Klimawandel trifft Deutschland "Wir haben nicht mehr viel Zeit"
10.12.2008, 16:03 UhrDie Anstrengungen zur Vermeidung einer Klimakatastrophe müssen intensiviert werden, sagt Jos Lozn von der Uni Hamburg im Interview mit n-tv.de. Zwar sei schon viel getan worden, aber das reiche nicht aus. "Das Ziel muss sein, die Emissionen zu halbieren." Dabei müssten die Industriestaaten die Vorreiterrolle übernehmen. Einen Widerspruch zwischen Wirtschafts- und Umweltpolitik sieht er nicht. Im Gegenteil, er betrachtet die Finanzkrise als Chance: "Durch Investitionen in den Klimaschutz kann man nicht nur den Klimawandel bekämpfen, sondern auch gleichzeitig viele neue Arbeitsplätze schaffen". Werde eine Einigung nicht erreicht, wäre die globale Wirtschaft jedoch stark bedroht.
n-tv.de: Herr Lozn, in Posen findet derzeit die Weltklimakonferenz statt. Warum sollten die Ergebnisse dieser Konferenz die Menschen interessieren?
Jos Lozn: Weil die Folgen des Klimawandels von bedeutendem Einfluss für die gesamte Menschheit sind. Einige Folgen kennen wir schon, die gravierendsten kommen aber noch auf uns zu. Wenn wir etwa die Wirtschaft betrachten, gibt es dort sicher Gewinner und Verlierer des Klimawandels. Aber die Gewinner sind eindeutig in der Minderheit – in unseren gemäßigten nördlichen Breiten wären das einzelne Sparten der Landwirtschaft und des Tourismus. Die Verlierer sind in allen Branchen der Wirtschaft zu finden.
Welche negativen Auswirkungen kann eine weiter steigende Erwärmung konkret für die Menschen in Deutschland haben?
In Deutschland können wir bereits einige Folgen beobachten. Ein Beispiel ist die Zunahme von Infektionen durch Zeckenbisse. Die Zecken dringen nach Norden vor, und verbreiten damit eine ganze Reihe von Krankheiten wie Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) und Lyme-Borelliose weiter. Allein die FSME-Vorfälle nahmen im Zeitraum 1983 bis 2003 in den zehn wichtigsten FSME-Ländern, unter denen sich auch Deutschland befindet, um rund 400 Prozent zu.
Eine weitere Gefahr stellen Hitzewellen dar. Im Sommer 2003 haben wir beispielsweise mehr als 50.000 zusätzliche Sterbefälle in Europa infolge der hohen Temperaturen gehabt. Des Weiteren leiden in Deutschland bereits 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung an Allergien. Hauptursache hierfür ist das verstärkte Auftreten von veränderten und neuen allergenen Pollen.
Schließlich registrieren wir in Europa plötzlich Krankheiten wie die Blauzungenkrankheit bei Wiederkäuern, die normalerweise nur in Afrika auftritt. Es gibt also einige Gefahren, die man gar nicht auf der Rechnung hat.
Sie sagen, die Gewinner des Klimawandels seien in Deutschland in der Minderheit. Was sind die negativen Folgen für uns?
Das Inlandseis von Grönland nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Wenn nur 25 Prozent des Eises auf Grönland schmilzt, hat das einen Anstieg des Meeresspiegels von 2 bis 3 Metern zur Folge. Der Küstenschutz, den wir zurzeit haben, wird dafür nicht ausreichen. Die gesamte Küste wird sich mit entsprechenden Folgen für die dortige Wirtschaft und die Infrastruktur verändern. Dazu kommen die Wetterextreme. Durch den Klimawandel gibt es eine Instabilität, die Häufigkeit von trockenen Perioden oder Nassperioden nimmt zu. Die daraus resultierende Trockenheit oder der extreme Niederschlag haben schlimme Folgen, gerade für die Landwirtschaft.
Wie hoch werden die Kosten sein, die nötig sind um die schlimmsten Folgen der Klimaerwärmung zu verhindern?
Wenn wir konsequenter in Richtung Klimaschutz vorgehen, sind die Kosten gar nicht mal so hoch. Bei einigen Maßnahmen spart man sogar Geld. So kann man bei Haushalts- und Bürogeräten auf den Standby-Modus verzichten. Fahrzeuge müssen nicht mit laufendem Motor geparkt werden. Wohnungen müssen statt auf 23C nur auf 18 bis 20C geheizt werden, wenn man einen Pullover trägt.
Man kann davon ausgehen, dass wir mit einer jährlichen Investition von nur einem Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes, also ca. 470 Milliarden Euro, die schlimmsten Folgen des Klimawandels vermeiden können. Zurzeit verschlingen die direkten und indirekten Folgen des Klimawandels mindestens 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Würden wir nichts tun, kann dieser Wert weiter steigen, und ein Anstieg auf bis zu 20 Prozent wäre nicht ausgeschlossen.
