"Ist Yoga unislamisch?" "Fatwa" per Mobiltelefon
17.10.2006, 12:20 UhrFür Muslime war es schon in den frühen Tagen des Islam nicht immer einfach, sich einen Reim auf die oft widersprüchlichen Rechtsgutachten ("Fatwas") ihrer Religionsgelehrten zu machen. Denn im Prinzip muss jeder Muslim für sich selbst herausfinden, wessen Interpretation des islamischen Rechtes er sich anschließt. Nur bei den Schiiten, wo der Klerus eine klare Hierarchie hat, ist die Lage etwas übersichtlicher. Wie kompliziert die Suche nach der "richtigen Fatwa" im Zeitalter von Satellitenfernsehen und Internet-Islam-Foren geworden ist, zeigen einige Kontroversen der Religionsgelehrten aus der jüngsten Zeit. Dabei ging es unter anderem um den Libanon-Krieg, den Quasi-Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten im Irak und die passenden Reaktionen auf den Karikaturen-Streit und auf die Papst-Äußerungen zum Islam.
So hatte beispielsweise ein Scheich in Saudi-Arabien zu Beginn des Krieges im Libanon erklärt, sunnitische Muslime dürften die schiitische Hisbollah nicht unterstützen. Der sonst wenig schiiten-freundliche prominente ägyptische Islam-Gelehrte Scheich Jussif al-Karadawi konterte, "alle Muslime sollen den Kampf der Hisbollah gegen Israel unterstützen, denn Sunniten und Schiiten sind sich in Bezug auf die wichtigsten Prinzipien des Islam einig". Über die im Westen bekannteste "Fatwa" des vergangenen Jahrhunderts, das vom iranischen Revolutionsführer Chomeini ausgesprochene Todesurteil für den Schriftsteller Salman Rushdie, spricht dagegen in der islamischen Welt heute kaum noch jemand. Seit Jahren schwelt dagegen die Debatte darüber, wann ein Muslim zum "Selbstmordattentäter" wird und wann zum "Märtyrer".
Die regierungsnahe ägyptische Tageszeitung "Egyptian Gazette" empörte sich kürzlich über die vielen "falschen Fatwas", die derzeit im Umlauf seien. Sie rief das Kairoer Al-Azhar Islam-Institut, dessen "Fatwas" häufig auch von Sunniten außerhalb Ägyptens beachtet werden, auf, etwas gegen diesen Wildwuchs zu unternehmen.
"Diese Satellitenfernsehen-Muftis sind zum Großteil nicht qualifiziert ... einige von ihnen sind zwar sehr bekannt, aber sie hätten niemals 'Fatwas' veröffentlichen dürfen", meint Scheich Mustafa al-Schaka, Theologe am Islamischen Forschungszentrum des Al-Azhar-Instituts. Besser sei es, sich mit Anfragen telefonisch an das Büro des Muftis der Republik zu wenden.
Im Königreich Saudi-Arabien, der Wiege des Islam, diskutiert man unterdessen darüber, ob der neue Mobiltelefon-"Fatwa"-Service "islamisch korrekt" ist. Denn für das islamische Rechtsgutachten soll man eine Gebühr entrichten, und das beeinträchtigt nach Ansicht einiger Kritiker die Unabhängigkeit der Gelehrten.
Die Unabhängigkeit der Muftis und islamischen Rechtskundler, die "Fatwas" aussprechen dürfen, ist auch nach Ansicht der ägyptischen Muslimbruderschaft ohnehin das entscheidende Kriterium für die Glaubwürdigkeit dieser Gutachten, die entweder von einem einfachen Gläubigen oder einer Institution angefordert werden können. "Derjenige, der eine 'Fatwa' ausspricht, darf keinen Herrscher fürchten", sagt Abdel Moneim Abul-Futuh, der dem Leitungskomitee der einflussreichen Islamistenbewegung angehört. "Da die Al-Azhar unter staatlichem Einfluss steht, wäre es daher zum Beispiel möglich, dass ein Muslim in politischen Fragen nicht auf das Urteil ihrer Gelehrten hört, in Fragen, die sein Privatleben betreffen, aber schon."
Und dass diese Fragen oft genauso heiß diskutiert werden wie die politischen Themen, zeigen die vielen Anfragen zu Problemen wie "Darf ich im Fastenmonat Ramadan am Tag Zahnpasta benutzen?" oder "Ist Yoga unislamisch?", mit denen die Gelehrten täglich überschwemmt werden.
Für Abul-Futuh ist die "Fatwa"-Vielfalt nicht negativ. "Im Gegenteil, wir sind stolz darauf, dass der Islam die Meinungsvielfalt kennt. Wir Muslime haben keinen Papst, der als unfehlbar gilt."
(Anne-Beatrice Clasmann, dpa)
Quelle: ntv.de