Karten zur Lage in der Ukraine Wo Putins Armee ausblutet
08.11.2022, 22:35 Uhr (aktualisiert)
Erbitterte Gefechte: Zerstörter russischer Kampfpanzer in der Ukraine.
(Foto: picture alliance / AA)
Bachmut, Kreminna, Cherson: Im Krieg in der Ukraine toben an mehreren Frontabschnitten schwere, anhaltende Gefechte. Nicht überall befinden sich die Ukrainer auf dem Vormarsch. Ein Blick auf die aktuell wichtigsten Brennpunkte.
Im Kampf gegen die russische Invasion stoßen die ukrainischen Herbstoffensiven offenbar zunehmend auf Widerstand: Die Zeiten tiefer Vorstöße scheinen vorbei, der ukrainische Vormarsch kam in den letzten Tagen im Osten der Ukraine in Richtung Luhansk kaum noch voran. Russische Truppen konnten dort die hastig errichteten Verteidigungslinien westlich der Stadt Swatowe offenbar halten. Weiter südlich bei Kreminna soll es russischen Angaben zufolge sogar zu begrenzten Gegenangriffen gekommen sein.
Die Kampfhandlungen dauern an: Schwere Gefechte gibt es übereinstimmenden Berichten ukrainischer und russischer Quellen zufolge derzeit auch an weiteren Frontabschnitten. Gekämpft wird demnach unter anderem an der Südfront im Raum Saporischschja, in der Region Cherson am westlichen Dnipro-Ufer sowie an der Donbas-Front. Anders als bei Cherson, Kreminna und Swatowe befindet sich das russische Militär dort mit dem Kampf um Bachmut weiter in der Offensive.
Die militärische Lage im Überblick:
Die Offensiv-Anstrengungen der russischen Armee scheinen sich auf kleinere Gebietsgewinne an der Donbas-Front zu konzentrieren: Der russische Großangriff auf Bachmut läuft seit Wochen, kommt bisher allerdings nur sehr begrenzt voran. Die Russen schieben dennoch immer neue Einheiten in den Kugelhagel vor. Bisher konnten die Ukrainer alle Angriffsbemühungen weitgehend abwehren. Seit dem Sommer schon kommt es in der Region zu erbitterten und wohl auch sehr verlustreichen Stellungskämpfen. Nur vereinzelt kann das russische Militär die Eroberung weiterer Ortschaften vermelden, nur um dann doch wieder den Ukrainern weichen zu müssen.
Die Zerstörungen sind enorm: Mit schwerer Artillerie feuern beide Seiten in der von Bergbau geprägten Hügellandschaft auf erkannte oder vermutete Stellungen des Gegners. Auf russischer Seite kämpfen sich Separatisten, reguläre Armee und Wagner-Söldner über alte Abraumhalden und verlassene Industriebrachen bis an den Stadtrand von Bachmut, dem früheren Artemiwsk, vor. Die Verteidiger konnten den massiven russischen Angriffen bisher standhalten. Wie hoch die Verluste auf ukrainischer Seite sind, ist unklar. Putins Armee jedoch zahlt für jeden Meter Geländegewinn einen hohen Preis an Mensch und Material.
Bachmut im Osten der Ukraine:
Die auffallend schwerfällige Strategie der Russen nimmt offenbar keine Rücksicht auf eigene Verluste: Ukrainische Berichte deuten auf einen hohen Blutzoll unter den immer neuen Wellen an Angreifern hin. Und trotz des Einsatzes aller zur Verfügung stehender Kräfte scheint die russische Offensive bei Bachmut festzustecken. Mit aller Macht rennen die russischen Truppen hier gegen gut eingegrabene Verteidigungsstellungen an. Wollen Putins Strategen hier eine Entscheidung erzwingen?
Der Abwehrerfolg der Ukrainer stützt sich auf mehrere, offensichtliche Gründe: Die Frontlinie folgt hier zum einen über weite Strecken der alten Kontaktlinie. Ukrainer und von Russland unterstütze Separatisten stehen sich teils schon seit 2014 in massiv ausgebauten Stellungen gegenüber. In der einst dicht besiedelten Region gibt es zum anderen auch ausgedehnte Ortschaften, die sich in der Regel nur im blutigen Häuserkampf erobern lassen. Auf ukrainischer Seite sind zudem kampferfahrene Truppen im Einsatz, ausgestattet mit westlichen Präzisionswaffen.
