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"Das nicht durchgehen lassen" US-Präsident Biden hat ein Israel-Problem

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"US-Waffen töten Kinder in Gaza": Pro-Palästina-Demonstranten bei der Kundgebung in New York City.

"US-Waffen töten Kinder in Gaza": Pro-Palästina-Demonstranten bei der Kundgebung in New York City.

(Foto: AP)

Israels Krieg in Gaza verringert Joe Bidens Wiederwahlchancen. Insbesondere jüngere Wähler sind enttäuscht oder wütend auf den US-Präsidenten. Nach den mehr als hundert Toten rund um den Hilfskonvoi wächst der Druck.

Es regnet in Strömen, aber stundenlang harren die Menschen aus, während sich die Sprecher am Pult ablösen. Viele Tausende von ihnen drängen sich auf dem kleinen Washington Square Park im New Yorker Bezirk Manhattan. Am Ufer des bunten Regenschirmsees flackern Aufnahmen des Krieges und Hilfsgüterkonvois über die Videowände eines Kleinlasters. "Israel hat mehr als 30.000 Palästinenser ermordet, 8000 werden unter Trümmern vermutet. 1,5 Millionen wurden vertrieben", heißt es dort. Dann folgen die neuesten Nachrichten in Bewegtbild. "28.02., die israelische Armee schoss auf Palästinenser, die Mehl von Hilfs-LKW bekommen sollten. Danach überfuhren ihre Panzer mehrere Menschen. 112 tot. 750 verwundet." Dies ist eine Version. Denn wie die Menschen zu Tode kamen, ist zu diesem Zeitpunkt unklar.

Irgendwann setzt sich die Menge in Bewegung und zieht zur 7th Avenue. 50.000 Menschen seien gekommen, sagen die Organisatoren. In Sprechchören und auf Schildern wird Frieden gefordert, ein Waffenstillstand, Hilfe für die Bevölkerung in Gaza; "Biden/Democratic Party: WAR", ist auf einem Plakat zu lesen. "Amerika finanziert Genozid", auf einem anderen. Auch radikalere Sprechchöre werden vereinzelt angestimmt.

Der US-Präsident und die Demokraten als Kriegstreiber im Nahen Osten? Das klingt verquer, denn der terroristische Überfall der Hamas auf israelische Siedler war der Auslöser des aktuellen Krieges. Doch der könnte für Joe Biden ein enormes Problem werden. Wenn darüber die Wählerkoalition zerbricht, die ihn 2020 ins Weiße Haus trug, wird er im November wahrscheinlich die Präsidentschaftswahl verlieren.

Insbesondere junge Wähler wenden sich von Biden ab. Von der Generation Z, den Geburtsjahrgängen 1997 bis 2010, glauben 49 Prozent, in Gaza finde ein Völkermord statt. Bei der Generation Y, auch als Millennials bekannt, sind es 43 Prozent. Es ist Staatsräson der USA, im Zweifel auf der Seite Israels zu stehen - so auch in diesem Krieg. Doch seit dem Überfall, auf den Israels Armee IDF mit aller Härte reagiert, ändert sich die Sicht unter den Wählern der Demokraten. Je näher die Präsidentschaftswahl rückt und länger der Krieg in Gaza andauert, desto schwieriger wird es für Biden, ihnen gegenüber seine Unterstützung für Israel zu begründen.

"Israel geht zu weit"

Zur Demonstration ist auch die jüdische Amerikanerin Rachel Monastersky gekommen. "Das wurde auch meiner Verwandtschaft schon einmal angetan", bemüht die junge Frau einen schrägen historischen Vergleich. "Niemand hat alleinigen Anspruch auf einen Staat." Die 20-Jährige ist an diesem Samstag allein aus New Jersey nach Manhattan gefahren. Sie wird im November das erste Mal wählen gehen, aber sie ist wütend auf den Präsidenten, hin- und hergerissen zwischen ihren Optionen. Biden habe das Vertrauen der jungen Leute verspielt. Trump hingegen möge sie persönlich zwar nicht, aber womöglich werden mit ihm mehr Menschen geholfen. Wie den hungernden und getöteten Kindern in Gaza. "Die Fotos sind grauenhaft", sagt Rachel Monastersky schockiert.

Bereits Ende des vergangenen Jahres sagten 56 Prozent unter den Anhängern der Demokraten im Alter von 18 bis 34 Jahren, Israels militärische Antwort "geht zu weit". Diese Altersgruppe wird im November 20 Prozent der Wählerschaft ausmachen. Je jünger die Befragten, desto kritischer sind ihre Ansichten gegenüber Israel. Die Vorkommnisse um den Hilfskonvoi am Donnerstag werden dies aller Voraussicht nach verstärken.

US-Präsident Joe Biden hat das Vertrauen vieler junger Wähler verloren.

