Politik

Klingbeil im SPD-fernen PiS-Land Deutschlands Zeitenwende beeindruckt Polen nicht

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Lars Klingbeil und sein polnischer Parteifreund Wlodzimierz Czarzasty am Ehrenmal zum Gedenken an den Aufstand im Warschauer Ghetto. Czarzasty lobt Klingbeil zwar, fordert aber auch, dass die SPD ihre Ankündigungen umsetzt.

(Foto: K. Rainka)

Lars Klingbeil macht jetzt Außenpolitik - für die SPD. Auf einer Reise nach Warschau wird deutlich, wie schwer der angestrebte Neustart der Beziehungen mit Polen wird. Der SPD-Chef räumt zwar deutsche Fehler ein, findet aber wenig Zuhörer.

Wenn es schlecht läuft für Lars Klingbeil, wissen bald mehr Menschen im thüringischen Gotha von der Warschau-Reise des SPD-Vorsitzenden als in ganz Polen. Ein Gothaer Kommunalpolitiker und Parteikollege entdeckt den in keiner Menge zu übersehenden Klingbeil am Dienstag vor dem Mahnmal des Aufstands im Warschauer Ghetto. Also an jenem Ort, an dem SPD-Ikone Willy Brandt bei seinem Polen-Besuch 1970 spontan auf die Knie ging und stellvertretend für sein Land um Vergebung bat. Selbstredend machen die beiden Genossen in der prallen Mittagshitze ein Selfie, das bei den Sozialdemokraten an der ostdeutschen Basis viral gehen könnte. Dagegen hält sich das Interesse polnischer Medienvertreter am Besuch des Vorsitzenden der deutschen Regierungspartei in Warschau in engen Grenzen - obwohl Klingbeil sogar Mitbringsel im Reisegepäck hat.

Im polnischen Parlament Sejm formuliert Klingbeil einen Satz, den er so ähnlich zwar schon zweimal gesagt hat, aber eben noch nicht in Polen, wo ihn auch noch kein anderer deutscher Politiker gesagt hat. Klingbeil sagt: "Wenn ich davon rede, dass sich das (deutsche) Verhältnis zu Russland fundamental ändert, dann hat das auch mit dem Eingeständnis des Fehlers zu tun, dass wir gerade Kritik, die aus osteuropäischen Ländern, aus dem Baltikum, immer wieder formuliert wurde, in Deutschland zu wenig gesehen haben; dass wir Sicherheitsbedürfnisse zu wenig gesehen haben, zu wenig hingehört haben." Wen dieses "wir" alles mit einschließt, bleibt offen. Ganz sicher aber ist die SPD mitgemeint. Das Signal: Die "dauerhaften Frieden in Europa kann es nur mit, nicht gegen Russland geben"-SPD ist Geschichte.

SPD plötzlich in schlechtem Licht

Klingbeil will der SPD mehr Empathie für Osteuropa verordnen, doch seine Initiative hat noch einen weiteren Aspekt. Im Herbst richtet die Partei das Treffen der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) in Berlin aus, dem Zusammenschluss der linken Volksparteien. Klingbeil, der nach seiner Wahl zum Vorsitzenden mit seiner Co-Chefin Saskia Esken vereinbart hat, die internationalen Themen zu beackern, will daran arbeiten, dass die "Sozialdemokratie auch in Osteuropa wieder stark wird". Insgesamt stellten Sozialdemokraten acht Regierungschefs in Europa und seien an 13 Regierungen beteiligt, rechnet Klingbeil vor. Diese Parteien zusammenzubringen und sozialdemokratische Wahlsiege in weiteren EU-Staaten zu befördern, ist das Äquivalent zu der von Klingbeil aufgestellten, viel beachteten Forderung, Deutschland müsse "Führungsmacht" werden - so wie die SPD innerhalb der SPE, so wie Klingbeil in der SPD.

