Populär oder Populist? Sebastian Kurz läuft sich warm für den Wahlkampf
15.06.2019, 16:36 Uhr
Auf Tour durch Österreich: Sebastian Kurz bereitet seine Rückkehr ins Wiener Kanzleramt vor.
(Foto: imago images / Eibner Europa)
Wahlkampf soll es noch nicht sein, aber Sebastian Kurz tourt schon einmal durch Österreich - begleitet von Populismus-Vorwürfen. In Niederösterreich hat er jedoch ein Heimspiel.
Der Weg des Sebastian Kurz beginnt mit einer Verspätung. Fast eine halbe Stunde später als geplant eilt Österreichs Bundeskanzler a.D. am Mittwochmittag auf den Markt auf dem Domplatz in St. Pölten, der Hauptstadt Niederösterreichs. Die ersten Händler verstauen ihre Waren schon wieder in ihren Lieferwägen, also klappert Kurz die Stände im Minutentakt ab, ein kurzes Händeschütteln hier, ein Selfie da, immer begleitet von einem Pulk aus Journalisten und Parteifotografen.
Eigentlich wollte Kurz sich mehr Zeit nehmen, davon hat er genug, seit ihn das Misstrauensvotum des Parlaments vor zweieinhalb Wochen zum jüngsten Altkanzler Europas gemacht hat. Der Mann, der seit acht Jahren ununterbrochen in Regierungsverantwortung stand, gestartet 2011 als Staatssekretär, 2013 aufgestiegen zum Außenminister, 2017 zum Bundeskanzler gewählt, ist plötzlich nur noch Vorsitzender der ÖVP - und weil er die Partei ganz auf sich zugeschnitten hat, jetzt quasi sein eigener Chef.
Statt sein Mandat im Nationalrat anzunehmen, bereist Kurz in den nächsten Wochen in einer Art Vorwahlkampf Österreich. Die anderen Parteien haben ihm das als Geringschätzung des Parlaments ausgelegt, Kommentatoren ihm Populismus unterstellt, seit Kurz nach seiner Abwahl ein trotziges Motto ausgab: "Das Parlament hat entschieden, aber im Herbst entscheidet das Volk". Sein Weg, diese Botschaft will er in den nächsten Wochen unter die Leute bringen, er ist noch nicht zu Ende.
"Da wurde gute Arbeit geleistet"
Die Frage, ob Kurz ein Populist ist, bleibt Ansichtssache, am Marktplatz in St. Pölten ist er vor allem eines: populär. Ein Gruppenfoto mit Kindergarten-Kindern, Schulterklopfer am Weintresen, ein Ständchen von einer Volksmusik-Kapelle, der Besuch entwickelt sich zum Selbstläufer. Neben ihrem Verkaufswagen warten Sonja und Franz Schrittwieser auf den Kanzler, einen Teller mit Hirsch-Rohschinken in der Hand, "unser Best-Of-Produkt", wie die 46-jährige Landwirtin erzählt. Der Gesprächseinstieg fällt nicht schwer an diesem Tag. "Heiß, oder?", fragt Kurz, der bei fast 30 Grad auf die Krawatte verzichtet, nicht aber auf das Sakko.
Ein bisschen Smalltalk, und schon zieht der Pulk weiter, aber die Schrittwiesers freuen sich, dass sie Kurz von ihrem Betrieb erzählen konnten. Auf die Turbulenzen in der Innenpolitik nach der Ibiza-Affäre angesprochen, überlegt Sonja Schrittwieser lange. "Es ist schade, dass die Regierung auseinandergebrochen ist", sagt sie schließlich: "Da wurde gut gearbeitet." Bei Sebastian Kurz habe sie den "Spirit" gefühlt, gegen den Stillstand im Land vorzugehen. Für ihre eigene kleine Metzgerei suche sie schon lange erfolglos eine Putzkraft, weil das Sozialsystem die Leute einfach nicht motiviere, arbeiten zu gehen: "Ich sage nicht, dass es schlechter werden soll, aber es ist einfach zu starr."
