Und, wie war Ihre Woche so? Scholz schreibt Geschichte, Laschet vermisst Teppiche
28.08.2021, 08:02 Uhr
Scholz spürt Rückenwind.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)
Man hat ja vieles für möglich gehalten, aber einen Kanzler Olaf Scholz? Die SPD erlebt eine Woche im Rausch. Nach Rausch sehnt sich womöglich auch der Kanzlerkandidat der Union: Armin Laschet muss am Sonntagabend dringend punkten. Und Baerbock? Betätigt sich als Jägerin.
Wer hätte das gedacht: die SPD ganz vorn (in den Umfragen)
Von Heike Boese
Geschlagene 15 Jahre ist es her, dass die SPD zuletzt die in Umfragen stärkste politische Kraft in Deutschland war. Im Oktober 2006. Jüngere Sozialdemokraten - doch, die gibt es - können sich daran gar nicht mehr erinnern, ältere schwelgen in Erinnerungen und müssen sich dieser Tage immer mal selbst kneifen, um sicher zu sein, dass sie nicht träumen. Die gute, alte Tante SPD auf Platz 1 in der Gunst der Wähler. Echt jetzt? Ja, echt jetzt. Darauf hatte kaum jemand einen Pfifferling gewettet, als ausgerechnet Olaf Scholz, den die Genossen nicht als Parteivorsitzenden haben wollten, Kanzlerkandidat wurde. Langweilig, dröge, gibt ja keinen Besseren, wurde hinter vorgehaltener Hand gelästert. Manchmal auch ganz offen. Das Scholz-Lager hält dagegen: Der 63-Jährige sei ernsthaft, krisenfest, authentisch.
Und offenbar ist es das, was viele Wähler und Wählerinnen im Sommer 2021 wollen: einen seriösen Krisenmanager, dem sie nach anderthalb Jahren Corona-Pandemie, nach Hochwasser und Afghanistan-Debakel am ehesten zutrauen, den Karren zu ziehen. Vielleicht, weil er eine Fortsetzung der Ära Merkel verspricht. Die SPD kokettiert ja sogar damit: "Olaf Scholz kann Kanzlerin". Ironisch? Ja, aber nur ein bisschen.
Natürlich profitieren die SPD und ihr Kanzlerkandidat von der Schwäche der Konkurrenz. Annalena Baerbock und Armin Laschet - gewogen und für zu leicht befunden. Klar, können beide bis zum Wahltag noch zulegen. Aber vier Wochen ist nicht mehr viel Zeit, wenn man hinten liegt. Scholz muss jetzt die Nerven bewahren und hoffen, dass weder die Stichworte Wirecard oder Warburg-Bank nochmal aufploppen, dann könnte er das bis vor kurzem noch kaum Denkbare schaffen: ein Comeback der SPD.
Laschets letzte Chance
Von Christian Wilp
Das erste Kanzler-Triell im deutschsprachigen Fernsehen bekommen Sie am Sonntag den 29. August um 20.10 Uhr bei ntv und RTL zu sehen. Moderiert wird die Runde von Pinar Atalay und Peter Kloeppel. ntv.de zeigt die Sendung im Livestream.
Ein Insider aus dem Kanzleramt hat eine interessante Beobachtung gemacht. "Da laufen schon die Leute von Laschet herum und messen die Räume aus." Das sei im Prinzip ein nicht ungewöhnlicher und letztlich sogar notwendiger Vorgang, um später eine reibungslose Machtübergabe zu gewährleisten. Aber angesichts der Umfragen? Scholz-Emissäre sind bislang jedenfalls nicht gesichtet worden.
Die Frage, wo man war, als Forsa die jüngste Umfrage veröffentlichte, die die SPD erstmals seit 15 Jahren vor der Union sieht, können vermutlich die meisten Wahlkämpfer umstandsslos beantworten. Laschet selbst könnte das sicherlich auch. Doch der Vorsitzende der CDU bereitet sich derzeit auf andere Fragen vor. Er übt für das Triell. Das erste Aufeinandertreffen der drei Kanzlerkandidaten (Sonntag, 20.10 Uhr, n-tv) bietet Laschet möglicherweise die letzte Chance, den Trend noch zu stoppen.
Der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke, kein Feind deftiger Zitate, beschreibt die Ausgangslage wie folgt: "Die Darstellung, die wir momentan haben, da der Überflieger Scholz, da die Wasserleiche Laschet, zeichnet ein völlig aberwitziges Bild." Insofern sei die Ausgangslage für Laschet von Vorteil. Er könne nur gewinnen, wenn das Volk den Pannenonkel erwarte, und dann den ernsthaften Politiker erlebe. Für Laschet ist also objektiv betrachtet alles möglich. Kanzleramt oder ewige Verdammnis, sollte die CDU die Machtzentrale räumen müssen. Dann hätten sich manche zu früh gefreut - und vor allem auch zu früh gemessen.
Gemüse-Partei im Jägermodus
Von Sebastian Huld
Rückblickend wäre es für Annalena Baerbock vielleicht besser gewesen, sie hätte das Feld gleich von hinten aufrollen können. Doch am Ende einer aufwändigen Inszenierung, die im Frühjahr in der Vorstellung der 40-Jährigen als Grünen-Kanzlerkandidatin gipfelte, hatte der kurze Hype um Baerbock schon ungeahnte Höhen erreicht. Und aus denen fällt es sich bekanntlich besonders tief, erst recht bei so vielen Schludrigkeiten und Fehlern.
Doch das ist Vergangenheit, zumindest für die Grünen. Andere führen seit Monaten die Umfragen an, erst Laschet, jetzt Scholz. Und seit sich Baerbock mit der Rolle der Jägerin abgefunden hat, zeigt sie auch wieder Selbstbewusstsein. Das war nicht nur in der RTL-Sendung "Am Tisch mit..." zu sehen. Eindrucksvoll bekamen das Union und SPD am Mittwoch im Bundestag zu spüren. Als Baerbock der Regierung beim Thema Afghanistan die Leviten las, schäumten die Abgeordneten der Groko-Fraktion - immer ein guter Indikator, den Finger in die richtige Wunde gelegt zu haben.
"Sie haben jetzt die gesamte Redezeit Ihrer Fraktion weit überschritten", mahnte Wolfgang Schäuble. Dass der Bundestagspräsident Baerbock überhaupt so lange hat gewähren lassen, war womöglich auch stiller Ausdruck der Zustimmung - zumindest, was das Ausmaß des Afghanistan-Desasters angeht.
Das ist die 15. Folge der Wahlkampf-Kolumne "Und, wie war Ihre Woche so?" Folge 14 lesen Sie hier.
Quelle: ntv.de