Wegweisende Kommunalwahlen Schwappt die blaue Welle der AfD über Thüringen?
26.05.2024, 07:33 Uhr Artikel anhören
AfD-Landeschef Björn Höcke hofft auf deutlich mehr Kommunalmandate für seine Partei - und auch auf Bürgermeister- und Landratsposten.
(Foto: picture alliance/dpa)
Vor den Landtags- und Europawahlen stimmt Thüringen über seine Bürgermeister, Landräte und Kommunalparlamente ab. Die Wahl am Sonntag ist richtungsweisend: Die Höcke-AfD könnte deutlich an Einfluss gewinnen, die CDU ihre Vormachtstellung verlieren. Das wäre sehr zum Leidwesen des CDU-Politikers Mario Voigt.
Kommunalwahlen in einem Bundesland beschäftigen selten die ganze Republik, im Fall von Thüringen aber ist das diesmal anders. Dieser kommunale Superwahlsonntag ist weit hinaus über die Zukunft der einzelnen Städte und Gemeinden wegweisend: Schlagen sich die Umfrageverluste der im Winter noch so stark dastehenden AfD auch in den Ergebnissen in Thüringen nieder? Kann die CDU ihre Position als Thüringens Kommunalmacht schlechthin halten und damit ein Aufbruchsignal für die Landtagswahlen am 1. September senden? Dann nämlich will Spitzenkandidat Mario Voigt den amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von der Linken ersetzen. Oder bleibt es bei dem komplizierten politischen Gebilde, das das Land an den Rand der Regierungsunfähigkeit gebracht hat?
1,7 Millionen Menschen sind aufgerufen, ihre Stimmen abzugeben. In den fünf kreisfreien Städten Erfurt, Jena, Gera, Suhl und Weimar sowie in der Stadt Eisenach werden die Oberbürgermeister gewählt. In 93 Städten und Gemeinden wird über die Bürgermeister abgestimmt, davon sind 70 hauptamtlich. Gewählt werden ebenfalls die Mitglieder der Kreistage sowie in den meisten Städten, Landkreisen und Gemeinden die Stadt-, Kreis- und Gemeinderäte.
Abgestimmt wird am Sonntag außerdem in 13 von 17 Landkreisen über die Landräte. Im Juni vergangenen Jahres hatte der AfD-Politiker Robert Sesselmann im Landkreis Sonneberg bundesweit den ersten Landratsposten für die Partei gewonnen. Weitere könnten nun folgen. Und das ausgerechnet in dem Land, wo der Rechtsaußen Björn Höcke die Geschicke der AfD lenkt.
Wer zieht als "Gewinnerpartei" in den Landtagswahlkampf?
Der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz sieht in den Kommunalwahlen zunächst einen Stimmungstest. "Ihr Ausgang kann mobilisierend oder demobilisierend für die einzelnen Parteien wirken. Das ist mit Blick auf die Landtagswahl etwa drei Monate später nicht zu unterschätzen." Und: "Gewinnerparteien sind für viele Wähler attraktiver als Verliererparteien." Zudem könnte die AfD, wenn sie im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2018 und 2019 in Thüringen deutlich zulegt, erzählen, die Menschen vertrauten ihr - "bis in den letzten Winkel Thüringens".
Eine Prognose wagt allerdings niemand - zu unterschiedlich sind die regionalen Bedingungen und Themen sowie die Persönlichkeiten der Bewerber, bei denen auch SPD, Linke, FDP und Parteilose Chancen auf Oberbürgermeisterämter und Landräte haben. Immerhin hatte die AfD 2023 im thüringischen Sonneberg ihr erstes Landratsamt in Deutschland erobert - danach folgten allerdings Niederlagen in den Kreisen Nordhausen und Saale-Orla, wo mit Unterstützung der anderen demokratischen Parteien ein Parteiloser und ein CDU-Mann gewannen.
Dass die Verurteilung von AfD-Rechtsaußen Höcke wegen Verwendens einer Nazi-Parole Einfluss auf Wahlentscheidungen für oder gegen die AfD haben könnte, glaubt Brodocz nicht. Der AfD sei es offenbar gelungen, bei einem Teil ihrer Wähler in den vergangenen Jahren eine Parteibindung aufzubauen. "Ein Teil der AfD-Wähler ist offenbar immunisiert gegen solche Vorfälle." Bei Umfragen zur Landtagswahl hat die AfD in den vergangenen Monaten nur leicht verloren und liegt derzeit bei 30 Prozent, die CDU bei 20 und die Linke bei 16 Prozent.
CDU hat viel zu verlieren
Für die Thüringer CDU gehe es bereits bei den Kommunalwahlen um viel, glaubt Brodocz. 2018 bei der Wahl von Landräten und Oberbürgermeistern der kreisfreien Städte war sie wie schon sechs Jahre zuvor stärkste Partei mit etwa der Hälfte aller Landräte und einem Stimmenanteil von 37,9 Prozent. Einige ihrer langjährigen Amtsträger wie im Thüringer Eichsfeld - einer katholisch geprägten Region - treten aus Altersgründen nun nicht mehr an. "Die CDU braucht mit Blick auf die Landtagswahl ein gutes kommunales Ergebnis", betont der Politikwissenschaftler.
CDU-Mann Christian Herrgott habe im Saale-Orla-Kreis zu Jahresbeginn gezeigt, "dass wir die sogenannte Alternative schlagen können", spornt CDU-Chef Mario Voigt Mitglieder und Anhänger der Christdemokraten immer wieder an. Voigt setzt auf das ausgeprägte Heimatgefühl der Thüringer. "Wir sind die einzige Partei, die bei den Kommunalwahlen flächendeckend Kandidaten aufgestellt hat", erklärt Voigt.
AfD nicht überall stark
Nicht überall tritt die AfD überhaupt mit eigenen Kandidaten an: In drei Landkreisen stehen bei der Landratswahl keine AfD-Leute auf dem Wahlzettel, in Weimar stellt die Partei keinen Oberbürgermeisterkandidaten. Bei den Kreistagswahlen ist die CDU mit doppelt so vielen Bewerbern am Start, auch die Linke, die SPD und die Grünen haben mehr Kandidaten als die AfD. Die Aufstellung einer AfD-Kandidatenliste im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt endete in einer Spaltung: Dort gibt es nach parteiinternem Streit nun zwei Listen, die miteinander konkurrieren. Die örtliche CDU und die AfD selbst haben bereits eine mögliche Anfechtung der Wahl ins Spiel gebracht.
Der Vorgang sorgte bundesweit für Aufsehen, wobei lokale AfD-Politiker Höckes Rücktritt forderten. Für Kopfschütteln sorgt die Kandidatur eines Rechtsextremisten für das Landratsamt in Hildburghausen in Südthüringen. Der dortige Wahlausschuss hatte den Bewerber zugelassen, obwohl dieser als eine zentrale Figur in der rechtsextremen Szene Thüringens gilt. Erwartet wird, dass eine ganze Reihe von Personenwahlen am Sonntag noch nicht entschieden werden. Dann geht es in Stichwahlen - zusammen mit der Europawahl am 9. Juni.
Quelle: ntv.de, shu/AFP/dpa