Kim Jong Un 5 Jahre an der Macht "Unvorstellbar, dass sich das System ändert"
29.12.2016, 15:45 Uhr
Der "Oberste Führer" Kim Jong Un ist nun bereits seit fünf Jahren in Nordkorea an der Macht.
(Foto: REUTERS)
Seit dem 29. Dezember 2011 steht Kim Jong Un offiziell an der Spitze Nordkoreas. Im Interview mit n-tv.de zieht Nordkorea-Experte Lars-André Richter von der Friedrich-Naumann-Stiftung eine Bilanz und erklärt, inwiefern der "Oberste Führer" in den fünf Jahren seine Macht festigen konnte.
n-tv.de: Herr Richter, haben Sie es vor fünf Jahren für möglich gehalten, dass Kim Jong Un auch Ende 2016 in Nordkorea an der Macht sein würde?

Lars-André Richter leitet seit Juni 2012 das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung in Seoul. Nach Nordkorea reist er seitdem mehrmals im Jahr.
(Foto: Privat)
Lars-André Richter: Zumindest habe ich nicht damit gerechnet, dass Kim Jong Un eine kurze Amtszeit hat. Vor allem deshalb, weil der Personenkult um die Kim-Dynastie in Nordkorea eine große Bedeutung hat. Zwar war Kim Jong Un vor zwei Jahren mal einen guten Monat von der Bildfläche verschwunden. Und es gab Putschgerüchte. Außerdem hieß es immer wieder, dass er zu jung sei. Doch die Blutlinie von Paektusan (der Berg Paektusan gilt als Kultstätte des Kim-Clans; Anm.d.R.) hat in Nordkorea schlichtweg ein zu großes Gewicht. Deshalb wäre es aus nordkoreanischer Sicht sehr schwer zu erklären, warum solch eine Person politisch geschwächt werden sollte.
Ist der nordkoreanische Machtapparat also ohne die Kims gar nicht mehr denkbar?
In der Tat fällt es schwer, sich das vorzustellen. Der Personenkult spielt nach wie vor eine große Rolle. Das betrifft den Staatsgründer Kim Il Sung sehr stark, auch Kim Jong Uns Vater Kim Jong Il – aber auch den Sohn Kim Jong Un. Es gibt Statuen und Mosaike von Vater und Großvater. Kim Jong Un hat derlei noch nicht. Aber zumindest rekurriert man in den Reden immer wieder auf ihn.
Gibt es keine Gegner?
Mit Blick auf sein Alter und seine vergleichsweise geringe politische Erfahrung kommt natürlich immer wieder die Frage auf, wie stark Kim Jong Un wirklich ist. Doch das ist sehr spekulativ.
Wie wahrscheinlich ist es, dass sich in Zukunft eine Opposition bildet?
Marxistisch-leninistische Systeme – wenn man Nordkorea überhaupt noch als solches bezeichnen kann – hatten immer Sorge vor Fraktionsbildung. Es ist die Angst, dass die Partei ihren einheitlichen Charakter verlieren könnte. Andererseits kamen Reformimpulse auch im damaligen Ostblock nicht selten aus den staatstragenden Parteien selbst.
Wie relevant ist in Nordkorea diese Sorge vor Fraktionsbildung?
Von außen ist das schwer zu beantworten. Es dürfte allerdings auch in Nordkorea Kräfte innerhalb der staatstragenden Partei der Arbeit Koreas (PdAK) geben, die – zumindest wirtschaftspolitisch – eine Öffnung wollen. Die Blockparteien jedenfalls stellen keine Opposition dar, wie man sie aus Mehrparteiensystemen westlichen Zuschnitts kennt.
Inwiefern hat sich die nordkoreanische Politik unter Kim Jong Un im Vergleich zur Herrschaft seines Vaters Kim Jong Il verändert?
Dem gängigen Narrativ zufolge gibt es in Nordkorea einen Antagonismus zwischen Militär und Partei. Unter Kim Jong Il hat sich die Macht zugunsten des Militärs verschoben. Er hat das Schlagwort Sŏn’gun geprägt, also Militär zuerst. Das Militär wurde sowohl politisch als auch ökonomisch immer mächtiger. Diese Dominanz schien zunächst auch unter Kim Jong Un Bestand zu haben. Vor einem halben Jahr dann, im Mai, fand erstmals nach 36 Jahren wieder ein Parteitag statt. Ob damit allerdings auch eine Stärkung der Partei verbunden ist, bleibt abzuwarten.