US-Präsident Joe Biden hat das Vertrauen vieler junger Wähler verloren.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Für Bidens Wiederwahlchancen ist das Gift. Denn je jünger 2020 die Wähler waren, desto größer war auch der Anteil unter ihnen, der sich für den US-Präsidenten entschied. Sie bildeten damit einen entscheidenden Anteil seiner vielfältigen Koalition an Unterstützern.

Protestwahl in Michigan

Die Rufe nach einem Waffenstillstand werden drängender. Im Bundesstaat Michigan, wo etwa in und um Detroit viele US-Amerikaner arabischer Abstammung leben, hatten wegen der Israel-Politik der Regierung bei den Vorwahlen der Demokraten am Dienstag 100.000 Menschen eine Proteststimme gegen Biden abgegeben. Dazu kommen wegen der Konvoi-Tragödie aus dem Ausland die diplomatischen Rufe und Bitten nach größeren Anstrengungen der US-Regierung.

Das Weiße Haus bat Israel um eine Untersuchung der "sehr alarmierenden" Todeszahl rund um den Hilfskonvoi im Norden des Gazastreifens. Kurz vor dem Vorfall hatten die Vereinten Nationen - ohne Angabe von Quellen - mitgeteilt, seit Beginn der israelischen Offensive seien mehr als 30.000 Menschen getötet worden. Auch die Hamas gab diese Zahl an, mit dem zusätzlichen Hinweis, dass davon 25.000 Frauen und Kinder gewesen seien. Bis zu 300.000 Zivilisten befinden sich im Norden Gazas, wo die IDF die meisten Kämpfer der Hamas getötet oder vertrieben hat. Die aktive Konfliktzone hat sich in den Süden verschoben.

Pro-Gaza-Plakate auf dem Washington Square

Pro-Gaza-Plakate auf dem Washington Square

(Foto: AP)

Während am Donnerstag Tausende Menschen am frühen Morgen "um Nahrung kämpften", wie es Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné beschrieb, zeigten rote Linien die verwendete Leuchtspurmunition. Auf Videoaufnahmen des Senders Al-Jazeera fliehen gesichtslose Menschen durchs Halbdunkel, rufen panisch nach Allah, während Feuerschein und einzelne Lichter ihre Umrisse erkennen lassen. Zeugen sagen, die israelische Armee habe das Feuer auf Hilfssuchende eröffnet. Die israelische Armee sagt, die meisten Todesopfer habe es wegen einer Massenpanik gegeben.

Laut Angaben eines Krankenhauses, wo die Verwundeten behandelt werden, wurden mehr als 80 Prozent der Menschen von Kugeln getroffen. Die Nachrichtenagentur AFP meldete unter Berufung auf eine israelische Quelle, die Soldaten hätten das Feuer auf die Menge eröffnet, weil sie glaubten, diese habe eine Gefahr dargestellt. Ein israelischer Armeesprecher sagte, die Einsatzkräfte hätten sich an internationales Recht gehalten und sich zurückgezogen. Es seien nur Warnschüsse abgegeben worden. "Es wurde kein Angriff auf den Konvoi ausgeführt." Die Truppen hätten vielmehr den Hilfskorridor gesichert, damit die Nahrung den Verteilungspunkt erreichen konnte.

Waffenstillstand als erster Schritt

Der Schlüssel zu einem Waffenstillstand ist ein Gefangenenaustausch. Biden ist im Gespräch mit den Beteiligten, er will eine mindestens sechswöchige Feuerpause. Die US-Regierung hatte auf einen Abschluss am Montag gesetzt, doch die Vorkommnisse rund um den Hilfskonvoi haben die Gespräche verkompliziert. Biden hofft noch auf ein Schweigen der Waffen vor dem Fastenmonat Ramadan, der am 10. März beginnt. Israel hat dem Zeitplan zugestimmt, die Hamas bislang nicht. Die Beteiligten seien "weit voneinander entfernt", sagte der US-Präsident.

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Das UN-Welternährungsprogramm berichtet aus Gazas Norden von katastrophalen Bedingungen: "Der Zusammenbruch der zivilen Ordnung, getrieben von purer Verzweiflung" verhindere die sichere Verteilung von Nahrungsmitteln. Zudem hat sich die Anzahl der Hilfs-LKW im Februar stark verringert. Mehrere Länder werfen nun mit Flugzeugen Hilfsgüter über Gaza ab, am Samstag erstmals auch das US-Militär.

Vor allem junge US-Amerikaner werden genau hinschauen, wie sich die Lage entwickelt. Außenpolitik ist für über 80 Prozent der Wähler zwischen 18 und 29 Jahren so wichtig wie Abtreibung und Klimawandel, wesentlich mehr als in anderen Altersgruppen. So wie für Rachel Monastersky. Sie will versuchen, in ihrer Familie für ihre Sicht der Dinge zu werben. "Wir sollten Biden das nicht durchgehen lassen, ihm nicht automatisch unsere Stimme geben, nur weil Trump antritt."

Quelle: ntv.de

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