Politik

Der Kriegstag im Überblick Tote bei Angriff auf Bahnhof - Ukraine erhält weitere Militärhilfen

Bilder, die die ukrainischen Streitkräfte auf Telegram geteilt haben, zeigen den Angriff am Bahnhof von Tschaplyne.

Bilder, die die ukrainischen Streitkräfte auf Telegram geteilt haben, zeigen den Angriff am Bahnhof von Tschaplyne.

(Foto: Telegram)

Seit sechs Monaten herrscht Krieg in der Ukraine - der Stichtag fällt genau auf den Unabhängigkeitstag des Landes. Präsident Selenskyj warnte im Vorfeld vor Attacken von russischer Seite. Am Abend meldet er mindestens 22 Tote und 50 Verletzte nach einem Angriff auf einen Bahnhof. Während die USA weitere Militärhilfe in Milliardenhöhe zusagen, lässt Kreml-Chef Putin Ukrainern in den besetzten Gebieten 10.000 Rubel auszahlen.

Tote und Verletzte

Durch russischen Beschuss auf einen Bahnhof in der Ukraine sind nach ukrainischen Angaben an deren Nationalfeiertag mindestens 22 Menschen getötet worden. Präsident Wolodymyr Selenskyj berichtete, dass etwa 50 Menschen auf dem Bahnhof von Tschaplyne im Gebiet Dnipropetrowsk verletzt worden seien. Die Raketen hätten einen Zug getroffen, sagte Selenskyj, vier Waggons stünden in Flammen. "Rettungskräfte sind im Einsatz. Es kann leider sein, dass die Zahl der Toten noch steigt", berichtete der Präsident weiter in einer Videoschalte mit dem UN-Sicherheitsrat in New York. "Tschaplyne ist heute unser Schmerz", sagte Selenskyj zum 31. Jahrestag der Unabhängigkeit seines Landes von der Sowjetunion. Die Ukraine werde die russischen Angreifer aber vertreiben. "Unsere Unabhängigkeit endet nicht und wird niemals enden. Der Präsident versicherte, es werde auch einen 32. Unabhängigkeitstag und einen 33. und alle folgenden geben. "Die Ukraine wird ewig bestehen." Erste Bilder aus der Region, die von den ukrainischen Streitkräften auf Telegram geteilt wurden, zeigen einen zerstörten Zug. An anderer Stelle des Gebiets Dnipropetrowsk im Zentrum des Landes kam ein elfjähriges Kind durch russischen Beschuss ums Leben, wie die örtlichen Behörden mitteilten.

Weitere Angriffe gemeldet

Nach offiziellen Angaben sind mehrere Regionen der Ukraine mit russischen Raketen beschossen worden. Im Gebiet Chmelnyzkyj im Westen des Landes waren am Nachmittag schwere Explosionen zu hören, wie Gouverneur Serhij Hamalij mitteilte. Wenige Minuten zuvor hatten oppositionelle Aktivisten aus dem Nachbarland Belarus angeblich den Abschuss von vier Raketen von belarussischem Gebiet aus registriert. Auch zwei russische Bomber seien von Belarus aus gestartet. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Am Vormittag seien über Chmelnyzkyj drei russische Marschflugkörper vom Typ Kalibr abgefangen worden, teilte das zuständige Kommando der ukrainischen Luftwaffe mit. In diesem Fall seien die Raketen vom Schwarzen Meer aus abgefeuert worden. Auch das Gebiet Schytomyr im Norden wurde angeblich beschossen. Den ganzen Tag über herrschte in der Ukraine immer wieder Luftalarm.

Selenskyj: "Nukleare Erpressung"

Vor dem UN-Sicherheitsrat warf Selenskyj Russland wegen dessen Besetzung des Atomkraftwerks Saporischschja "nukleare Erpressung" vor. Er forderte Russland auf, sich vollständig aus der ukrainischen Nuklearanlage zurückzuziehen. Moskau müsse seine "nukleare Erpressung bedingungslos beenden". Selenskyj bezeichnete die Gefahr einer Strahlenverseuchung in Europa als "eine Tatsache".

Die Nuklearanlage in Saporischschja - das größte Akw Europas - war zuletzt wiederholt beschossen worden, wofür sich Kiew und Moskau gegenseitig verantwortlich machen. Vor der Ansprache Selenskyjs hatte sich UN-Generalsekretär António Guterres erneut besorgt über die Lage in Saporischschja gezeigt. "Jede neue Eskalation der Lage könnte zur Selbstvernichtung führen", warnte er unter Bezug auf die Gefahr einer Nuklearkatastrophe. Die sechsmonatige Kriegsdauer bezeichnete er als "traurigen und tragischen Meilenstein".

Russland verteidigt Angriff auf Ukraine

Moskaus Verteidigungsminister Sergej Schoigu bekräftigte indes die Rechtfertigungen des russischen Angriffs. Die Ukraine habe den Minsker Friedensplan für die Gebiete im Donbass abgelehnt, sagte Schoigu laut Agentur Interfax in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Deshalb "ging reale Gefahr für die Menschen im Donbass aus, und in der Perspektive für die Russische Föderation", sagte er. Die sogenannte Militäroperation läuft laut Moskau nach Plan. "Alle Ziele werden erreicht", sagte Schoigu.