Reformen gegen den Stillstand, "Zeit für Neues", das waren - neben dem Mega-Thema Migration - die Wahlkampfschlager, die Kurz 2017 den Weg ins Bundeskanzleramt ebneten. In den 17 Monaten der umstrittenen Koalition mit den Rechtsaußen von der FPÖ spielte seine Regierung auf genau dieser Klaviatur: weniger Mindestsicherung für Migranten, eine Steuerreform, die Zusammenlegung der Sozialversicherungen. Alle Umfragen bescheinigten der Regierung hohe Zustimmung in der Bevölkerung, selbst der Ibiza-Skandal, der sie sprengen sollte, änderte daran nur wenig - bei den Europawahlen verlor die FPÖ nur wenig, Kurz' ÖVP feierte das beste EU-Ergebnis aller Zeiten. Die jüngsten Prognosen lassen die Partei auf mehr als 35 Prozent bei den Neuwahlen hoffen, alles andere als ein klarer Sieg wäre eine Überraschung. In Niederösterreich bewegt sich Kurz sowieso auf sicherem Terrain: Das landwirtschaftlich geprägte Bundesland gilt als feste Bastion der ÖVP, bei den letzten Landtagswahlen holte sie hier die absolute Mehrheit.
Heimspiel statt Parlaments-Hickhack
Am späten Nachmittag betritt Kurz den Innenhof der Landwirtschafskammer. Der vierte Termin des Tages steht an, vorher hatte Kurz noch das Landeskriminalamt und das Rote Kreuz besucht, nun die Landjugend, eine formal unabhängige Organisation, faktisch eine Kaderschmiede der ÖVP, Kurz' Vertraute und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger etwa begann in der Landjugend ihre Karriere. Das Heimspiel entspannt Kurz, er plaudert gelöst über die letzten Wochen, beantwortet auch heikle Fragen, nicht ohne den augenzwinkernden Hinweis an die anwesenden Journalisten, doch bitte wegzuhören.
Nach der Runde nimmt er sich ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch, sichtlich gelöst, den obersten Hemdknopf offen, völlig unbeeindruckt von aller Kritik, mit der man ihn konfrontiert: "Ich fühle mich wohl, es würde sich nicht richtiger anfühlen, jetzt im Parlamentshickhack mitzumachen in den Monaten vor der Neuwahl im September, wo es auch mal populistisch zugehen kann." Populismus, das ist genau der Vorwurf, den ihm seine Gegner jetzt machen, was Kurz nicht anficht: "Ich akzeptiere die Entscheidung des Parlaments. Ich sage nur: Viele Menschen fanden es nicht schlau, die ganze Regierung abzusetzen, und es ist ihr gutes Recht, uns im September wiederzuwählen." Hier in der Landwirtschaftskammer wird sich wohl niemand finden, der widersprechen würde. Aber auch hier geben die Umfragen Kurz recht: 52 Prozent der Menschen, das ergab eine Befragung wenige Tage vor dem Misstrauensvotum, waren gegen die Abwahl der Regierung.
Selbst die Torte trägt eine Botschaft
Rund 200 Menschen, die Kurz im September wohl ausnahmslos wiederwählen werden, haben sich kurze Zeit später auf der Terrasse von "Anitas Guglhupferei" im kleinen Örtchen Wilhelmsburg versammelt, eine Viertelstunde Autofahrt von St. Pölten entfernt. Kurz sucht unter einem Lindenbaum Schatten, auch die tief stehende Abendsonne strahlt noch Hitze aus, aber das Sakko bleibt an. Das erste Fass Bier geht aufs Haus, es herrscht Volksfeststimmung, und der Mann, der hier entweder nicht ganz protokoll-gemäß als "Herr Bundeskanzler" oder einfach nur als "lieber Sebastian" angeredet wird, unterhält seine Unterstützer mit einem Schwank aus den Ibiza-Tagen. Heinz-Christian Strache habe ihn zwar noch vor der Veröffentlichung gewarnt, aber auch nichts Genaues gewusst, weil er ja "angesoffen" gewesen sei. Großes Gelächter. "Ihr lacht", sagt Kurz mit einem breiten Grinsen. "Aber mir war gar nicht zum Lachen zumute."
An einem Stehtisch haben sich Walter und Gudrun Stuchlik platziert, die sich vor zehn Jahren in diesem Gasthaus beim Fasching kennengelernt haben. Beide sind zwar nicht in der Partei, aber Kurz-Sympathisanten. "Es ist einfach was weitergegangen", sagt Gudrun Stuchlik zu den 17 Monate der Regierung. Dass Kurz sein Amt räumen musste, findet sie falsch: "Egal mit wem man spricht - keiner versteht, warum es seine Schuld sein soll. Es war doch Strache mit dem Video." Kurz ist derweil schon wieder abgefahren, mit einer Torte im Gepäck, die ihm der Ortsverein geschenkt hat, verziert mit einer Botschaft: "Der Weg hat erst begonnen".
Quelle: ntv.de