Suche nach Verhandlungslösungen Was unterscheidet Feuerpause und Waffenstillstand?

In der Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas fallen derzeit immer wieder zwei Begriffe: humanitäre Pause und Waffenstillstand. Dahinter stehen zwei Lager, die in dem Konflikt verschiedene Lösungen anstreben. Selbst die kleinste Übereinkunft erscheint derzeit kaum zu erreichen.
Seit einem Monat greift Israel als Reaktion auf die Massaker der Hamas vom 7. Oktober Ziele im Gazastreifen an. Durch die massiven Luft- und Bodenangriffe und die Abriegelung des Gazastreifens wurden nach nicht unabhängig überprüfbaren Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums bisher mehr als 10.000 Menschen getötet. UN-Angaben zufolge sind 1,5 Millionen Menschen infolge der Kämpfe auf der Flucht. Die erklärte Absicht Israels ist, die Kommandostrukturen der Hamas nachhaltig zu zerschlagen und die führenden Köpfe der radikalislamischen Terrororganisation zu töten. Inzwischen werden jedoch Feuerpausen oder gar ein Waffenstillstand gefordert. Doch was ist der Unterschied?
Der UN-Definition zufolge handelt es sich bei einer "humanitären Pause" um eine vorübergehende Einstellung der Kämpfe, um Hilfslieferungen in ein Kriegsgebiet zu bringen und möglicherweise Menschen in Not oder extremer Gefahr in Sicherheit zu bringen. Humanitäre Pausen müssen nicht das gesamte Konfliktgebiet abdecken - sie können auch auf einen kleineren Bereich beschränkt werden. Sie dauern manchmal nur wenige Stunden. Synonym zur humanitären Pause werden auch die Begriffe Feuerpause und Waffenruhe verwendet. Darunter verstanden wird in jedem Fall die kurzfristige Einstellung von Kampfhandlungen zu einem bestimmten Zweck.
Den Vereinten Nationen zufolge werden sie in der Regel ausschließlich mit dem Ziel umgesetzt, humanitäre Hilfe zu leisten und nicht, um langfristige politische Lösungen zu erreichen. Wenn es den beteiligten Parteien jedoch immer wieder gelingt, sich auf Feuerpausen zu verständigen und sie dann auch einzuhalten, kann das eine Grundlage für Waffenstillstandsverhandlungen schaffen.
Interesse an humanitärer Hilfe
Aber selbst für diese Zweck-Vereinbarungen sieht es derzeit im Konflikt zwischen Israel und der Hamas nicht gut aus. Der frühere UNRWA-Chef im Gazastreifen, Matthias Schmale, sagte ntv.de kürzlich, dass es beim Gaza-Krieg 2021 auch keine Feuerpausen gegeben habe. "Aber damals war gleich zu Beginn von israelischer Seite durchgesickert, dass der Krieg maximal zwei Wochen dauern würde." In den Kriegen zuvor habe es immer Feuerpausen gegeben, die zwischen Israel und Hamas beziehungsweise dem Islamischen Dschihad abgesprochen worden seien. "Zwei Stunden pro Tag wurde von beiden Seiten nicht gefeuert, meist haben sich auch alle daran gehalten, weil alle ein Interesse daran haben, dass humanitäre Hilfe geleistet werden kann."
In diesem Konflikt ist das anders. Nach dem 7. Oktober gibt es nicht mal mehr ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den Kriegsparteien. Israel will zudem den verhängnisvollen Fehler nicht wiederholen, die Hamas zu unterschätzen und den Terroristen erneut Zeit zu geben, sich für eine nächste Kriegsphase neu aufzustellen. Gleichzeitig drängen die USA, Großbritannien, die EU und Kanada und verschiedene UN- und Hilfsorganisationen Israel, wenigstens eine humanitäre Pause zuzulassen. Für Israel relevant ist vor allem der Druck aus den USA: "Wenn die Gefahr besteht, dass die USA nicht mehr an der Seite Israels stehen, dann muss auch Israel seine Maßnahmen anpassen", sagt Militärexperte Markus Reisner ntv.de.
