Spionage dank Einwanderungslücke Wie China im Pazifik US-Außengebiete infiltriert
27.04.2025, 15:50 Uhr
Der amerikanische Flugzeugträger USS Nimitz vor der malerischen Kulisse der Insel Guam.
(Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire)
Fast 10.000 Kilometer von der amerikanischen Pazifikküste entfernt gibt es ein Schlupfloch für chinesische Einwanderer in die USA. Die US-Küstenwache ist im Dauereinsatz. Im Fokus stehen politische Flüchtlinge, schwangere Frauen - und mutmaßliche Spione.
Der geopolitische Konflikt zwischen den USA und China reicht bis zu den Traumstränden im Pazifik. Besonders deutlich wird das Ende vergangenen Jahres, als die Sicherheitsbehörden der Insel Guam innerhalb von zwei Tagen sieben illegal eingereiste chinesische Staatsbürger festnehmen: mutmaßliche Spione.
Zunächst greifen die guamesischen Beamten am 10. Dezember eine Frau in der Nähe der Andersen Air Force Base auf. Gegen die Chinesin liegt zu diesem Zeitpunkt bereits ein gültiger Haftbefehl vor. Sie gibt an, auf einem Schiff nach Guam gereist zu sein und verrät den Beamten, dass zwei Mitreisende auf einem Riff kurz vor der Küste gestrandet sind. Wenig später werden dort eine weitere Frau und ein Mann festgenommen.
Schmuggelware wird bei niemandem gefunden. Die Chinesen waren offenbar in anderer Mission unterwegs - ausgerechnet an diesem Tag führen die USA auf ihrer Militärstation in Guam einen Raketenabfangtest durch. Es ist der erste scharfe Testschuss des geplanten Guam Defense Systems (GDS). Damit möchten sich die Vereinigten Staaten für den militärischen Ernstfall im Pazifik rüsten: Guam ist Amerikas erste Verteidigungslinie für den Fall eines bewaffneten Konflikts mit China, dem geopolitischen Systemfeind.
Guam ist etwa halb so groß wie Rügen und die größte und südlichste Insel des Marianen-Archipels. Die Insel ist ein sogenanntes "nichtinkorporiertes Außengebiet der Vereinigten Staaten". Guams Einwohner sind zwar US-Staatsangehörige, die Pazifikinsel ist aber nicht in die Vereinigten Staaten eingegliedert. Guam schickt einen Delegierten ohne Stimmrecht ins Repräsentantenhaus, die Bürger der Insel dürfen aber nicht bei der US-Präsidentschaftswahl abstimmen.
Die strategisch hohe Bedeutung der 160.000-Einwohner-Insel wird bei einem Blick auf ihre Lage deutlich: Die amerikanische Westküste befindet sich fast 10.000 Kilometer weit entfernt, bis zur chinesischen Küste sind es nur 3000 Kilometer. Guam liegt somit in Reichweite chinesischer Mittelstreckenraketen, die deshalb auch "Guam Express" genannt werden.
Im Dauereinsatz gegen illegale Migranten aus China
Nur einen Tag nach dem Raketentest im Dezember spüren die guamesischen Sicherheitsbehörden vier weitere Chinesen auf. Die Männer sind tags zuvor mit demselben Boot wie ihre Landsleute illegal auf die Insel übergesetzt. Das Institut für Kriegsstudien (ISW) ist überzeugt: Dass die sieben Chinesen ausgerechnet am Tag des Raketentests nach Guam reisen, kann kein Zufall sein.

Am 10. Dezember 2024 hat die USA einen Raketenabfangtest an der Andersen Air Force Base auf Guam durchgeführt.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
"Die Infiltrationen vom 10. Dezember sind der aktuellste bekannte Fall verdächtiger Aktivitäten von Staatsangehörigen der Volksrepublik China in der Nähe von US-Raketenabschussbasen", schreibt das ISW. Demnach könnten Spionage-Aktionen gegen amerikanische Militärstationen "der Volksrepublik China potenziell wertvolle Informationen liefern, die ihr in einem Konflikt mit den USA zugutekämen".
Die guamesischen Behörden haben inzwischen viel Erfahrung mit illegal einreisenden Chinesen. "Seit 2022 haben wir auf insgesamt 152 Personen aus der Volksrepublik China reagiert, die gegen die Einreisebestimmungen von Guam verstoßen haben", bilanziert die lokale Zollbehörde in einer Pressemitteilung.
Chinesen brauchen für Einreise kein Visum
Die "klassische" illegale Einreiseroute nach Guam führt über Saipan. Saipan ist die Hauptinsel der Nördlichen Marianen, ein weiteres amerikanisches Außengebiet im Pazifik. Die Insel ist nur etwas größer als Sylt und liegt 210 Kilometer nordöstlich von Guam. Fast alle Bewohner der Inselgruppe leben auf Saipan, in der gleichnamigen Inselhauptstadt gibt es auch einen internationalen Flughafen. Hierüber kommen Touristen ins Land, auch aus China.
Doch es gibt Anzeichen dafür, dass nicht alle Besucher einen schönen Urlaub unter Palmen an pazifischen Traumstränden verbringen wollen. Darauf deuten die über 150 Festgenommenen auf Guam hin - mit einer höchstwahrscheinlich deutlich höheren Dunkelziffer, weil längst nicht alle Grenzübertritte in das US-Territorium registriert werden. "Peking setzt eine Reihe von Methoden ein, um US-Territorien wie die Nördlichen Marianen zu infiltrieren", schreibt das Zentrum für Strategie und internationale Studien (CSIS). Die amerikanische Denkfabrik wirft China vor, eine "Einwanderungslücke" auszunutzen und dadurch eine "potenziell massive Bedrohung der Sicherheit und der Spionageabwehr" herbeizuführen.
Hintergrund ist eine Entscheidung des US-Innenministeriums aus dem Jahr 2009. Daraufhin konnten chinesische Staatsangehörige visafrei nach Saipan reisen und bis zu 45 Tage auf den Nördlichen Marianen bleiben. Das sollte den Tourismus auf der entlegenen und armen Inselgruppe ankurbeln, außerdem den Bedarf an ausländischen Gastarbeitern in Saipan decken.
Aufgrund von Sicherheitsbedenken wurde die Visafreiheit für Chinesen 2019 in der ersten Amtszeit von US-Präsident Trump abgeschwächt. Seitdem durften chinesische Staatsangehörige aus touristischen Gründen nur noch 14 Tage visafrei auf Saipan bleiben. Inzwischen wurde die Einreiseregel ein weiteres Mal angepasst, wenn auch geringfügig: Reisende aus China müssen im Vorfeld ihrer Reise auf die Nördlichen Marianen online ein Einreiseformular ausfüllen - auch dann, wenn sie nicht länger als zwei Wochen bleiben wollen.
Doch die Visafreiheit besteht weiterhin. Die Nördlichen Marianen sind das einzige Fleckchen US-Territorium, das Chinesen ohne aufwendiges Visaverfahren betreten dürfen.
Geburtentourismus auf Saipan
Geht es nach den republikanischen US-Politikern, wird diese Regel schon bald aufgehoben. Nicht nur aus Angst vor Spionage, sondern auch zur Eindämmung von chinesischem Geburtentourismus. Die Entscheidung, chinesischen Staatsbürgern Visafreiheit für die Nördlichen Marianen zu gewähren, sei ein "Schlupfloch" dafür, beklagt der republikanische Kongressabgeordnete Tom Tiffany seit längerer Zeit. "Dadurch kann man nach Saipan einreisen und dort ein Baby bekommen, das dann zum amerikanischen Staatsbürger erklärt wird", sagte der Politiker aus Wisconsin Anfang des Jahres auf einer Pressekonferenz. "Es kommen so viele kommunistische Chinesinnen ... vor einem Jahrzehnt war es sogar so schlimm, dass auf Saipan weit mehr Geburten von chinesischen Frauen stattfanden als von Einheimischen."
In der Tat ist die Zahl der auf Saipan geborenen Kinder chinesischer Mütter in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Vor der Visaanpassung 2009 gab es ein paar wenige Geburten jährlich. 2017 und 2018 wurden jeweils bereits über 500 Geburten registriert. In diesen beiden Jahren lag die Zahl der ausländischen Entbindungen knapp über der Anzahl der Geburten von einheimischen Müttern. "Die in Saipan geborenen Kinder sind dann in Zukunft in der Lage, Green Cards für ihre gesamte Familie zu beantragen", schrieb Tiffany in einem Brief an US-Heimatschutzministerin Kristi Noem.
Der Geburtentourismus ist deshalb attraktiv, weil in der amerikanischen Verfassung das sogenannte Geburtsortprinzip verankert ist. Gemäß 14. Verfassungszusatz ist jeder, der auf dem Territorium der Vereinigten Staaten geboren wird, automatisch US-Staatsbürger. Donald Trump hat das 150 Jahre alte Gesetz per Dekret aufgehoben, diese Entscheidung wurde von einem Gericht allerdings abgewiesen und für nicht verfassungskonform erklärt.
Politische Flüchtlinge wollen nach Guam
Abseits von mutmaßlichen Spionen und Geburtentouristen gibt es noch eine weitere Gruppe Chinesen, die das "Schlupfloch" Saipan ausnutzen. Unter den Einreisenden sind auch politische Flüchtlinge, die kein Interesse haben, nach 14 Tagen wieder die Heimreise anzutreten. Auf Saipan wollen sie allerdings auch nicht bleiben, sondern weiter nach Guam: Wer aus politischen Gründen aus China in die USA flüchtet, hat auf Saipan keine Chance. Die Nördlichen Marianen behandeln keine Asylanträge, anders als Guam.
Deshalb besteht die Möglichkeit, dass es sich bei den meisten der illegalen chinesischen Einwanderer auf Guam nicht um Militärspione, sondern um politische Flüchtlinge handelt. Inzwischen hat sich zwischen den Nördlichen Marianen und Guam längst ein Schlepperbetrieb etabliert: Chinesische Einwanderer zahlen Schleppern nach Angaben des Heimatschutzes in Saipan zwischen 3000 und 5000 Dollar für die etwa zehnstündige Bootsüberfahrt nach Guam.
Unter Präsident Trump hat die amerikanische Küstenwache die Schlepperroute inzwischen besser in den Griff bekommen. "Die Behörden stellen fest, dass die Abschreckung funktioniert. Wir haben in letzter Zeit einen Rückgang der Überfahrten festgestellt", hieß es zuletzt von der für den Pazifik zuständigen Abteilung. Die mutmaßlichen Militärspione im Dezember konnte die Küstenwache nicht aufhalten.
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Quelle: ntv.de