Politik

Die Kriegsnacht im Überblick Selenskyj fleht um Waffenlieferungen - In Mariupol schwindet die Hoffnung

Zivilisten im zerstörten Mariupol.

Zivilisten im zerstörten Mariupol.

(Foto: AP)

Russlands Großoffensive im Osten der Ukraine läuft. Moskau hat dafür nach Angaben des ukrainischen Präsidenten "fast alle und alles, was fähig ist, mit uns zu kämpfen, zusammengetrieben". In Mariupol sehen sich die ukrainischen Truppen in einer aussichtslosen Lage. Bundeskanzler Scholz will der Ukraine zwar mit Waffen helfen, aber nur über Umwege. Botschafter Melnyk ist enttäuscht, die Koalitionspartner drängen zur Eile. Kanada kündigt derweil weitere Militärhilfen an. Die 54. Kriegsnacht im Überblick.

Selenskyj berichtet von massivem Truppenaufmarsch

Die Ukraine sieht sich im Osten des Landes mit einem massiven russischen Truppenaufmarsch konfrontiert. "Jetzt ist praktisch der gesamte kampfbereite Teil der russischen Armee auf dem Territorium unseres Staates und in den Grenzgebieten Russlands konzentriert", sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner jüngsten Videobotschaft, die in der Nacht veröffentlicht wurde. Die russische Seite habe "fast alle und alles, was fähig ist, mit uns zu kämpfen, zusammengetrieben", sagte Selenskyj. Eindringlich forderte er erneut Waffen. Wenn die Ukraine die geeigneten Waffen hätte, hätte sie den Krieg schon beenden können, erklärte Selenskyj.

London sieht bei Russen weiter Logistikprobleme

Nach Erkenntnissen des Londoner Verteidigungsministeriums verstärkt die russische Armee entlang der Demarkationslinie zum Donbass in der Ostukraine die Angriffe. Die Ukraine wehre aber zahlreiche Vorstöße russischer Truppen ab, teilte das britische Verteidigungsministerium unter Berufung auf Geheimdienstinformationen mit. Russische Fortschritte würden weiterhin durch das Gelände sowie logistische und technische Schwierigkeiten behindert. Dazu komme auch die Widerstandsfähigkeit der hochmotivierten ukrainischen Armee. Dass es Russland nicht gelungen sei, den Widerstand in der umkämpften südostukrainischen Hafenstadt Mariupol auszumerzen sowie die wahllosen russischen Angriffe, die Zivilisten treffen, seien weitere Hinweise darauf, dass Moskau seine Ziele nicht so schnell wie erhofft erreiche.

Mariupol: Moskau setzt neue Frist

Moskau versuchte am Dienstagabend mit einer neuen Frist die in einem Stahlwerk verschanzten letzten Verteidiger in Mariupol zur Aufgabe zu bewegen. Generaloberst Michail Misinzew kündigte eine einseitige Feuerpause samt "humanitärem Korridor" aus dem Stahlwerk für Mittwoch, 14.00 Uhr Moskauer Zeit (13.00 Uhr MEZ) an. Im Zuge dieser Feuerpause könnten sich ukrainische Kämpfer ergeben und Zivilisten evakuiert werden, heißt es in der Mitteilung des russischen Generaloberst. Russland will die strategisch wichtige Hafenstadt komplett unter Kontrolle bringen. Frühere Ultimaten an die Verteidiger ließen diese verstreichen. Am frühen Morgen schilderten die noch ausharrenden ukrainischen Truppen ihre aussichtslose Lage. "Wir sehen hier vielleicht unseren letzten Tagen, wenn nicht Stunden entgegen", sagte der Marinekommandant Serhij Wolyna in einem Video bei Facebook. "Der Feind ist uns in einem Verhältnis von 10:1 überlegen."

Melnyk enttäuscht über Scholz' Zusagen

In Deutschland geht die Debatte um eine Lieferung schwerer Waffen auch nach der jüngsten Erklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz weiter. Scholz hat der Ukraine zugesagt, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. "Wir haben die deutsche Rüstungsindustrie gebeten uns zu sagen, welches Material sie in nächster Zeit liefern kann", sagte er am Dienstag. "Die Ukraine hat sich nun von dieser Liste eine Auswahl zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung." Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition "und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann".

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk kritisierte die Ankündigung des Kanzlers als unzureichend. Sie seien in der ukrainischen Hauptstadt Kiew "mit großer Enttäuschung und Bitterkeit" zur Kenntnis genommen worden, sagte Melnyk. Im ZDF-"heute journal" monierte er zudem: "Die Waffen, die wir brauchen, die sind nicht auf dieser Liste." Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sagte: "Die von Olaf Scholz angekündigte Unterstützung unserer Partnerländer bei den Waffenlieferungen in die Ukraine ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber er reicht nicht aus". Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann lobte zwar, dass Scholz den Vorschlag aufgreife, für die Ukraine sofort bedienbare Waffen über osteuropäische Partner zu liefern, die Deutschland dann kompensiere. "Um Freiheit und Menschenrechte muss man aber kämpfen, die bekommt man nicht geschenkt. Dafür kam heute noch zu wenig Konkretes", schrieb sie auf Twitter.

Kanada will schwere Waffen liefern

Kanada will schwere Artilleriewaffen zur Verteidigung der Ukraine gegen den Angriff Russlands schicken. Das sagte Premierminister Justin Trudeau. Details zu den Waffen und ihren Kosten sollen in den kommenden Tagen vorgestellt werden.

USA sehen ukrainische Luftwaffe besser gerüstet

Das US-Verteidigungsministerium teilte seine Einschätzung mit, dass die ukrainische Luftwaffe aktuell besser dastehe als vor zwei Wochen. Verbündete Staaten, die mit den gleichen Flugzeugtypen Erfahrung hätten, hätten den Ukrainern dabei geholfen, mehr Flugzeuge einsatzbereit zu machen, erklärte der Sprecher. "In diesem Moment haben die Ukrainer mehr Kampfflugzeuge zur Verfügung als noch vor zwei Wochen." Die USA hätten beim Transport von "einigen zusätzlichen Ersatzteilen geholfen", aber keine kompletten Flugzeuge transportiert.

Explosionen in südukrainischer Stadt Mykolajiw

Aus der südukrainischen Großstadt Mykolajiw ist erneut Beschuss gemeldet worden. "Wieder Explosionen in Mykolajiw", schrieb der Bürgermeister der Stadt, Olexander Senkewytsch, am frühen Mittwochmorgen auf Telegram. Über Schäden und Opfer gab es zunächst keine Angaben. Separatistische Gruppierungen der "Volksrepublik" Luhansk vermeldeten unterdessen die Einnahme einer Kleinstadt im Gebiet Luhansk im Osten der Ukraine. Die Stadt Kreminna sei "vollständig" unter Kontrolle der Einheiten der "Volksrepublik", teilte die Luhansker "Volksmiliz" am Dienstagabend auf Telegram mit. Laut der jüngsten Analyse des US-Kriegsforschungsinstituts ISW war der Vorstoß nach Kreminna die einzige russische Bodenoffensive binnen 24 Stunden, die "signifikante Fortschritte" gemacht habe.

Fünf Millionen Vertriebene aus Ukraine

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) geht nach aktuellen Berechnungen davon aus, dass mehr als fünf Millionen Menschen aus der Ukraine vor dem russischen Angriffskrieg ins Ausland geflohen sind. Hinzu kämen etwa 7,1 Millionen Menschen, die innerhalb der Ukraine ihr Zuhause verlassen hätten, sagte die stellvertretende UN-Hochkommissarin des UNHCR, Kelly Clements.

Kommunikation zwischen Tschernobyl und Kiew wiederhergestellt

Nach mehr als einem Monat Unterbrechung ist die direkte Kommunikation zwischen dem ehemaligen Kernkraftwerk Tschernobyl und der zuständigen ukrainischen Aufsichtsbehörde wiederhergestellt worden. Das teilte der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi unter Berufung auf Informationen der ukrainischen Atomaufsichtsbehörde mit. Grossi plant noch im April eine Mission von IAEA-Experten zum Standort Tschernobyl zu leiten.

Das wird heute wichtig

  • Außenministerin Annalena Baerbock reist nach Lettland, Estland und Litauen. Im Mittelpunkt der Gespräche stehen nach Angaben des Auswärtigen Amtes die Reaktion von EU, Nato und internationaler Gemeinschaft auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Weiteres Thema dürfte die Sicherheitslage in der gesamten Region sein.
  • Als Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine will Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze bei der Weltbank-Tagung in Washington dafür werben, ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit zu schaffen.
  • Der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak trifft in Washington seinen US-Kollegen Lloyd Austin.

Quelle: ntv.de, ino/dpa

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