Zu wenig Polizei in Chemnitz Sachsen: Es gab keine Behörden-Panne
01.09.2018, 15:40 Uhr
Knapp 600 Polizisten standen am vergangenen Montag rund 6000 Demonstranten aus dem zu großen Teilen rechten Spektrum, darunter gewaltbereite Neonazis und Hooligans, sowie etwa 1500 Gegendemonstranten gegenüber.
(Foto: AP)
Führte ein Fehler des sächsischen Innenministeriums dazu, dass am vergangenen Montag in Chemnitz nicht genug Polizisten eingesetzt wurden? Ministerium und Bundespolizei bestreiten das. Sicher ist: Vor Ort gab es nicht genug Sicherheitskräfte.
Die Bundespolizei und das Innenministerium in Sachsen haben einen Bericht über eine "schwere Panne" als Grund für die Unterbesetzung der Polizei bei den Ausschreitungen am vergangenen Montag in Chemnitz zurückgewiesen. Das Lagezentrum habe darauf verzichtet, beim Bundespolizeipräsidium in Potsdam nach Verstärkung zu fragen, sagte ein Ministeriumssprecher in Dresden. Die zusätzlichen Kräfte und Hubschrauber wären erst kurz vor Mitternacht vor Ort gewesen, erklärte er.
Die "Welt am Sonntag" hatte von einer "schweren Panne" und "fehlerhaftem Verhalten" gesprochen. Während des Einsatzes am Abend hatte es der Zeitung zufolge einen Hilferuf der Polizeidirektion Chemnitz an das Lagezentrum des Innenministeriums gegeben. Dieses habe "unverständlicherweise" nicht den üblichen Meldeweg beschritten. Zuständig für derartige Anforderungen wäre laut der Zeitung das Bundespolizeipräsidium in Potsdam und nicht die untergeordnete Dienststelle in Pirna gewesen. Von dort hätten mehrere Hundertschaften nach Chemnitz beordert werden können.
Der Sprecher der Bundespolizei, Ivo Priebe, bestätigte der Deutschen Presse-Agentur, dass die Bitte des sächsischen Innenministeriums um Unterstützung an die Bundespolizeiinspektion Pirna ging. Deren Kräfte seien aber bereits gebunden gewesen, etwa am Chemnitzer Bahnhof mit 60 Beamten. In Pirna habe man darauf hingewiesen, dass weitere Kräfte beim Bundespolizeipräsidium in Potsdam nachgefragt werden müssten. Wegen der Entfernung und der Zeit, die zu Vorbereitung und Anreise nötig gewesen wäre, habe man davon Abstand genommen.
Es gebe keine generelle Regel, sagte der Bundespolizeisprecher zu der Frage, wo das Innenministerium die Unterstützung hätte anfordern müssen. In Adhoc-Situationen, wo schnell verfügbare Kräfte nötig seien, werde die nächstliegende Dienststelle angerufen. In diesem Fall sei das Pirna als zuständige Direktion für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Am vergangenen Montagabend waren 6000 Demonstranten aus dem eher rechten Spektrum, darunter gewaltbereite Neonazis und Hooligans, etwa 1500 Gegendemonstranten gegenübergestanden - dazwischen knapp 600 Polizisten. Es gab mindestens 20 Verletzte, unter ihnen auch zwei Polizeibeamte. Auslöser dafür war der gewaltsame Tod eines 35 Jahre alten Deutschen am Vorabend durch Messerstiche. Ein Syrer und ein Iraker sind als Tatverdächtige in Untersuchungshaft. Die von den Behörden eingeräumte Unterbesetzung hatte für Kritik gesorgt.
Heute mehrere Demonstrationen in Chemnitz
Am Samstagnachmittag kamen in Chemnitz mehrere hundert Menschen zusammen, um unter dem Motto "Herz statt Hetze" gegen Fremdenfeindlichkeit zu demonstrieren. Zu der von einem breiten Bündnis getragenen Großdemonstration werden auch Bundespolitiker wie SPD-Vizechefin Manuela Schwesig, Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch und die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock erwartet.
Die Polizei ist mit einem Großaufgebot vor Ort. Wegen des Polizeieinsatzes sagte die Deutsche Fußball Liga das Zweitliga-Fußballspiel des Hamburger SV gegen Dynamo Dresden auf Anordnung des sächsischen Innenministeriums ab. Die Landespolizei hatte angesichts der außergewöhnlichen Lage darum gebeten, die Begegnung in Dresden zu verlegen, weil dort nicht genügend Polizisten zur Verfügung ständen. Das Spiel war mit 30.000 Zuschauern ausverkauft.
Bislang ist die Lage in der Stadt ruhig. Am Samstagvormittag hatten bereits Friedensgruppen in Chemnitz demonstriert. Auch dabei habe es keine Störungen gegeben, erklärte ein Polizeisprecher. Am späten Nachmittag soll in der Stadt eine von der AfD angemeldete Kundgebung stattfinden. Auch die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung will sich beteiligen. Die rechtsextreme Organisation Pro Chemnitz rief ebenfalls erneut zu einer Demonstration auf.
Quelle: ntv.de, hvo/AFP/dpa