Ist das eine Abgrenzung gegenüber der pro-militaristischen Politik Kim Jong Ils?
Nicht unbedingt. Es gab unter der Ägide Kim Jong Uns immerhin drei Atomtests. Insgesamt gab es in Nordkorea fünf solche Tests, 2013 und gleich zwei in diesem Jahr. Auf das Konto seines Vaters gehen lediglich zwei, 2006 und 2009. Kim Jong Un führt das Atomprogramm, das im Wesentlichen mit dem Namen seines Vaters verbunden ist, also fort. In dieser Hinsicht gibt es eine Kontinuität, verbunden mit dem Willen, mehr für die wirtschaftliche Prosperität zu tun.
"Großer Führer", "Ewiger Präsident" und die größte Ikone Nordkoreas ist und bleibt jedoch sein Großvater Kim Il Sung.
Es gibt in der Tat Indikatoren dafür, dass er sich in seinem Auftreten und in seinem Stil sehr stark an seinem Großvater orientiert. Dieser wird im Norden nach wie vor als äußerst populär dargestellt.
Gibt es ein Narrativ, das Kim Jong Un prägt?
Das Schlagwort, das man mit ihm verbindet, ist das der Parallelstrategie von militärischer Stärke und wirtschaftlicher Progression. Es geht ihm um einen Ausbau des Atomprogramms und gleichzeitig um eine signifikante Hebung des wirtschaftlichen Wohlstands.
Inwiefern ist die angestrebte wirtschaftliche Progression erkennbar?
Das Land sucht händeringend nach ausländischen Investoren. Dafür wurden unter anderem Sonderwirtschaftszonen eingerichtet. Eine der älteren, Kaesong, zusammen mit dem Süden betrieben, wurde Anfang des Jahres, nach dem vierten Atomtest, geschlossen. Es gibt allerdings in jeder Provinz mindestens eine weitere Sonderwirtschaftszone, insgesamt gut zwanzig. An der Oberfläche tut sich also einiges. Mit jedem Atom- und Langstreckenraketentest und jeder weiteren Provokation dürfte es allerdings schwerer fallen, ausländische Investoren zu finden.
In erster Linie stellt das Atomprogramm ein Risiko für die Region dar. Warum interveniert China - der einzige Verbündete Nordkoreas - nicht?
China ist nicht glücklich über die Situation in Nordkorea. Offizielles Ziel Pekings ist eine denuklearisierte koreanische Halbinsel. Auf der anderen Seite, so scheint es, kann China mit der derzeitigen Situation noch besser leben als mit einem wiedervereinigten Korea, welches möglicherweise unter dem politischen und wirtschaftlichen Einfluss der USA steht. Zwar verurteilt China stets die Atomtests in Nordkorea. Doch im Grunde ist der status quo zumindest im Moment noch der angenehmere.
Als Hauptfeind Nordkoreas gelten die USA, denen Kim Jong Un regelmäßig eine feindselige Politik unterstellt. Der künftige US-Präsident Donald Trump schließt hingegen nicht aus, Gespräche mit ihm zu führen. Ist tatsächlich mit einer Annäherung beider Staaten zu rechnen?
Nordkorea scheint auf Basis dessen, was Trump im Wahlkampf gesagt hat, mit diesem besser leben zu können als mit Hillary Clinton, die für eine eher neokonservative, interventionistische und China-kritische Politik stand. Bei Trump weiß man allerdings nicht, wofür genau er letztlich steht. Zwar hat er in der ihm eigenen Saloppheit gesagt, dass er sich auf einen Burger mit Kim Jong Un treffen und mal mit ihm reden würde. Das dürfte man in Pjöngjang gerne hören. Aber wenn er erkennt, dass das nordkoreanische Atomprogramm eine Gefahr für die USA darstellt, ist es Trump zuzutrauen, dass er andere Töne anschlägt.
Wird Kim Jong Un fernab aller außenpolitischen Unwägbarkeiten auch die nächsten fünf Jahre an der Macht sein?
Das würde mich nicht wundern. Personenkult, Blutlinie, Kim-Dynastie – in Anbetracht dieser Aspekte ist es fast unvorstellbar, dass das System nach fast 70 Jahren geändert wird. Seit der Staatsgründung 1948 bekommt die Bevölkerung gesagt, dass die Kim-Dynastie - ganz wichtig - gottähnlich ist. Es wäre schwer zu erklären, wie es einmal anders sein könnte.
Mit Lars-André Richter sprach Christoph Rieke
Quelle: ntv.de