"Der Fortschritt ist eine Schnecke"
SPD-Präsidiumsmitglied Ludwig Stiegler begrüßte Becks Vorstoß. "Die gefühlte Ungerechtigkeit bei denen, die sehr lange Beiträge gezahlt haben, wird aufgegriffen", sagte der bayerische SPD-Chef "Passauer Neuen Presse". Als Begründung für den Kurswechsel sagte Stiegler: "Am Arbeitsmarkt hat sich für die Älteren noch nichts gebessert. Der Fortschritt ist eine Schnecke."
Quelle: ntv.de