Kampf um Kreminna
Weiter nördlich in der Region Luhansk sieht die Lage dagegen anders aus: Nach dem Fall von Isjum Anfang September und Lyman Ende September rechneten westliche Beobachter schon mit der baldigen Befreiung der Stadt Kreminna - doch die Rückeroberung zieht sich hin. Kreminna liegt wie die Stadt Swatowe an der ukrainischen Fernstraße P66. Beide Städte sind strategisch bedeutsame Verkehrsknotenpunkte. Große Teile des russischen Nachschubs für die Donbas-Front laufen hier durch. Nach dem Rückzug aus Lyman konnten die russischen Truppen hier offenbar eine neue Verteidigungslinie errichten, von der womöglich auch Gegenangriffe auf ukrainische Truppen gestartet werden.
Details zum genauen Ausmaß der Kämpfe und ukrainischen Positionen veröffentlicht der Generalstab in Kiew weiterhin nur zögerlich. Indirekt bestätigte die militärische Führung der Ukraine zuletzt jedoch russische Attacken auf Siedlungen wie Torske bei Saritschne. Der Ort liegt an der Straße von Lyman nach Kreminna und konnte von den Ukrainern bereits vor knapp zwei Wochen befreit werden. Zwischenzeitlich hatte sich die Frontlinie übereinstimmenden Berichten zufolge fast 15 Kilometer weiter nach Osten verschoben.
Ein Blick auf die Karte klärt auf, warum sich die Fronten in dieser Region am nördlichen Ufer des Siwerskyj Donez so schnell hin und her bewegen. In dem weitgehend flachen Gelände zwischen Saritschne und Kreminna gibt es kaum Deckung, keine größeren Ortschaften und nur wenige natürliche Hindernisse. Motorisierte Verbände können schnelle Vorstöße wagen, das Gebiet aber mangels Deckung kaum halten.
Beide Seiten beschießen sich mit schweren Waffen aus der Distanz. Angriffe und Gegenangriffe können schnell über mehrere Kilometer vordringen. Echte Kontrolle über die dazwischen liegenden Landstriche können jedoch weder Russen noch Ukrainer für sich beanspruchen. Das Gebiet zwischen Torske und Kreminna ist eine Art Niemandsland. Die Situation bleibt vorerst im Fluss.
Blick auf Cherson
Größere Bewegungen könnte es womöglich bald auch in der Region Cherson geben. Im Südwesten der Ukraine stehen die russischen Besatzer am westlichen Ufer des Dnipro schon seit dem Spätsommer massiv unter Druck. Die Versorgungslage für die russischen Truppen ist schwierig, die Rückzugswege teilweise abgeschnitten. Ukrainische Präzisionsschläge haben die wenigen Brücken über den hier fast einen Kilometer breiten Dnipro-Strom nahezu unpassierbar gemacht. Der russische Nachschub läuft seit Wochen größtenteils nur noch über improvisierte Ponton-Fähren.
Westlich, nördlich und nordöstlich der Hafenstadt Cherson laufen ukrainische Angriffsoperationen. Bisher konnten die von Putins Generälen in die Region verlegten Eliteverbände ihre Stellungen noch weitgehend halten. Jüngste Ankündigungen von russischer Seite jedoch deuten eine ukrainische Übermacht an: Der von Russland eingesetzte Regionalverwalter ordnete die "Evakuierung" von Zivilisten an. Militärexperten in London, Paris und Washington erwarten neue ukrainische Vorstöße. Womöglich, heißt es, bereitet Russland den Rückzug der eigenen militärischen Kräfte aus dem Raum Cherson vor. Die Aufgabe der russisch kontrollierten Gebiete westlich des Dnipro wäre ein weiterer spektakulärer Sieg der Ukrainer.
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 19. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de