Lukaschenko bestreitet Vorwürfe "Will nicht, dass Migranten durch Weißrussland kommen"
19.11.2021, 17:45 Uhr
Lukaschenko während seines Interviews mit der britischen BBC.
(Foto: imago images/ITAR-TASS)
Wieder kommt es an der polnisch-belarussischen Grenze zu Zusammenstößen - laut Polen lässt die Regierung in Minsk erneut Hunderte Migranten in das Gebiet bringen. In einem Interview äußert sich Machthaber Lukaschenko zu den Anschuldigungen, er wolle somit Druck auf die EU ausüben.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat Vorwürfe zurückgewiesen, seine Regierung schleuse Flüchtlinge absichtlich ins Grenzgebiet zu Polen, um die EU unter Druck zu setzen. So sei es zwar "absolut möglich", dass seine Streitkräfte Migranten bei der Einreise nach Polen geholfen hätten, sagte Lukaschenko in einem Interview mit der britischen BBC. Gleichzeitig bestritt er jedoch, dass die Menschen von ihm dazu eingeladen worden seien. "Wir sind Slawen. Wir haben ein Herz. Unsere Truppen wissen, dass die Migranten nach Deutschland gehen", sagte Lukaschenko. "Und um ehrlich zu sein, ich will nicht, dass sie durch Weißrussland kommen."
Derweil hat es an der belarussisch-polnischen Grenze abermals Zusammenstöße zwischen polnischen Grenzschützern und Migranten aus dem Nahen Osten gegeben. Wie der Grenzschutz mitteilte, versuchten am Vorabend erneut Hunderte Menschen, die Grenze zu Polen zu durchbrechen. Nach polnischen Angaben lässt die belarussische Regierung doch wieder Migranten an die Grenze beider Staaten bringen. Eine Sprecherin des polnischen Grenzschutzes sagte, in der Nacht seien Hunderte Menschen zurück ins Grenzgebiet transportiert und aufgefordert worden, in der Dunkelheit nach Polen einzureisen. Sie sprach dabei von etwa 500 Personen. Belarussische Streitkräfte hätten dabei versucht, polnische Grenzschützer mit Lasern zu blenden, um sie außer Gefecht zu setzen.
Polens Grenzschutz warf den belarussischen Behörden vor, den Migranten Tränengas zur Verfügung zu stellen. Aus einer Gruppe von 500 Menschen seien am Donnerstagabend Steine geworfen und es sei Tränengas in Richtung der Grenzschützer gesprüht worden. Den Angaben zufolge nahm der Grenzschutz 45 Migranten fest.
Lage zuletzt äußerst angespannt
Zuvor hatten die belarussischen Behörden die Räumung eines provisorischen Flüchtlingslagers an der Grenze zu Polen gemeldet. Die etwa 2000 betroffenen Menschen hätten die Nacht in einer nahegelegenen Lagerhalle verbracht, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Belta. Auf Fotos der Agentur waren Migranten auf Matten in der Unterkunft zu sehen. Für viele der Menschen sei es seit langem die "erste warme Nacht" gewesen, schrieb Belta.
Bei zunehmend eisigen Temperaturen im belarussisch-polnischen Grenzgebiet sitzen seit Wochen Tausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten fest, darunter viele Kurden aus dem Irak. Die Lage an der Grenze war zuletzt äußerst angespannt. Polen hat einen Grenzzaun errichtet und mehr als 15.000 Sicherheitskräfte an der Grenze zusammengezogen. Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak erklärte nun, Warschau habe ein Angebot Estlands angenommen, mit 100 Soldaten an der Grenze auszuhelfen.
Schicksal der verbliebenen Flüchtlinge unklar
Belarus hatte zuletzt die EU-Mitgliedstaaten aufgerufen, Migranten aus dem Grenzgebiet aufzunehmen. Am Donnerstag kündigte Minsk die Rückführung von 5000 der nach belarussischen Angaben insgesamt rund 7000 in Belarus gestrandeten Migranten an. Ein in Minsk gestartetes Iraqi-Airways-Flugzeug mit 431 Menschen an Bord war am Donnerstagabend im nordirakischen Erbil gelandet.
Das Schicksal der verbliebenen Flüchtlinge ist derzeit unklar. Bundesinnenminister Horst Seehofer wies zuletzt Angaben aus Minsk zu einer angeblichen Bereitschaft Deutschlands zur Flüchtlingsaufnahme zurück. Er habe mit Bundeskanzlerin Merkel gesprochen und "die klare Info erhalten, dass es hier um eine Falschmeldung geht", sagte Seehofer in Warschau.
Die belarussische Führung hatte unter Verweis auf Merkel von einem "humanitären Korridor nach Deutschland" gesprochen. Die Kanzlerin hatte am Mittwoch zum zweiten Mal mit Lukaschenko telefoniert. Nach Berliner Regierungsangaben ging es dabei um "humanitäre Versorgung und Rückkehrmöglichkeiten der betroffenen Menschen".
Merkel berät über Rückführung
Ein EU-Mitarbeiter bekräftigte nun, es gebe "keine Einigung auf einen humanitären Korridor und die Aufnahme von Geflüchteten in die Europäische Union". Ein solches Abkommen mit Belarus werde es auch nicht geben, unterstrich der Mitarbeiter, der namentlich nicht genannt werden wollte. Die EU dringt demnach darauf, dass weitere Rückführungsflüge für die Migranten in ihre Heimatländer organisiert werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel beriet nach Angaben ihres Sprechers Steffen Seibert am Vormittag mit den Chefs des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) über Möglichkeiten einer sicheren Rückführung der Menschen. Auch bei einem Treffen Merkels mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stand die Krise an der EU-Außengrenze auf der Agenda. Unterdessen telefonierte Lukaschenko mit Russlands Staatschef Wladimir Putin. Beide hätten die Bedeutung von "Kooperation zwischen Minsk und der EU" zur Lösung des Problems unterstrichen, teilte der Kreml mit. Polen und andere EU-Länder sowie die Ukraine verdächtigen Russland, die Flüchtlingskrise mitzusteuern.
Quelle: ntv.de, mbe/AFP/rts