"Ich wollte eigentlich ruhig ins Jahr starten", sagt Klingbeil mit Blick auf das so erfolgreiche wie kraftzehrende Wahljahr 2021, nachdem er Blumen am Ghetto-Mahnmal und der benachbarten Willy-Brandt-Gedenkstätte niedergelegt hat. Der Wahlsieg war vor gerade einmal neun Monaten, ist aber seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine eine Ewigkeit her; halt vor der von Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar ausgerufenen Zeitenwende. Jetzt muss Klingbeil das Bild korrigieren, das man sich in und außerhalb Deutschlands von der SPD gemacht hat: einer Partei, der die deutschen Interessen und die Beziehungen zu Russland über das Wohlergehen der kleineren, osteuropäischen Länder geht.

Gerade in Polen bestätigt die innerdeutsche Debatte über Olaf Scholz' zögerliche Positionierung zu Nord Stream 2 und die Lieferung auch schwerer Waffen ein lange gehegtes, von der Regierungspartei PiS kultiviertes Misstrauen in die deutsche Regierung. Zumal Warschau den Konflikt befeuerte, als die Regierung behauptete, Deutschland habe die Lieferung moderner Panzer im Rahmen eines Ringtauschs zugesagt - was in Berlin so bestritten wird. Dennoch: der Außenminister der SPD will den Image-Schaden möglichst bereinigen, damit sein Kanzler wirken kann.

Lob und Forderungen aus der Schwesterpartei

Nach der Brandt-Ehrung steht Klingbeil in einem großen Saal des Sejm neben Wlodzimierz Czarzasty, dem Vorsitzenden der polnischen SPD-Schwester SLD, und bekundet das deutsche Einsehen in den falschen Russlandkurs. "Es ist sehr gut, dass die SPD so etwas in unserem polnischen Parlament sagt", lobt Czarzasty, dessen SLD zusammen mit der kleineren Partei Wiosna von Robert Biedron einen sozialdemokratischen Block gebildet hat - die Nowa Lewica (Neue Linke). Allerdings, mahnt Czarzasty, müssten Klingbeil und die SPD ihre veränderte Haltung auch in praktisches Handeln umsetzen.

Der einzige polnische Politiker von Rang und Namen, der Klingbeil bei seinem eine Woche zuvor angekündigten Warschau-Besuch empfängt - von der Regierung hatte niemand Zeit -, hält sich auch sonst nicht lange mit Lob auf. Er habe Klingbeil übermittelt, die Deutschen müssten Polen in Brüssel 12 Milliarden Euro besorgen, damit Polen den 2 Millionen Ukrainern im Land mit monatlich 500 Euro pro Person unter die Arme greifen könne. Außerdem müssten alle Länder außer Polen, die USA und Kanada mehr Geld für Militärhilfen an die Ukraine aufwenden. Polen habe Material im Wert von 1,5 Milliarden Euro abgegeben, die anderen Staaten Europas Material im Wert von unter 0,5 Milliarden. Einen gleichlautenden Vorwurf erhebt Czarzasty mit Blick auf finanzielle Hilfen und stellt erneut allerhand Zahlen in den Raum.

Botschafter der Zeitenwende

Klingbeil und die Bundesregierung würden die jeweils geleisteten Hilfen anders beziffern, doch der SPD-Chef geht nicht darauf ein. Klingbeil erinnert daran, dass einer Vereinbarung über Hilfen bei der Flüchtlingsversorgung eine EU-Übereinkunft über die generelle Lastenteilung bei der Aufnahme von Migranten vorausgehen müsse. Die beeindruckende Solidarität Polens mit den Ukrainern steht in scharfem Kontrast zur Ablehnung von muslimischen oder afrikanischen Flüchtlingen. Im Stil eines Nebenaußenministers erläutert Klingbeil zudem der Handvoll polnischer Medienvertreter noch einmal die Tragweite des Scholz'schen Kurswechsels: 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr zu stecken und Waffen, darunter "schwere Artillerie", in ein Konfliktgebiet zu schicken, "das sind für Deutschland große Schritte". Als Klingbeil Scholz' Zeitenwende erwähnt, übersetzt der Dolmetscher das Wort nicht ins Polnische, als handele es sich um einen stehenden Begriff.