Die Welt befindet sich inmitten einer globalen Finanzkrise, wir sehen einer Rezession entgegen - wie groß sind die Chancen, dass die nötigen finanziellen Anstrengungen unternommen werden, um den Klimawandel einzudämmen?
Die heutige Finanzkrise bietet eine große Chance. Durch Investitionen in den Klimaschutz kann man nicht nur den Klimawandel bekämpfen, sondern auch gleichzeitig viele neue Arbeitsplätze schaffen und der drohenden weltweiten Rezession entgegenwirken. Die Industrie auf dem Sektor Umweltschutz ist in den letzten Jahren gewachsen. Sie kann für die Erholung der Wirtschaft eine treibende Kraft sein.
Wie beurteilen sie generell die Möglichkeiten, politische Entscheidungen wie auf der Weltklimakonferenz zu beeinflussen?
Die Politiker sind sich in den letzten Jahren des Themas bewusster geworden. Man hat Zeit verloren, aber jetzt sind die Entscheidungsträger wach geworden. Man sieht eine positive Entwicklung. Aber wir haben noch viel zu tun. Ich will das anhand von Zahlen verdeutlichen. Damit wir eine Stabilisierung des Klimas erreichen können, müssen wir weltweit eine Pro-Kopf Emission von 1500 Kilogramm CO2 pro Jahr erreichen. Im Moment emittiert der Mensch pro Kopf und Jahr in Europa knapp 3000, in den USA fast 6000 Kilogramm. Wir haben also viel zu tun.
Wir behaupten zwar, wir tun hier viel in Europa, und teilweise machen wir das auch. Aber das Ziel muss sein, die Emissionen zu halbieren, um eine Erwärmung von über 2C zu vermeiden. Bei einer höheren Erwärmung nimmt die Wahrscheinlichkeit einer gefährlichen Klimaänderung drastisch zu.
Wie kann man die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren?
An Schulen und an Universitäten werden ja bereits viele Aktionen durchgeführt. Nur, man muss das intensivieren. Man muss das mit politischen Anreizen voranbringen. Die Leute denken, man würde hier viel tun, und in anderen Ländern weniger. Dabei emittieren wir pro Kopf das Zehnfache von dem, was in China oder in Afrika ausgestoßen wird. Man muss den Leuten bewusst machen, dass wir hier in Deutschland zusammen mit den USA in punkto CO2-Emissionen an der Spitze stehen.
Es gibt Menschen, die der Wissenschaft Panikmache vorwerfen und darauf verweisen, dass die Kosten für den Klimaschutz zu hoch seien.
Ja, die gibt es. Das sind allerdings keine aktiven Wissenschaftler oder aber Wissenschaftler, die für die Industrie arbeiten. Die führen Projekte durch, die von Konzernen wie zum Beispiel vom Ölkonzern Exxon Mobil bezahlt werden, und äußern sich natürlich gegen Klimaschutz. Aber Aussagen dieser Leute nehmen wir nicht so ernst. Es ist nur eine kleine Minderheit, die nicht in der Lage ist, ihre Aussagen und Ergebnisse in seriösen wissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen.
In der Öffentlichkeit haben diese Positionen allerdings ein großes Gewicht.
Man muss hier die Rolle der Medien kritisch betrachten. Es gibt Diskussionen im Fernsehen, bei denen über das Klima geredet wird. Da wird ein Fehler gemacht, den ich oft beobachten kann. Es werden Wissenschaftler eingeladen, von denen die eine Hälfte für und die andere gegen verstärkten Klimaschutz ist. Deswegen denken die Zuschauer, 50 Prozent der Wissenschaftler wären für verstärkten Klimaschutz und 50 Prozent dagegen, was nicht stimmt und zu einer Verwirrung führt.
Das Kyoto-Nachfolgeprotokoll wird im nächsten Jahr in Kopenhagen beschlossen. Wieviel Zeit bleibt uns, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden?
Man schätzt, dass eine globale mittlere Erwärmung der Erdoberfläche von 2C bei einer CO2-Konzentration von 450 Teilen pro eine Million Teile Luft (ppm) erreicht wird. Zurzeit haben wir 380 ppm CO2, wobei die Zunahme etwa 2 ppm im Jahr beträgt. Wenn es so weiter geht, erreichen wir die Konzentration also, sehr grob berechnet, in 35 Jahren. Aber mit dem Nachfolgeprotokoll wollen wir den Anstieg von 2 ppm schrittweise auf 1 ppm und dann 0 ppm verringern.
Wieviel Zeit wir haben, hängt auch davon ab, wie konsequent die Politik vor allem in den USA Klimaschutz betreibt und wie hoch das wirtschaftliche Wachstum sein wird - bei einer Rezession wird weniger Erdöl verbraucht.
Dr. Jos Lozn ist Klimaexperte an der Universität Hamburg. Zusammen mit anderen Spezialisten gibt er die Buchreihe "Warnsignal Klima" heraus. Sie soll der breiten Öffentlichkeit die möglichen Folgen des Klimawandels verständlich machen.
Quelle: ntv.de, Mit Dr. Jos Lozn sprach Christian Bartlau