Berlin Tag & Macht Von Norbert Bas bis Bärbel Blüm: Die Rente ist sicher ... ein Streitgrund
Eine Kolumne von Marie von den Benken
Von Bullshit-Bärbel bis Machtverlust-Merz: Die Rente ist doch nicht mehr so sicher, wie Norbert Blüm einst versprach. Zerbricht die Regierung daran oder rettet ausgerechnet die Linkspartei das Rentenpaket und damit die zerstrittene Koalition? Und geht Richard David Precht eigentlich ins Dschungelcamp?
So, Freunde: Hefte raus - Klassenarbeit! Als offizielle Geschichts-Professorin der ntv-Akademie für politikinteressierte Quereinsteiger stelle ich heute folgende Aufgabe: Wer war Norbert Blüm? Älteren ist der rüstige Helmut-Kohl-Intimus vermutlich noch als Bundesarbeitsminister in Erinnerung. Beachtliche 16 Jahre, von 1982 bis 1998, bekleidete er dieses Amt. Das macht Blüm zum einzigen Bundesminister, der während der gesamten Kohl-Kanzlerschaft dem Kabinett angehörte. Um zumindest optisch ein Bild zu bekommen, wer Blüm eigentlich war, können Jüngere sich ihn wie eine Mischung aus Uwe Seeler und diesem älteren Typen vorstellen, der in der "heute show" dauernd das Publikum anpöbelt. Gefangen im Körper von Danny DeVito.
Na, klingelt es? Egal. Als Arbeitsminister jedenfalls wurde Blüm insbesondere durch seine legendäre Langzeit-Prognose zur Stabilität staatlich verwalteter Altersvorsorge bekannt: "Die Rente ist sicher!" Ein beruhigender Satz. Insbesondere vom Arbeitsminister. Die schlechte Nachricht: Als Blüm dieses euphorische Absicherungsversprechen gab, war es 1986. Das ist fast 40 Jahre her. Damals stand selbst die Band Fettes Brot noch 10 Jahre vor ihrem Karrieretüröffner "Jein". Und den kennen heute auch nur noch Spät-Boomer, die einem durchschnittlichen Tiktoker 2025 als scheintot gelten.
Es ist 1996, deine Freundin ist weg und bräunt sich in der Südsee. Herein, na fein, willkommen im Verein. Heute nämlich ist die Rente nicht mehr ganz so sicher wie zur Blüm-Prime. Ob die erwähnten 20-Jährigen in 45, 47 oder gar 49 Jahren eine Rente erhalten werden, mit der sie realistisch ihren Lebensunterhalt bestreiten können, ist unwahrscheinlicher als eine Teilnahme von Richard David Precht am Dschungelcamp. Wobei es interessant wäre, Precht dabei zuzusehen, wie er halbnackten, menschgewordenen Tattoo-Studios mit Dating-Format-Hintergrund am Lagerfeuer erläutert, warum die Ukraine zwar ein Recht auf Selbstverteidigung hätte, aber auch die Pflicht zur Klugheit, einzusehen, wann man sich ergeben muss.
Einfach mal googeln!
Um diese These zu wagen - also die mit der Rente, nicht mit dem Ergeben - muss man kein Volkswirtschafts-Nostradamus sein. Es reicht, zwischendurch mal "Demografischer Wandel" zu googeln. Im Jahr 2024 feierten doppelt so viele Menschen den 60. Geburtstag, wie Kinder geboren wurden. In Anbetracht dieses Bevölkerungsstruktur-Wandels ist nicht nur die Geburtstagsparty-Industrie in Gefahr, sondern vor allem das Rentensystem.
Womit wir auch schon beim Königsthema dieser Woche im Regierungsviertel wären. Selbst wenn man die Schuldenbremse gegen einen Schuldenturbo tauschen würde, bliebe die Gesetzliche Rentenversicherung langfristig in dieser Form unfinanzierbar. Eine Reform ist dringend notwendig, soweit ist man sich parteiübergreifend auch im Bundestag einig.
Was jedoch die inhaltlichen Ansätze einer solchen Reform angeht, da gibt es in der Regierung nicht mal fraktionsinterne Deckungsgleichheit. Und schon gar nicht unter den Koalitionspartnern. Bärbel Bas, als Arbeitsministerin quasi der Norbert Blüm im Kabinett Merz, legte zuletzt ein Rentenpaket vor, das umstrittener ist als die Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis an Sophie von der Tann. Theoretischer Kern des Pakets ist die Stabilisierung des Rentenniveaus. Praktisch herrscht Uneinigkeit über seine Auswirkungen. Außer darüber, dass es sehr teuer wird.
Statt des erhofften Aufatmens, mit der Rentenreform würde eines der wichtigsten Themen der Legislaturperiode endlich auf den Weg gebracht, löste Bas' Vorschlag Kontroversen auf allen Ebenen aus. Für die Junge Union ist er zu links, für die Jusos zu rechts - und für alle anderen Konfrontationskatalysator. Folgerichtig teilt daher nun jeder gegen jeden aus. Gegen die verbalen Schwarzer-Peter-Rochaden zwischen den Koalitionspartnern wirkt die Ampel von Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck retrospektiv wie ein Pilates-Kurs für harmoniebesoffene Konsens-Koryphäen.
