Zwischenruf Badekappenträger als Feind
21.04.2009, 14:33 UhrDer Bundesbeauftragte für Datenschutz gehört zu jenen deutschen Spitzenbeamten, die große Dinge stets gelassen aussprechen. So erklärt Peter Schaar, dass der Staat zu viele Bürgerrechte einschränkt. Insbesondere nach dem 11. September 2001. Stichworte: Umbau des Bundeskriminalamtes zu einem deutschen FBI mit geheimpolizeilichen Befugnissen, Vorratsdatenspeicherung bei Telefon und Internet, der biometrische ePass, Anti-Terror-Paket, Rasterfahndung ohne Bestehen einer so genannten gegenwärtigen Gefahr, Einschränkung des Quellenschutz für Journalisten, Verbot des Mitführens von mehr als 100 Millilitern Flüssigkeit und Nagelscheren in Flugzeugen. Man kann von Glück sagen, dass das Un-Projekt "Nacktscanner" in den Papierkorb wanderte.
Vom Orwellschen "Big Brother" sind wir weit entfernt. Da sei die Demokratie vor. Aber in unserer Gesellschaft ist ein Klima entstanden, in dem Überwachung ohne Verdachtsmoment immer mehr um sich greift. Die grundlose Kontrolle wird zum Kavaliersdelikt. Nun sind durch Überwachungskameras auf Bahnhöfen – beispielsweise – Verbrechen aufgeklärt worden. Verhindert wurden sie dadurch nicht. In London, der Welthauptstadt der Videoaugen, sind rund 10.000 Überwachungskameras installiert. Wie der dortige "Evening Standard" herausfand, gibt es in den Stadtbezirken mit dem dichtesten Kameranetz die niedrigste Aufklärungsrate.
Nachgerade ungeheuerlich ist, was Deutschlands oberster Datenschützer über den Datenhandel zu berichten weiß: So groß die Entschlossenheit, das Vorhaben zu Ende zu bringen zunächst gewesen sei, so zögerlich sei der Bundestag, das Gesetz zu verabschieden. Wie bei kaum einer anderen Frage habe es hier eine Lobbyarbeit der Wirtschaft gegeben. Was Schaar wieder einmal in zurückhaltende Worte kleidet, bedeutet im Klartext: Einflüsterer von Unternehmen haben Bundestagsabgeordnete belatschert zu warten. Wie lange? Bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag? Zumindest bis zum Ende der Legislaturperiode wäre kaum mit der Verabschiedung des Gesetzes zu rechnen.
Kalt läuft es einem über den Rücken, wenn es in dem Bericht heißt, bei der Überwachung von Mitarbeitern wäre nur "die Spitze des Eisbergs" bekannt. Dort oben finden sich illustre Namen: Deutsche Bahn, Deutsche Telekom, Lidl, Daimler. Die Ulmer Drogeriekette Müller ist der vorerst letzte bekanntgewordene Fall.
Was tummelt sich unter Wasser? Was der Staat kann, kann ich schon lange, scheint manch Konzernboss zu denken. Drum sollte der Staat mit gutem Beispiel vorangehen: Überwachung nur bei konkretem Verdacht, Verbot der illegalen Sammlung von Mitarbeiterdaten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Kontrolle bis ins Badezimmer ist unerlässlich, wenn sich Gefahr für Leib und Leben abzeichnet. Deshalb sollte man aber nicht jeden Badekappenträger als potentiellen Staatsfeind betrachten.
Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de