Dass Deutschland die Ukraine überhaupt nennenswert unterstützt und selbst 800.000 Ukrainerinnen und Ukrainer versorgt, und zwar ebenfalls aus eigenem Portmonee, scheint in Polen unbekannt zu sein - einschließlich Czarzasty von der Nowa Lewica, die im kommenden Jahr zusammen mit Donald Tusks Bürgerplattform PO und anderen Oppositionsparteien die regierende PiS von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und Parteichef Jaroslaw Kaczynski ablösen will; bei im Raum stehenden vorgezogenen Neuwahlen gerne auch schon früher. Doch in Polen, wo die PiS umfangreiche Sozialleistungen eingeführt hat, haben es linke Parteien schwer.

Hoffen auf die Wachablösung

Die Nowa Lewica wäre in dem Bündnis mit einem Ergebnis von 10 Prozent schon gut bedient und könnte immerhin Juniorpartner einer neuen Regierung werden. Auf so einen Wechsel hoffen praktisch alle Parteien in Berlin, weil die PiS für keine deutsche Partei ein Ansprechpartner ist. Im Gegenteil: Das Schüren von Ressentiments gegen Deutschland gehört weiter zum Kerngeschäft der ultrakonservativen Partei. Das ewige Misstrauen gegen Berlin, verleumderische Behauptungen und die routiniert vorgetragene Forderung nach neuen Reparationszahlungen verfangen zwar bei weitem nicht bei allen Polen, sehr wohl aber im Milieu der kleinen Leute, bei Älteren und auf dem Land, die die PiS mit ihrem nationalistisch-katholischen Kurs umwirbt.

Der Versuch eines Neustarts der Beziehungen durch die Ampelregierung, die in Person von Annalena Baerbock und Olaf Scholz eiligst zum Antrittsbesuch nach Warschau reiste, wurde positiv aufgenommen, ist aber längst verpufft. Selbst die verbliebenen liberalen Medien haben die von Morawiecki verbreitete Behauptung übernommen, er persönlich habe erst die Deutschen zur Lieferung von Panzern an die Ukraine bewegen müssen. Der jüngst aus der Regierung geschiedene Kazcynski sagte vor kurzem bei einem öffentlichen Auftritt, er sei sich gar nicht sicher, ob sich die von Scholz eingeleitete Ertüchtigung der Bundeswehr wirklich gegen Russland richte - oder vielleicht doch gegen Polen. So befeuert die PiS das latente Misstrauen vieler Polen gegen Berlin immer wieder von Neuem.

Für Klingbeil, der am Tag vor seinem Warschau-Besuch noch in Litauen weilte, hätte der Kontrast kaum größer ausfallen können. Neben einem Besuch der dort stationierten deutschen NATO-Truppen wurde Klingbeil vom Sicherheitsberater des litauischen Präsidenten empfangen, er sprach mit dem obersten Militär des baltischen Landes sowie dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses. Sogar Ministerpräsidentin Ingrida Šimonytė, obgleich Christdemokratin, nahm sich 50 Minuten Zeit für den deutschen Sozialdemokraten. Das Gespräch sei "wohlwollend" gewesen. Die Litauer schätzen Deutschland als NATO-Partner.

Klingbeil wirkt dennoch nicht unglücklich über seinen Warschau-Besuch. Die Beziehungen zu Polen und anderen Ländern Osteuropas neu zu knüpfen, wird für Bundesregierung und SPD ein langfristiger Prozess. Es ist ja auch nicht der erste Versuch, mit dem selbstbewussten, nach einer Führungsrolle in Europa strebenden Warschau zu einer dauerhaften Allianz zu finden. Die Frage ist, ob Ausdauer und Frusttoleranz diesmal über den nächsten größeren Eklat hinaus anhalten.

Quelle: ntv.de

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