Bas etwa nannte die Bedenken von Merz hinsichtlich der wirtschaftlichen Fortführungs-Optionen zur aktuellen Variante unseres Sozialstaates "Bullshit". Merz revanchierte sich mit der Mahnung, Bas' Rundumschlag gegen die deutschen Arbeitgeber sei "inakzeptabel". Zustimmen will Merz dem Rentenpaket dennoch. Ein Vorgehen, das seinen parteiinternen Fanclub weiter schrumpfen lässt. Christian von Stetten beispielsweise, Chef des sehr einflussreichen Parlamentskreises Mittelstand, sieht sein "Vertrauen in den Koalitionspartner vollständig aufgebraucht" und attestiert: "Die SPD ruiniert unser Land!"
Stranger Things: Die Linkspartei sagt Ja, indem sie nichts sagt
Während nicht wenige CDU/CSU-Wähler sich inzwischen fragen, ob man mit Bärbel Bas womöglich eine Heidi-Reichinnek-Kopie ins Regierungsboot geholt hat, ist es ausgerechnet die Linkspartei, die das Rentenpaket retten könnte. Die Oppositionspartei kündigte an, sich zur Vermeidung des weiteren Rentenniveau-Absackens bei der voraussichtlich bereits diesen Freitag anstehenden Abstimmung zum Rentenpaket zu enthalten.
Diese 63 Enthaltungen aus der Linksfraktion wären wahrscheinlich der Freifahrtschein für das Rentenpaket. Denn dafür reicht eine einfache Mehrheit. Je weniger "Nein"-Stimmen es gibt, desto weniger "Ja"-Stimmen sind nötig. Oder einfach erklärt: Sollte es dem CDU-Abstimmungsunterhändler Jens Spahn gelingen, auch alle übrigen Fraktionen dazu zu bewegen, sich zu enthalten, könnte er das Rentenpaket allein mit seiner eigenen Stimme durchbringen.
Ein einziges "Ja" gegen null "Nein" ist immer noch eine "einfache Mehrheit" -vorausgesetzt, Bundestagspräsidentin Julia Klöckner stellt mit nur einem einzigen Abgeordneten die Beschlussfähigkeit fest.
Dass diese historische Massenenthaltungstaktik tatsächlich Realität werden könnte, ist allerdings unwahrscheinlich. Wenn ich den sogenannten Flurfunk aus den letzten Fraktionssitzungen der Union richtig einordne, könnte Jens Spahn aktuell nicht mal das Konzept "Gratis-Pommes für alle" beschwerdefrei durch seine eigene Fraktion bringen.
Leistungskurs Geschichte: Die sozialdemokratische Gründungslegende
Während die einen versuchen, das Land zu retten, retten andere erstmal die Geschichte der Demokratie. Im schlagzeilenfixierten Meinungspool der 630 Mitglieder des Bundestages gibt es nämlich auch einige humorbegabte Empörungskultur-Trittbrettfahrer. Sie lockern die ansonsten triste Atmosphäre im Reichstag mit skurrilen Wortbeiträgen eifrig auf. So gab der SPD-Abgeordnete Lars Castellucci zu Protokoll: "Ohne die SPD gäbe es gar keine Demokratie." Entgegen zunächst lautstark aufbrausender Pauschalkritik an dieser überraschenden Einordnung hält Castelluccis Behauptung einem umfassenden Faktencheck jedoch stand.
Denn was viele nicht wissen: Das "S" in SPD stand ursprünglich für Solon. Solon war der Staatsmann und Lyriker, der im Jahre 595 v. Chr. die SPD (Solon Partei der Demokratie) gründete. Seine Reformen brachen die Macht des Adels und schufen Grundlagen für die politische Beteiligung breiterer Volksschichten. Die Demokratie war geboren. Die berühmten gallischen Philosophen Willicius Brandtus, Helmutius Schmidtix, Friederius Ebertus und Augustus Bebelix transferierten diese neue Bewegung anschließend aus der Antike nach Deutschland und gründeten hier das teutonische Franchise SPD: Die Solon Partei Deutschlands, später aus Imagegründen in Sozialdemokratische Partei Deutschlands umbenannt.
Nachdem Castellucci also mit seiner Geschichtsbuch-Revision derartige Erfolge feiern konnte, freue ich mich schon auf die daran anknüpfenden Schlagzeilen der nahen Zukunft:
- Annalena Baerbock: "Ohne mich gäbe es gar kein Ceasefire im Nahen Osten!"
- Andreas Scheuer: "Ohne mich gäbe es gar keine Maut-Freiheit in Deutschland!"
- Dieter Bohlen: "Ohne mich gäbe es die Beatles gar nicht!"
- Uli Hoeneß: "Ohne Nürnberger Bratwürste gäbe es gar keine Vegetarier!"
Welche davon bis kommende Woche ihren Weg auf die Titelseiten der politischen Fachmagazine des Landes geschafft haben, verrate ich hier nächsten Donnerstag. Dann ist vielleicht sogar das Rentenpaket bereits beschlossen und damit die Lebensrealität unserer zukünftigen Rentner wieder etwas näher am einstigen Sicherheitsversprechen von Norbert Blüm.