Internationale Beobachter vermerken, dass die russischen Truppen nur schleppend vorankommen. Schoigu erklärte indes, das Tempo der Angriffe sei bewusst verlangsamt worden, um Opfer unter Zivilisten zu vermeiden. Er reagierte damit auf den Vorwurf, Kriegsverbrechen zu begehen. Zudem geißelte Schoigu erneut die Militärhilfe des Westens für Kiew. Dies erhöht aus seiner Sicht die Opferzahl und verlängert den Konflikt. "Wir werden kämpfen bis zum Schluss."

Zugeständnisse und Kompromisse gegenüber den russischen Angreifern schloss Selenskyj aus. Russische Soldaten bezeichnete er in einem Videoclip als "Mörder, Vergewaltiger und Plünderer". Der Krieg habe die Ukraine geeint. Er würdigte alle, die für die Unabhängigkeit der Ukraine kämpften. Auch Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagte in einer Videobotschaft: "Wir werden alles überstehen, egal, wie schwer es ist. Wir werden siegen!" Den Unabhängigkeitstag begingen Selenskyj und seine Frau Olena unter anderem mit einem "Gebet für die Ukraine" mit Vertretern aller Glaubensrichtungen in Kiew.

Putin ordnet Zahlungen in besetzten Gebieten an

Russlands Präsident Wladimir Putin ordnete indes Geldzahlungen für Menschen in besetzten Gebieten an. In den besetzten Teilen der ostukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk und Charkiw sowie in Saporischschja und Cherson im Süden sollen Eltern von Kindern im Alter zwischen 6 und 18 Jahren einmalig 10.000 Rubel (knapp 170 Euro) erhalten, wie aus einer Kreml-Mitteilung hervorging. Immer wieder steht Moskau in der Kritik, Ukrainer etwa durch Geld - aber auch durch die Vergabe russischer Pässe - an sich zu binden. Putins Dekret fiel zeitlich zusammen mit dem ukrainischen Nationalfeiertag.

Militärhilfe aus USA und Großbritannien

US-Präsident Joe Biden sicherte der Ukraine Militärhilfe im Volumen von rund drei Milliarden Dollar (drei Milliarden Euro) zu. Dabei handelt es sich der Washingtoner Regierung zufolge um das bislang größte derartige Hilfspaket der USA seit Beginn der russischen Invasion vor sechs Monaten. "Die Vereinigten Staaten von Amerika sind entschlossen, das ukrainische Volk bei seiner anhaltenden Verteidigung der Souveränität zu unterstützen", erklärte Biden laut einer Mitteilung des Präsidialamts anlässlich des ukrainischen Unabhängigkeitstags. Seit Bidens Amtsantritt im Januar 2021 haben die USA die Ukraine mit insgesamt rund 10,6 Milliarden Dollar Militärhilfe unterstützt.

Bei einem Überraschungsbesuch in Kiew anlässlich des Unabhängigkeitstages sagte der britische Premierminister Boris Johnson ebenfalls weitere Militärhilfe im Volumen 54 Millionen Pfund (rund 64 Millionen Euro) zu. Das Paket umfasst den Angaben zufolge 2000 Drohnen und Lenkwaffen, die es dem ukrainischen Militär ermöglichen sollen, die russischen Invasionstruppen besser zu bekämpfen und ihre Bewegungen genauer zu verfolgen. "Großbritannien wird weiterhin an der Seite unserer ukrainischen Freunde stehen. Ich glaube, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann und wird", erklärte Johnson auf Twitter.

Belarus blitzt mit Gratulation ab

Der Russland-Verbündete Belarus gratulierte der Ukraine überraschend zum Unabhängigkeitstag und handelte sich damit eine harsche Abfuhr aus Kiew ein. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko schrieb auf seiner Website, er wünsche den Ukrainern "friedliche Himmel, Toleranz, Mut, Stärke und Erfolg bei der Wiederherstellung eines anständigen Lebens". Russland hatte mit Erlaubnis der Regierung in Minsk eigene Bodentruppen in das gemeinsame Nachbarland einmarschieren lassen und aus belarussischem Luftraum Raketen auf die Ukraine abgefeuert. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak kritisierte die Äußerungen des belarussischen Präsidenten scharf. "Lukaschenko glaubt ernsthaft, dass die Welt seine Beteiligung an den Verbrechen in der Ukraine nicht bemerke", schrieb Podoljak auf Twitter. "Darum wünscht er und zynisch einen 'friedlichen Himmel', während er erlaubt, dass tödliche Raketen auf uns niedergehen."

Russischer Oppositioneller festgenommen

Als einer der letzten noch in Freiheit lebenden Oppositionellen wurde in Russland der Politiker Jewgeni Roisman festgenommen. Gegen den 59-jährigen ehemaligen Bürgermeister von Jekaterinburg seien Ermittlungen wegen "Diskreditierung" der russischen Armee eingeleitet worden, teilte das russische Innenministerium mit. Die Ermittler werfen Roisman vor, ein Video im Internet veröffentlicht zu haben, welches den Einsatz der russischen Armee diskreditiere. Die staatliche Nachrichtenagentur Tass hatte zuvor berichtet, das Video sei auf dem Youtube-Kanal des Politikers veröffentlicht worden. Im Fall einer Verurteilung wegen "Diskreditierung" der Armee drohen Roisman bis zu zehn Jahre Haft.

Weitere Texte zum Ukraine-Krieg:

Alle weiteren Entwicklungen können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.

Quelle: ntv.de, chf/dpa/AFP/rts

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