Politik

Nach Anschlag in Afghanistan Schulz will Abschiebungen aussetzen

Sicherheitskräfte inspizieren den Ort des Anschlags in Kabul - im Hintergrund die deutsche Botschaft.

Sicherheitskräfte inspizieren den Ort des Anschlags in Kabul - im Hintergrund die deutsche Botschaft.

(Foto: AP)

Der verheerende Anschlag in Kabul befeuert die Debatte um Abschiebungen von Afghanen. Kanzlerin Merkel will diese beibehalten. Nicht nur die Opposition widerspricht. Auch SPD-Chef Schulz fordert eine Überprüfung der Sicherheitslage.

Nach dem schweren Bombenanschlag in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft in der afghanischen Hauptstadt Kabul ist die Debatte über Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan wieder voll entbrannt. SPD-Chef und -Kanzlerkandidat Martin Schulz brachte einen vorläufigen Abschiebestopp ins Spiel.

"Ich glaube, dass wir im Lichte der Ereignisse des gestrigen Tages zunächst einmal nicht weiter abschieben sollten", sagte Schulz beim WDR-Europaforum in Berlin. Das Auswärtige Amt müsse nun die Sicherheitslage neu bewerten. Dann müsse auf dieser Grundlage entschieden werden, ob und wann die Abschiebungen wieder aufgenommen werden könnten. Zurzeit seien sie "kein vertretbares Instrument", sagte Schulz. Andere Politiker der SPD, aber auch von der Linken und den Grünen sowie Menschenrechtsorganisationen forderten sogar einen generellen Abschiebestopp für Afghanen.

Unions-Politiker - allen voran Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und Bundesinnenminister Thomas de Maizière - lehnen das ab. Die Explosion einer Lastwagenbombe am Mittwochmorgen hatte mindestens 90 Menschen getötet, mindestens 460 verletzt, und ein Gebäude der deutschen Botschaft schwer beschädigt. De Maizière hatte am Mittwoch einen für den Abend geplanten Abschiebeflug abgesagt und die Entscheidung damit begründet, dass die deutsche Botschaft Wichtigeres zu tun habe nach dem Anschlag. Der Flug werde aber baldmöglichst nachgeholt, hieß es.

"Konjunkturprogramm für kriminelle Schlepper"

Auch Merkel stellte klar, dass sie trotz der verschärften Sicherheitslage weiter Menschen nach Afghanistan abschieben lassen will. Sie betonte aber, der Kabuler Anschlag sei "noch einmal Anlass, genau hinzuschauen, die Sicherheitslage immer wieder richtig zu analysieren (...), Provinz für Provinz". Das mache das Außenamt.

Es gehe auch darum, sich bei Abschiebungen auf Flüchtlinge zu konzentrieren, die kriminelle Taten begangen hätten, so Merkel. "Das ist für mich die Lehre aus dem gestrigen Tag." Unionsfraktionschef Volker Kauder von der CDU sagte der ARD, es bleibe dabei, "dass grundsätzlich in Regionen nach Afghanistan abgeschoben werden kann". FDP-Chef Christian Lindner sagte der "Passauer Neuen Presse", "ein genereller Abschiebestopp wäre ein Konjunkturprogramm für kriminelle Schlepper".

Das rot-grün regierte Niedersachsen lehnte einen generellen Abschiebestopp ebenfalls ab. "In Fällen, wo aus Afghanistan eingereiste Personen straffällig geworden sind, wird abgeschoben", sagte Regierungssprecher Olaf Reichert in Hannover. Es gebe weiterhin Einzelfallentscheidungen, die von den Landesbehörden gründlich geprüft würden.

"Eine Schande für unser Land"

Oppositionspolitiker und Menschenrechtsgruppen verlangten dagegen, Afghanen nicht mehr zwangsweise zurückzuschicken. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: "Das ist ein krankes System." Das Außenministerium müsse seine Einschätzung, dass Abschiebungen möglich sind, ändern und solle nicht länger "Gefälligkeitsgutachten" für de Maizière erstellen.

Die Linke-Chefin Katja Kipping macht der Union schwere Vorwürfe. "Die deutsche Botschaft in Kabul liegt nach dem schlimmen Terroranschlag fast in Schutt und Asche, doch die Union will weiter in das Bürgerkriegsland abschieben", sagte sie in Berlin. "Das ist unchristlich und eine Schande für unser Land." Die Linke-Politikerin Ulla Jelpke sagte: "Abschiebungen in Krieg, Terror und Elend sind unmenschlich und müssen dauerhaft ausgesetzt werden."

Auch in der SPD gibt es Zweifel an der Abschiebepraxis. Bremens Bürgermeister Carsten Sieling sagte der Funke Mediengruppe: "Der grausame Anschlag in Kabul macht es aus meiner Sicht zwingend, dass die Bundesregierung ihre Sicherheitseinschätzung überprüft." Ähnlich äußerte sich Bundesratspräsidentin Malu Dreyer.

Quelle: ntv.de, mli/dpa

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