Unter keinem guten Stern Tschechiens EU-Vorsitz
20.12.2008, 16:42 UhrDie blaue Europaflagge mit den zwölf gelben Sternen wird auf der Prager Burg auch nach Silvester nicht im Wind flattern. Zwar übernimmt Tschechien am 1. Januar für sechs Monate den EU-Vorsitz. Aber in der Burg residiert mit Präsident Vaclav Klaus ein bekennender Europaskeptiker.
Die Ratspräsidentschaft des zweiten osteuropäischen Landes nach Slowenien steht unter keinem guten Stern. Klaus, der sich voller Stolz "europäischer Dissident" nennt, gilt als unkontrollierbarer Paukenschläger im EU-Orchester. Er wird immer mehr zur Last für Ministerpräsident Mirek Topolanek. In der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) sind Topolanek und Klaus erbitterte Rivalen; zudem hat Topolanek gerade erst eine Regierungskrise abgewendet.
Feinde hat sich Klaus nicht nur mit seiner Ankündigung gemacht, keine Europaflagge auf der mächtigen Burganlage zu hissen. Auch wegen seiner Streitrede gegen den EU-Reformvertrag vor dem tschechischen Verfassungsgericht im November hagelte es Kritik. Tschechien ist das einzige Land, das den Vertrag noch nicht parlamentarisch ratifiziert hat.
Kritik an Abhöraktion
Für einen handfesten Eklat sorgte Klaus bei einer Begegnung mit Europaparlamentariern in Prag. Der deutsche Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU), sonst nicht für ein hitziges Temperament bekannt, kritisierte Klaus scharf für eine Abhöraktion. Klaus soll mehrere vertrauliche Gespräche mitgeschnitten und gezielt an die Presse lanciert haben, um die Brüsseler Besucher bloßzustellen.
Eigentlich hätten die Tschechen alle Karten auf ihrer Seite. Wenn Europaminister Alexandr Vondra ankündigt, sein Land wolle mit der "imperialen Präsidentschaft" des Franzosen Nicolas Sarkozy brechen, erntet er nicht nur bei der Bundesregierung stillen Applaus.
Mit der Einberufung von Sondergipfeln eifert Ministerpräsident Topolanek Sarkozy bereits nach. Im April oder Mai sollen die 27 europäischen Staats- und Regierungschefs erstmals den neuen US-Präsidenten Barack Obama treffen - vorausgesetzt, dieser sagt zu. Bei einem weiteren Gipfel in Prag will Topolanek eine neue "Ost-Partnerschaft" mit Ländern wie Georgien und der Ukraine aus der Taufe heben, als Gegenstück zu Sarkozys Mittelmeerunion.
Heißes Eisen Atomenergie
"Europa ohne Grenzen" lautet das Motto des tschechischen Vorsitzes. Das ist auch als Spitze gegen Deutschland gemeint. Während sich Osteuropäer in den meisten EU-Ländern bereits frei niederlassen und arbeiten können, will die Bundesregierung den Arbeitsmarkt noch bis 2011 weitgehend abschotten.
Die Prioritäten seines Vorsitzes umschreibt Ministerpräsident Topolanek mit Wirtschaft, Energie und Außenbeziehungen. In der Wirtschafts- und Finanzkrise gilt ein zweites europäisches Konjunkturpaket als nicht ausgeschlossen.
Bei der Energieversorgung will Prag die EU unabhängiger von Russland machen und packt dabei auch ein heißes Eisen an: Eine mögliche Renaissance der Atomenergie. Nicht nur in Deutschland, sondern vor allem im kernkraftfreien Österreich wird dies mit Skepsis gesehen. Zumal unweit der deutsch-österreichischen Grenze der umstrittene tschechische Atommeiler Temelin steht.
Schwerste Aufgabe: Reformvertrag
In der Außenpolitik setzt Prag auf eine schnelle Heranführung von Balkanstaaten wie Kroatien und Serbien an die EU. Im Zentrum stehen jedoch die Bemühungen um ein verbessertes Verhältnis zu den USA. Die Nähe der Tschechen zu Washington sorgte in der EU schon für Unmut, etwa bei den Alleingängen zur Stationierung des US-Raketenschildes und bilateralen Visa-Abkommen.
Über die schwerste Aufgabe schweigt sich Topolanek bisher aus: Die Rettung des Reformvertrags von Lissabon. Irland hat sich 2009 zu einer zweiten Volksabstimmung verpflichtet. In Tschechien steht nach dem positiven Votum des Verfassungsgerichts noch die Zustimmung beider Parlamentskammern aus.
Präsident Klaus lässt bewusst offen, ob er die Ratifizierungsurkunde unterzeichnen wird. Topolanek sucht deshalb dem Vernehmen nach bereits einen juristischen Weg, den Unberechenbaren auf der Prager Burg zu umgehen.
Quelle: ntv.de, Stephanie Lob, AFP