Politik

Corona-Krise als Hintertür Wie die CSU die Gastro-Lobby beschenkte

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Bier wird weiterhin mit 19 Prozent im Gasthaus besteuert, genauso wie Tee, den Söders Vorvorvorgänger Edmund Stoiber oft im Steinkrug hatte.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die beschlossene Erhöhung des Kurzarbeitergeldes hat für die SPD einen hohen Preis: Sie musste dem CSU-Projekt eines verminderten Steuersatzes für Speisen im Gastgewerbe zustimmen. Ein mehrere Milliarden Euro schwerer Lobbyisten-Erfolg, der vor dem Aus stehenden Gastronomen kaum hilft.

Gaststätten, Kneipen und Hotels sind von der Corona-Krise schwer getroffen. Viele zehntausend Betriebe bangen um ihre Existenz. Generationen-alte Wirtschaften drohen für immer zu verschwinden. Angestellte fallen in Kurzarbeit und von dort aus womöglich direkt in die Arbeitslosigkeit. Verantwortungsvolle, engagierte und innovative Unternehmer stehen binnen Monaten vor der Insolvenz. Die Folgen für die Gesamtwirtschaft könnten verheerend sein, wenn der so wichtige Gastronomie- und Tourismussektor in Deutschland schweren Schaden nimmt.

Die Politik befasst sich dieser Tage daher intensiv mit der Frage nach den richtigen Maßnahmen zur Rettung des Gewerbes, genauso wie es dessen größter Interessenvertreter tut, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Regierungen in Bund und Ländern kommen dabei längst nicht allen Wünschen der Gastro-Lobby nach. Grundsätzlich aber ist die Bereitschaft zur Hilfe für das Gastgewerbe groß, das im vergangenen Jahr sagenhafte 93 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet hat.

Reduzierte Steuer, aber kein Umsatz

Die Branche beschäftigte auch den Koalitionsausschuss der Bundesregierung in der vergangenen Woche, wo sich CDU, CSU und SPD auf eine außergewöhnliche Maßnahme verständigten: Ab 1. Juli wird der Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Speisen gesenkt auf den reduzierten Satz von 7 Prozent. Die Maßnahme gilt befristet für zwölf Monate. Den Unternehmen beschert das bei unveränderten Preisen ein deutliches Rendite-Plus auf jedes verkaufte Gericht. Das ist nicht wenig in einem Geschäft mit traditionell geringen Margen. Das im Einkauf und Zubereitung teure Essen ist nicht selten ein von den Getränkepreisen finanziertes Zuschussgeschäft.

Für Außer-Haus-Speisen gilt schon jetzt der reduzierte Steuersatz, weil sie im Steuerrecht wie fertige Lebensmittel aus dem Supermarkt behandelt werden. Dies rührt daher, dass der ermäßigte Steuersatz in der Theorie Produkten zur Grundversorgung vorbehalten ist. Für Restaurants, die in der Krise ihre Umsatzeinbußen zum Teil mit Abhol-Speisen und Lieferdiensten auffangen, ändert sich daher nichts.

Wann aber Kneipen, Gaststätten und Hotels mit ihren Speisebetrieben wieder für ihre Gäste öffnen dürfen, und unter welchen Auflagen, ist ungewiss. Wer unmittelbar vor dem Aus steht, dem wird durch den geringeren Steuersatz nicht geholfen. Der Dehoga begrüßte am Tag nach dem stundenlangen Verhandlungsmarathon zwischen den Spitzen der Koalitionsparteien dennoch freudig das Ergebnis. Von einem "wichtigen und mutmachenden Signal" sprach Guido Zöllick, Präsident des Dehoga-Bundesverbands.

Ein umstrittener Präzedenzfall

"Wir sind bislang die einzige Branche, die eine branchenspezifische Steuersenkung durchsetzen konnte", jubelte auch die Präsidentin des Dehoga-Landesverbands Bayern. Des einen Freud, des andern Leid: Bei Finanzpolitikern der Koalition geht die Sorge um, dass das Gastro-Beispiel Begehrlichkeiten weckt. "Warum die und nicht wir", lautet die naheliegende Frage für Verbände anderer von der Corona-Krise gebeutelter Branchen.

Auch unter den rund 65.000 Dehoga-Mitgliedern dürfte der vermeintliche Verhandlungserfolg umstritten sein. Hilft er doch vor allem umsatzstarken Betrieben, weniger den vielen Kleinen. Eine Gastwirtin weist via Facebook zudem darauf hin, dass eine Umstellung der entfallenden Steuer in den Kassensystemen mitunter recht aufwendig und teuer sei. Auch das trifft eher kleine Betriebe. In einer Online-Umfrage des Branchenblatts "Gastgewerbe Magazin" geben 62 Prozent der rund 1500 Teilnehmer an, dass die Senkung der Mehrwertsteuer in der Krise nicht weiterhilft.

Auf rund fünf Milliarden Euro beziffert der SPD-Chef und frühere NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans die entstehenden Steuerausfälle. Der Dehoga liegt mit einer Schätzung von vier bis fünf Milliarden Euro nicht weit darunter. Ein hoher Preis also für eine Maßnahme, die nicht gezielt bedrohten Betrieben hilft, sondern auch den Starken, die womöglich bald schon wieder gute Geschäfte machen werden - schließlich findet der Sommerurlaub 2020 für die meisten Deutschen, wenn überhaupt voraussichtlich innerhalb Deutschlands statt.

Alter Wein in Corona-Schläuchen

Stellt sich also die Frage, warum diese Maßnahme überhaupt beschlossen wurde? Weil es sich um ein Langzeitprojekt des Dehoga im Schulterschluss mit der CSU handelt, vollkommen unabhängig von der Corona-Krise. Unter Verweis auf die Ungleichbehandlung mit Lieferdiensten fordert der Dehoga seit Jahren einen reduzierten Steuersatz für das Gastgewerbe, und zwar auch auf Getränke. Der Verband argumentiert, es sei unfair, dass auf Lebensmittel, die mit 7 Prozent Mehrwertsteuer eingekauft werden, nach ihrer Verarbeitung in der Küche 12 Prozentpunkte zusätzliche Mehrwertsteuer erhoben werden. Die müssen Gastwirte erst einmal erwirtschaften.

Bayern mit seinem großen Tourismussektor und seinen traditionellen Wirtschaften unterstützt das Projekt schon lange politisch: Die CSU-geführte Landesregierung hatte Medienberichten zufolge im Februar eine entsprechende Bundesratsinitiative in Vorbereitung.

Als wenige Wochen später die Corona-Krise aus- und der Umsatz der Gastronomen einbrach, erkannte der Dehoga die Chance: "Eine besonders wirkungsvolle Maßnahme wäre die Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Speisen im Gastgewerbe", erklärte Verbandspräsident Zöllick Anfang März in seinem Plädoyer für schnelle Hilfen. Die CSU nahm sich des Projekts erneut an. Am Donnerstag bedankte sich der Dehoga bei Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder, weil dieser "sich vehement für die sieben Prozent eingesetzt hat".

Söder seinerseits zeigte sich ebenfalls zufrieden und verkaufte das Verhandlungsergebnis als eine Reaktion auf die Corona-Krise und ihre Folgen für die Branche. "Wir waren der festen Überzeugung von Anfang, dass die Mehrwertsteuer der richtige Weg ist, weil es ein Anreizsystem ist, weil es ein Durchstart-System ist", erklärte Söder.

Beredtes Schweigen in der Koalition

Dergleichen Jubel sucht man bei den Koalitionspartnern vergebens. Die Unionsschwester CDU übt sich in Zurückhaltung, die SPD hat ebenfalls wenig Gesprächsbedarf. Sie hat der Mehrwertsteuerreduzierung nur zugestimmt, um im Gegenzug eine Erhöhung des Kurzarbeitergeldes durchzusetzen. Diesen Erfolg will die Fraktion nicht dadurch schmälern, dass sie einem Milliarden-teuren Projekt zugestimmt hat, das die eigenen Abgeordneten im besten Fall für wirkungslos halten.

Für den weiteren Verlauf der Krisen-Politik verkörpert der Dehoga-Erfolg einen möglicherweise gefährlichen Präzedenzfall: Unternehmenschefs und Lobbyisten klingeln derzeit Sturm bei Regierungen und Parteien, um Hilfen zu bekommen, auch wenn diese gesamtwirtschaftlich nicht unbedingt sinnvoll sind. Der Chef der "Wirtschaftsweisen", Lars Feld, warnte im "Handelsblatt" bereits vor später nicht mehr einzufangenden Übertreibungen.

Tatsächlich steht absehbar eine Verstetigung des neuen Steuersatzes zur Debatte. Söder ließ nach der Koalitionsausschusssitzung durchblicken: Er hätte sich eine längere Dauer für die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für die Gastronomie gewünscht. Der Dehoga lobt ihn dafür. Auch aus dem Bundestag ist zu hören, dass Abgeordnete von CSU und FDP sich ebenfalls für eine dauerhafte Senkung aussprechen.

Quelle: ntv.de

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