Dossier

Philippe Courard im Gespräch 80 Millionen Arme in der EU

Fast 80 Millionen Menschen in der Europäischen Union leben unterhalb der Armutsgrenze, knapp 20 Millionen davon sind Kinder. In Brüssel ist die 9. Konferenz der EU zum Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung gerade zu Ende gegangen.

Daran nahmen neben Repräsentanten der Europäischen Kommission, Vertreter von Gewerkschaften, Arbeits- und Obdachloseninitiativen, Hilfsorganisationen und sozialen Netzwerken teil. Der Einlader, die belgische Ratspräsidentschaft, ist die einzige Regierung eines EU-Landes, die mit Philippe Courard einen Staatsekretär für den Kampf gegen Armut benannt hat. Ein Interview mit dem aus dem frankophonen Wallonien stammendem Sozialisten nach Konferenzschluss.

 

n-tv.de: Herr Staatsekretär, einerseits laden die EU und die Regierung Ihres Landes zu aufwendigen Konferenzen wie dieser, andererseits erhalten soziale Initiativen kein Geld mehr, weil der Europäische Sozialfonds auf Eis gelegt wurde.

 

Philippe Courard

Philippe Courard

Philippe Courard: Alle Politiker Europas sind aufgerufen, uns im Kampf gegen die Armut zu unterstützen. In ganz Europa leben Millionen von Menschen mit großen Problemen. Deshalb muss es wieder mehr Geld geben, um die Armut zu bekämpfen. Ich empfehle der Europäischen Kommission, alle Mitgliedsstaaten zu verpflichten, eine Politik zugunsten der Armen zu betreiben.

 

Es gibt Richtlinien für den Fall, dass EU-Staaten die Maastricht-Kriterien nicht erfüllen. So können Sanktionen verhängt werden. Aber es gibt keine Richtlinien, falls ein Land die Kriterien für die Armutsbekämpfung nicht erfüllt. Und Sanktionen können mithin nicht verhängt werden.

 

Ja, das ist ein großes Problem. Europa spricht über Wirtschaft und Finanzen, aber nicht genug über soziale Fragen. Es muss auch Kriterien für das Soziale geben. Viele Länder der EU wollen einfach nicht darüber sprechen. In der neuen 2020-Strategie wird es eine Zielrichtlinie für die Bekämpfung der Armut geben. Für mich ist das nicht genug. Es reicht nicht, 20 Millionen Menschen aus der Armut herausführen zu wollen. Das ist ein guter Anfang. Ich hoffe, dass es gelingt, mehr Menschen von der Armut zu befreien.

 

In keinem anderem Mitgliedsland der EU gibt es einen Staatsekretär, der speziell für die Bekämpfung der Armut zuständig ist. Das ist etwas Besonderes. Wie unterstützt die belgische Regierung den Kampf gegen Armut?

 

Ich bin Staatsekretär für Armutsbekämpfung - auch, um alle zuständigen Minister in den EU-Staaten daran zu erinnern, wie wichtig es ist, ausreichende Finanzmittel für die Abschaffung der Armut, für die Schaffung von Wohnungen, für die Versorgung der Betroffenen mit Energie zur Verfügung zu stellen. Ich fordere meine Kollegen auf, neuen Richtlinien zuzustimmen.

 

Kompliziert die permanente Staatskrise in Ihrem Land Ihre Arbeit?

 

Ja, natürlich. Es ist schwierig, ohne eine neue Regierung zu arbeiten. Die amtierenden Minister wollen während der belgischen EU-Ratspräsidentschaft Ergebnisse erreichen. Das behindert die Arbeit der Ratspräsidentschaft nicht. Aber es hindert daran, neue Entscheidungen für die Bekämpfung der Armut und auch der Wirtschaftskrise zu treffen.

 

Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus dem Treffen?

 

Die wichtigste Schlussfolgerung für mich ist: Man muss den Betroffenen zuhören, den Menschen, die in Armut leben, den Gewerkschaften. Das ist für mich essentiell. Und nun müssen die Politiker Lösungen anstreben und genügend Geld bereitstellen. Dabei geht es mir vor allem um die jungen Menschen.

Quelle: ntv.de, Mit Philippe Courard sprach Manfred Bleskin

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