Zudem hat die Annahme, die Hamas sei an einer humanitären Versorgung der Menschen im Gazastreifen interessiert, deutliche Risse bekommen. Nach Angaben israelischer Geheimdienste missbraucht die Hamas Krankenhäuser als Teil ihrer Infrastruktur. Die Kommandozentrale befindet sich demnach unter- und innerhalb der größten Klinik im Gazastreifen. Die internationale Wirkung der palästinensischen Opfer in diesem Krieg gilt neben dem Tunnelsystem im Gazastreifen als eine der Hauptwaffen der Hamas in ihrem Informationskrieg gegen Israel.
"Eine Stunde hier, eine Stunde dort"
Für einen Waffenstillstand setzen sich unter anderem Ägypten, Jordanien, Katar und Marokko ein. Im Gegensatz zur Waffenruhe ist ein Waffenstillstand langfristig angelegt, wobei oft genaue Bedingungen festgelegt werden. Er zielt oft darauf ab, den Parteien den Dialog zu ermöglichen, einschließlich der Möglichkeit, eine dauerhafte politische Lösung zu erreichen, so die UN. Einen Waffenstillstand macht der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu allerdings von einer Freilassung der Geiseln abhängig. "Ohne die Freilassung unserer Geiseln wird es in Gaza keinen Waffenstillstand, keinen allgemeinen Waffenstillstand geben", sagte Netanjahu im Interview mit dem US-Sender ABC News.
Anders äußerte er sich über kürzere Feuerpausen: "Was die taktischen kleinen Pausen angeht, eine Stunde hier, eine Stunde dort", so werde Israel prüfen, ob dies möglich sei, um es zu ermöglichen, dass humanitäre Güter geliefert werden oder einzelne Geiseln den Gazastreifen verlassen könnten. "Aber ich glaube nicht, dass es zu einem allgemeinen Waffenstillstand kommen wird."
Ein Waffenstillstand wird von den Kriegsparteien vereinbart und verbietet beiden Parteien mit sofortiger Wirkung anzugreifen (Waffenstillstandsvertrag). In der Haager Landkriegsordnung von 1907 wird der Waffenstillstand rechtlich definiert. In Artikel 36 heißt es: "Der Waffenstillstand unterbricht die Kriegsunternehmungen kraft eines wechselseitigen Übereinkommens der Kriegsparteien. Ist eine bestimmte Dauer nicht vereinbart worden, so können die Kriegsparteien jederzeit die Feindseligkeiten wieder aufnehmen." Gemäß den Genfer Konventionen sind in einem Waffenstillstandsvertrag alle Kriegsparteien verpflichtet, die Rückkehr von Zivilinternierten und Kriegsgefangenen zu ermöglichen.
Dass eine verbindliche Einigung auf so viele Aspekte zwischen Israel und der Hamas zeitnah möglich sein könnte, bezweifeln selbst die größten Optimisten. Wenn Israel und die Hamas in der Vergangenheit Waffenstillstände ausgehandelt haben, war häufig Ägypten als Vermittler beteiligt. Das wird sicher auch in diesem Fall so sein. Ein weiterer möglicher Vermittler ist Katar. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dürfte sich selbst aus dem Spiel genommen haben, als er ankündigte, alle Kontakte zu Netanjahu abzubrechen.
Als Voraussetzung für eine Vereinbarung wird neben der Freilassung der Geiseln jedoch angesehen, dass Israel in Abstimmung mit seinen Verbündeten zu dem Schluss kommt, die militärischen Fähigkeiten der Hamas ausreichend geschwächt und genug Hamas-Führer getötet zu haben, um sicher zu sein, dass sich der 7. Oktober nicht wiederholen kann. Ob dann Hamas noch der Verhandlungspartner auf palästinensischer Seite ist oder vielleicht die Palästinensische Autonomiebehörde ist nur ein weiterer ungeklärter Punkt.
Quelle: ntv.de