Deutsch-polnische Geschichte Lösung an der Basis
12.09.2008, 15:59 UhrWenn es um die durch den Zweiten Weltkrieg belastete deutsch-polnische Vergangenheit geht, knirscht es zwischen Warschau und Berlin manchmal immer noch. Dafür sorgt vor allem Jaroslaw Kaczynski, der seit seiner Abwahl als polnischer Regierungschef im Herbst 2007 die national-konservative Opposition im Warschauer Parlament anführt. Die deutschen Verbrechen müssten immer wieder angesprochen werden, sagte er vor wenigen Tagen im polnischen Rundfunk. In einem Namensbeitrag für die Zeitung "Fakt" am Freitag warf er dem amtierenden Ministerpräsidenten Donald Tusk vor, er verstecke sich wie ein Kind unter dem "deutschen Rock".
Bei allen brisanten Geschichtsthemen lässt Tusks Regierung extreme Vorsicht walten, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie sei unpatriotisch. Ganz im Stil der 60er Jahre kommentierte ein Außenamtssprecher einen Auftritt der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, auf dem diesjährigen "Tag der Heimat" - und warnte die "befreundete deutsche Nation vor Steinbachs Revisionismus".
Doch Deutsche und Polen schauen immer weniger auf die "da oben". Sie versuchen, ihre Probleme an der Basis, "unten", friedlich zu lösen und erzielen dabei immer häufiger Erfolg. "Wir leben hier alle, Polen, Deutsche und Schlesier, friedlich miteinander", sagt der Gemeindevorsteher in Radlow (Radlau) in Schlesien, Wladyslaw Kierat. Seine Gemeinde macht seit Monaten Schlagzeilen, weil sie als erste die Genehmigung für zweisprachige Ortsschilder vom Innenministerium in Warschau erhalten hat.
Deutsche Ortsnamen seien hier nichts Außergewöhnliches, sondern Normalität, versichert der 44-Jährige, der selbst kein Deutschstämmiger ist. Er wolle die wahre Geschichte dieser Region, die jahrhundertelang zu Deutschland gehört hatte, wiederherstellen, betont Kierat - ein Satz, der noch vor 20 Jahren ernsthafte Folgen für ihn gehabt hätte.
Nach der Übernahme Schlesiens 1945 und der Vertreibung der meisten Deutschen leugnete die kommunistische Staatsmacht in Polen jahrzehntelang die Existenz der deutschen Minderheit. In diesem Gebiet war auch Deutschunterricht verboten. Aber auch nach der demokratischen Wende von 1989 reagierte die polnische Mehrheit zunächst misstrauisch auf Aktivitäten der deutschen Minderheit. Spontan aufgestellte "Herzlich Willkommen"-Schilder vor Ortschaften in Schlesien wurden von Politik und Medien scharf kritisiert.
Tierarzt Heinrich Kroll, der seit dem Ende der 80er Jahre die Basisstrukturen der Deutschen im Oppelner Schlesien aufbaute, spricht daher im Zusammenhang mit deutschen Ortsnamen von einem "neuen Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen." Nach Schlesien sei die Normalität zurückgekehrt, freut sich Kroll, der von 1991 bis 2007 für die deutsche Minderheit im polnischen Parlament saß.
In den vergangenen Monaten gab es in Polen gleich mehrere Beweise für diese neue deutsch-polnische Normalität. In Lubowice (Lubowitz) in Schlesien, dem Geburtsdorf des Dichters Joseph von Eichendorff, wurden schon vor einer Woche die ersten deutschen Ortsschilder enthüllt. Ende August konnte Gustav Bekker, ein Deutscher, dessen Vater 1945 in einem polnischen Sammellager in Aleksandrow Kujawski von polnischen Sicherheitsleuten ermordet worden war, dort einen Gedenkstein mit Kreuz enthüllen. Bei dem Vorhaben half ihm der polnische Bürgermeister Andrzej Ciesla. "Wir dürfen nicht schweigen", bekannte Ciesla und prangerte den Mord an deutschen Zivilisten als Rache und Sadismus an.
Polen und Deutsche stehen zu dieser neuen Normalität. Die Dorfvorsteherin von Lubowitz, Urszula Badurczyk, zeigte sich unlängst kämpferisch: "Wir lassen nicht zu, dass die Politiker, Leute von außen, unsere Versöhnung stören." Im Notfall würden sie am Kragen gepackt, warnte die Deutschstämmige.
Von Jacek Lepiarz, dpa
Quelle: ntv.de