Dossier

Parteitag am Rande des Chaos ANC am Scheideweg

Afrikas älteste Befreiungsbewegung ist auf dem Weg zu einer demokratischeren Partei an einem Wendepunkt angelangt. Der knapp 100-jährige Afrikanische Nationalkongress (ANC) von Nelson Mandela hat mit einem tumultartigen Parteitag in Polokwane Beobachter und Parteimitglieder überrascht. Von offener Revolte war die Rede, als altgediente Parteigrößen ausgebuht wurden. Die alte Revolutions-Rhetorik aus Zeiten des Kampfes gegen die Apartheid kam bei der neuen ANC-Generation nur noch bedingt an. Selbst Mandela äußerte sich erschüttert über den Zustand seiner Partei. Sie sei tief gespalten.

Das Signal aus Polokwane: Ein Unterordnen unter eine kollektive Parteimeinung wird im 21. Jahrhundert weder als zeitgemäß noch demokratisch empfunden. Eine junge Garde versucht, die alten Parteisoldaten von den Fleischtöpfen der Macht zu verdrängen. Dort haben sich auch nach Ansicht von Südafrikas Präsident Thabo Mbeki allzu viele Genossen vortrefflich zu bedienen gewusst.

Ohne seinen bisherigen Vize und Herausforderer bei der Kandidatur für ein erneutes Mandat als Parteichef namentlich zu nennen, zielte Mbekis Kritik auch auf Jacob Zuma ab. Zumas Name steht für Popularität, Volksnähe und Tradition, aber auch für Korruption und eine fragwürdige Einstellung zu Sexualität. Während eines Prozesses wegen Vergewaltigung, in dem Zuma freigesprochen wurde, hatte er gesagt, er könne anhand der Haltung einer Frau erkennen, ob diese Sex wünsche und wenn ja, müsse er dem gemäß seiner Tradition nachkommen.

Basis fühlt sich nicht mehr verstanden

Im Gegensatz zum Populisten Zuma gilt Mbeki als Technokrat, der sich mit Nähe schwertut und zu spät bemerkt hat, dass er sich von der Basis zu weit entfernt hat. Dort steigt die Ungeduld. Zweieinhalb Jahre vor Südafrikas Show der Superlative - der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 - fühlt sich die Basis von einer zunehmend als arrogant empfundenen politischen Klasse nicht mehr verstanden. Massenarmut, Kriminalität, Aids und Fachkräftemangel haben den Kap-Staat trotz beachtlicher Wirtschaftserfolge im Griff. Die Masse der 48 Millionen Südafrikaner wartet noch immer auf das bei der demokratischen Wende versprochene "Bessere Leben für alle", während viele Parteigrößen neu erworbenen Wohlstand zur Schau stellen. Die Kluft war auch in Polokwane spürbar. Während die meisten Delegierten in Bussen anreisten, demonstrierten die Parteiführer ihren Wohlstand mit Luxus-Geländewagen und Sportflitzern oder ließen sich mit Blaulicht direkt vor die Eingänge chauffieren. Die ANC-Führung habe sich von der Parteibasis in der gleichen Weise entfremdet wie von den armen schwarzen Gemeinden, meint die Wirtschaftszeitung "Business Day".

Während in Zumas Heimatdorf Nkandla die Hilfe der Ahnen für seine Wahl zum Parteichef erfleht wurde, begannen Analysten die Entwicklung der Landeswährung zu beobachten, die gegenüber den Leitwährungen leicht nachgab. Tatsache ist, dass der Mittelstand wie auch ausländische Investoren mit Unbehagen Zumas Aufstieg beobachten. "Wir müssen uns fragen, welche moralischen Werte, welche Führungsqualitäten wollen wir in der ANC-Führung verkörpert sehen?", fragt die Politologin Judith February.

Von Ralf E. Krüger, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen