Dossier

Der Revolutionsführer am Tiber Gaddafi zeltet in Rom

Er ist so richtig standesgemäß untergebracht, der Revolutionsführer vom anderen Saum des Mittelmeeres. Es ist nicht einfach eine Blümchenwiese, auf der das riesige Beduinenzelt des Muammar al-Gaddafi für seinen "historischen" Besuch aufgeschlagen worden ist - fein ausgestattet mit Teppichen, Diwanen und sogar einem Kristallleuchter. Nein, der starke Mann aus Libyen zeltet drei Tage lang in den fürstlichen Gärten der Villa Pamphili in Rom. Gaddafi ist zu Gast beim früheren italienischen Kolonialherrn. Es gilt, den vor zehn Monaten mit Berlusconi geschlossenen Vertrag zur Freundschaft und Zusammenarbeit zu feiern und Geschäfte vorzubereiten. Aber der Revolutionsführer ist beileibe nicht bei allen in Rom gern gesehen.

Gaddafi zeltet in den fürstlichen Gärten der Villa Pamphili in Rom.

Gaddafi zeltet in den fürstlichen Gärten der Villa Pamphili in Rom.

(Foto: REUTERS)

"No Camping, Gaddafi. Stell dein Zelt bei der Villa Certosa auf", so machten Kritiker des Libyers schon vor dessen Ankunft Front. Das von ihnen vorgeschlagene Ausweichquartier ist das Luxus-Anwesen auf Sardinien, auf dem Berlusconi so gern Stars und Möchtegern-Sternchen wie auch politische Prominenz empfängt. In die Protestwelle gegen den Besuch eines "Diktators" reihten sich auch Dozenten und Studenten der römischen Universität La Sapienza ein, in der Gaddafi reden will.

Berlusconi will Image aufpolieren

Berlusconi jedenfalls eilte trotz Halsschmerzen zur Begrüßung. Gaddafis Visite bietet ihm die Chance, sein durch Affären in der jüngsten Zeit mal wieder stark angekratztes internationales Image etwas aufzupolieren. Es ist das erste Highlight in einer Reihe von Treffen, die ihn in den nächsten Wochen auf dem Parkett der großen Welt zeigen sollen: Zu Besuch bei US-Präsident Barack Obama, beim nächsten EU-Gipfel und schließlich als Gastgeber des G8-Treffens.

Ein Gefolge von etwa 300 Personen begleitet den Mann, der auf Einladung des Cavaliere den Sprung von Tripolis an den Tiber gemacht hat. Seit nunmehr vier Jahrzehnten am Ruder, hatte Gaddafi Italien noch nicht besucht, so stark belastete die Geschichte das Verhältnis der beiden Staaten. Im Herbst 2008 zogen Berlusconi und Gaddafi dann 1000 Kilometer südlich der libyschen Hauptstadt einen Schlussstrich: In Bengasi vereinbarten sie, dass Italien 3,4 Milliarden Euro Entschädigung zahlt. Das Geld fließt in Libyens Infrastruktur, und italienische Firmen sollen dort bauen.

Eine Hand wäscht die andere

Eine Hand wäscht auch diesmal die andere. So soll der Wüstenstaat eine Küstenautobahn erhalten, die Libyen mit den Nachbarn Ägypten und Tunesien verbindet. Berlusconi setzt darauf, sein stark von Importen abhängiges Italien mit mehr Öl und Gas aus Libyen versorgen zu können - und er will die Flüchtlingswelle nach Italien eindämmen. Dabei hilft ihm der Revolutionsführer bereits kräftig. Allen Protesten zum Trotz schickte Italien schon mehrfach von libyschen Küsten kommende Immigranten-Boote dorthin zurück. Libyen wird zweitgrößter Aktionär der italienischen Großbank Unicredit und will seinen Anteil an dem Öl- und Gas-Riesen Eni deutlich ausbauen: das waren Wirtschaftsnotizen im Kielwasser des bilateralen Freundschaftsvertrages von Bengasi.

"40 von Missverständnissen geprägte Jahre sollen beendet werden", hatte Berlusconi seine auch moralisch gemeinte Entschuldigung an die Adresse der Libyer formuliert. Während der Besetzung hatte Italien erstmals Kampfgas eingesetzt, in den Jahrzehnten der Kolonialzeit wurden tausende Libyer nach Italien deportiert. Gaddafi drehte den Spieß im Jahr nach seiner Machtübernahme um. Er wies 1970 die 25.000 seit der Kolonialzeit in Libyen lebenden Italiener kurzerhand aus.

Linke Senatoren nannten es eine Schande, dass zu ihnen ein "Diktator sprechen soll, der die Menschenrechte nicht respektiert". Nicht jeder schätzt seine Freundschaft oder will mit dem derzeitigen Präsidenten der Afrikanischen Union auch noch Geschäfte machen. In dieser Funktion kommt der Revolutionsführer in einem Monat bereits wieder nach Italien, zum G8-Gipfel in L'Aquila.

Quelle: ntv.de, Hanns-Jochen Kaffsack, dpa

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