
Die Pandemie ist noch nicht vorbei, sagen Sander, Wieler und Spahn.
(Foto: REUTERS)
Die Delta-Variante des Coronavirus wird diesen Sommer das Infektionsgeschehen dominieren, da sind sich die Experten einig. In der Bundespressekonferenz warnen Gesundheitsminister Spahn und RKI-Präsident Wieler vor der Variante - zu Angst bestehe aber auch kein Anlass.
Radelt man dieser Tage durch Berlin, sieht vieles schon wieder so aus wie vor der Pandemie. Parks, Biergärten und Cafés sind voll und Masken liegen häufig nur noch im Straßendreck. Aus anderen Teilen des Landes gibt es ähnliche Bilder. Warum auch nicht? Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei 6,2. Da könnte man fast sagen: "Corona ist vorb…" - doch bevor man den Satz ausgesprochen hätte, käme einem wahrscheinlich schon Lothar Wieler in den Sinn, wie er einen Zeigefinger hebt und den anderen über den Mund legt. Denn wie der Präsident des Robert-Koch-Instituts auch am Vormittag bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Gesundheitsminister Jens Spahn beteuert: Corona ist eben noch nicht vorbei.
Das liegt nicht nur, aber vor allem an der Delta-Variante, die Deutschland gerade erobert. Jüngsten Zahlen zufolge liegt ihr Anteil schon bei gut 15 Prozent, wobei Wieler in der Bundespressekonferenz darauf hinwies, dass die untersuchten Proben aus der zweiten Juni-Woche stammen und davon auszugehen sei, dass der Anteil mittlerweile schon wieder höher liegt. Im August soll die zuerst in Indien nachgewiesene Mutation dann hierzulande dominieren. Was Wieler, Spahn und den Berliner Charité-Professor Leif Erik Sander dazu verleitete, vor deren Ausbreitung zu warnen und zu Disziplin in Sachen Maske tragen und Lüften aufzurufen. Denn das mache es auch der Delta-Variante schwer, sich auszubreiten, sagte Wieler.
"Es liegt an uns", sagte Spahn. "Wir dürfen zuversichtlich in den Sommer gehen, aber aus einem sorglosen Sommer darf kein Sorgen-Herbst werden", so der Minister. Die Frage sei, unter welchen Bedingungen die Delta-Variante die Oberhand gewinnen werde. "15 oder 25 Prozent von 500 Infektionen ist etwas anderes als 15 oder 25 Prozent von 5000 Infektionen", so Spahn. Die Ausgangslage sei gut. "Also lassen Sie uns dafür sorgen, dass es so bleibt." Immerhin: Alle in Deutschland zugelassenen Impfstoffe bieten einen guten Schutz auch vor Delta. Allerdings nur nach der Zweitimpfung.
In vier bis sechs Wochen 50 Prozent Zweitgeimpfte
Spahn zufolge werden in vier bis sechs Wochen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung die zweite Spritze erhalten haben. Den vollen Schutz haben aktuell 28,3 Millionen Menschen oder 34,1 Prozent, wie der Minister ebenfalls mitteilte. 44 Millionen Menschen oder 52,9 Prozent hätten die Erstimpfung erhalten. "Wir fühlen uns durch die Delta-Variante in unserer Impfstrategie bestätigt", sagte Spahn. Denn man habe sich anders als Großbritannien dafür entschieden, das Impfintervall nicht zu verlängern. Es sei schon am Jahresanfang zu erwarten gewesen, dass Mutationen auftreten könnten, die den gesamten Impfschutz erforderlich machten - so wie es nun bei der Delta-Variante der Fall sei.
Leif Erik Sander von der Charité sagte, man müsse jetzt jene erreichen, die noch skeptisch seien und sich nicht impfen lassen wollten, eine hohe Impfquote sei essenziell. Insofern schlossen der Minister und die beiden Professoren der Warnung vor Delta auch gleich eine Beruhigung an: Wer doppelt geimpft ist, dem wird Delta nicht viel anhaben können. Wobei Sander sagte, dass für manche eine dritte Impfung sinnvoll sein könnte. Denn die Impfwirkung könne durch ein geschwächtes Immunsystem nachlassen - was bei Menschen hohen Alters (über 80) oder auch nach einer Organtransplantation der Fall sein könnte. Dann könnte eine sogenannte Booster-Impfung notwendig werden, so der Mediziner. Auch für Kontaktpersonen wie Gesundheitspersonal könne man darüber nachdenken. Wieler fügte hinzu, es liege an der Ständigen Impfkommission (STIKO), entsprechende Empfehlungen abzugeben. Spahn sagte zu einer möglichen dritten Impfung: "Das werden wir möglich machen."
Um eine möglichst hohe Impfquote zu erreichen, sei es auch notwendig, Kindern und Jugendlichen eine Impfung anzubieten, sagte Sander. Momentan sei es aber wichtiger, möglichst viele Erwachsene zu impfen. Spahn sagte, bis Ende August könnte allen 12- bis 18-Jährigen ein Impfangebot gemacht werden. Kinder, Eltern und Ärzte müssten dann abwägen, ob sie das wollten. Die STIKO hatte sich dagegen entschieden, eine Impfung dieser Altersgruppe zu empfehlen, weil es bei Jugendliche nur ein geringes Risiko gibt, dass eine Covid-19-Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt.
Zum Thema Reisen sagte Wieler, dass das RKI immer noch von nicht notwendigen Reisen abrate - er wisse aber, dass nun viele in den Urlaub fahren wollten. Man solle sich dann aber über das Infektionsgeschehen am Urlaubsort informieren und auch dort in Innenräumen Maske tragen und Menschenansammlungen vermeiden. Vor allem solle man sich und seine Familie auch testen lassen, wenn man zurückkomme. "Bitte nehmen Sie das ernst", so Wieler. Spahn sagte, wer in Virusvariantengebiete reise, müsse nach der Rückkehr zwei Wochen in Quarantäne. Man könne sich auch nicht freitesten. Nach England solle man nur reisen, wenn es unbedingt nötig sei. "Was nützt es denn, wenn wir sagen: 'Sommer, gutes Wetter, das Virus ist weg'?", fragte Spahn. "Es ist nicht weg. Es liegt jetzt an uns."
Quelle: ntv.de