Dossier

Aufstand im Warschauer Ghetto Um Würde gekämpft

Im Morgengrauen des 19. April 1943 rücken SS- und Wehrmachtverbände ins Warschauer Ghetto ein, um die noch verbliebenen Bewohner in die Arbeits- und Vernichtungslager abzutransportieren. Doch anders als bei früheren NS-Mordaktionen sind die Opfer diesmal vorgewarnt und zum Widerstand entschlossen. Mitglieder der Jüdischen Kampforganisation (ZOB) nehmen aus ihren Verstecken die überraschten Angreifer unter Beschuss und bewerfen sie mit Handgranaten und Molotowcocktails. Ein Panzer geht in Flammen auf. Mit vielen Toten und Verletzten ziehen sich die NS-Besatzer zurück. "Der größte Traum meines Lebens ist in Erfüllung gegangen. Die Juden verteidigten sich, ihr Widerstand und Vergeltung sind Wirklichkeit geworden", notiert der Kommandeur Mordechai Anielewicz zu Beginn des letzten tragischen Kapitels der Warschauer Juden am Vortag des jüdischen Pessachfestes.

"Wir wollen nicht das Leben retten. Niemand von uns wird hier lebend rauskommen. Wir wollen die Menschenwürde retten", begründete Arie Wilner, einer der Aufständischen, die Entscheidung zu kämpfen. Der letzte lebende Anführer des Aufstandes, Marek Edelman, drückte das nüchterner aus: "Die Menschen haben immer geglaubt, dass das Schießen ein Beweis für großes Heldentum ist. Dann haben wir halt eben geschossen." In der im Herbst 1942 gegründeten ZOB kämpften Schulter an Schulter jüdische Sozialisten und Zionisten. Die meisten waren nicht älter als 17 oder 18. Jeder Kämpfer hatte eine Pistole mit zehn Patronen und vier Handgranaten, erinnerte sich Edelman. Nach seinen Worten gab es nur 220 kampfbereite Mitglieder. Manche Historiker sprechen von bis zu 1000 Kämpfern.

Tagelange Verteidigung aufrecht erhalten

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Polens Hauptstadt mit ihren fast 400.000 Juden zu den größten jüdischen Zentren der Welt gezählt. Nach dem Überfall auf Polen 1939 hatten die Nationalsozialisten in der besetzten Stadt ein Ghetto eingerichtet, in das sie eine halbe Million Juden auch aus der Umgebung Warschaus zusammenpferchten. Woche für Woche starben Tausende von ihnen an Hunger und Seuchen. Im Sommer 1942 wurden dann mehr als 300.000 Ghetto-Bewohner in die Vernichtungslager, vor allem nach Treblinka, gebracht und dort vergast. Geblieben waren etwa 60.000 Menschen, die in deutschen Betrieben beschäftigt waren. Anfang Januar besuchte Heinrich Himmler das Warschauer Ghetto und befahl seine Räumung.

Nach dem Schock der ersten Niederlage an jenem 19. April übernahm General Jürgen Stroop das Kommando. Er warf gegen die Aufständischen 2000 Soldaten mit Panzern, Artillerie und Kampfflugzeugen ins Gefecht. Statt die ZOB-Positionen frontal anzugreifen, steckten jetzt die SS-Truppen ein Haus nach dem anderen in Brand und zwangen so die Aufständischen zum Rückzug. Flammen, glühende Hitze und Rauch verwandelten das ganze Stadtviertel in eine Hölle. Menschen stürzten sich brennend aus den Fenstern. Wem es zu fliehen gelang, der wurde von den deutschen Polizei- und SS-Truppen getötet. Die Verfolgten suchten Schutz in den unterirdischen Bunkern. Doch ihre Verstecke wurden nach und nach entdeckt. Anielewicz und andere Mitglieder seines Stabes begingen am 8. Mai Selbstmord, nachdem die Deutschen ihren Bunker umstellt und in den Raum eine Gasbombe geworfen hatten.

Am 16. Mai berichtete Stroop nach Berlin, es gebe keinen jüdischen Wohnbezirk mehr. Vorher hatte er die größte Warschauer Synagoge als Zeichen seines Sieges gesprengt. Laut seinem Bericht waren während der 27-tägigen Kämpfe mehr als 56.000 Juden getötet worden.

Mehreren Dutzend Aufständischen, darunter Edelman, gelang aber die Flucht durch die Kanalisation auf die "arische Seite." Viele Überlebende kämpften ein Jahr später im Warschauer Aufstand erneut gegen die NS-Besatzer.

Von Jacek Lepiarz, dpa

Quelle: ntv.de

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